»Nicht schlecht – oder besser gesagt, wie hier auf dem Lande – wo ich ja noch weiter Projekte bearbeitete und auch mein angestammtes Atelier behielt. Die Aufgaben wurden allerdings vielfältiger.
Die Kehrseite der Medaille war dann Terminstress, denn die ganze Vorstandsarbeit beim Künstlerverband war ja ehrenamtlich und nur zu bewältigen, weil ein effizienter Apparat dahinterstand.
Ich konnte mir bald, wegen der großen Nachfrage, die Arbeit an den Gestaltungsprojekten aussuchen und zu Gastvorträgen, Workshops und Seminaren so einiges in der Welt bereisen. Meine tolle Frau kam dann dazu – du bist ihr doch damals begegnet?«
»Ja«, bestätigte Ulm, »ich erinnere mich an diese schöne Kollegin. Alle waren der Meinung, sie sei letztendlich der Grund für deinen Weggang.«
»Nein, es war die neue Verantwortung in Berlin, denn ihr hattet mich ja - frei und geheim, wie ich immer betone, und ein kleines Novum in der DDR – auf diesem letzten Verbands-Kongress im Herbst achtundachtzig in den Vorstand und ins Präsidium des Künstlerverbandes gewählt – verantwortlich für Architektur und Bildende Kunst, die von vielen Kollegen als ambivalent empfundene Baugebundene Kunst.«
»Ja, wegen des organisatorischen Aufwandes manchmal störend, aber wichtig für die Kultur des öffentlichen Raumes – und gut bezahlt – auch bei uns auf den Dörfern. Damit konnten wir unsere freien Bildhauer-Arbeiten gut finanzieren.«
»Aber andererseits, mit ihren kreativen Explosionen, der Feind der Planwirtschaft«, setzte Oie nach. – »Das war für mich, in Konfrontation der Bildenden Künstler mit der damals allmächtigen, zentralen Plattenbau-Mafia, eigentlich ein Himmelfahrtskommando.
Da hatte ich dann jede Woche Fingerhakeln um Projekte und Mittel mit gutwilligen, interessierten Auftraggebern, aber auch gewohnheitsträgen, mauernden Bonzen der Bauverwaltungen.
Auch mit dem Ausräumen von Hindernissen der Reichsbedenkenträger auf allen Ebenen. Du weist schon: Was ist das denn? Brauchen wir das? – Es stört den Plan-Ablauf! Geht nicht! Was das kostet! – Das wollen unsere Menschen nicht!
Mit der Reisestelle des Verbandes und des Kulturministeriums gab es auch ständig Probleme, um die man sich kümmern musste. Die Reise-Angelegenheiten unseres Bezirkes und deine Sache waren auch dabei.«
»Ja, meine Sache«, wurde Ulm bedächtig. Er nahm wieder einen Schluck aus der Pulle und reichte sie herüber.
»Ich habe damals nicht mehr geglaubt, zu der Giacometti-Ausstellung nach München fahren zu können. Der Antrag wurde zweimal ohne Begründung abgelehnt – und dann überraschend doch gestattet. Warst du das?«
Oie trank und fixierte Ulm lächelnd: »Ja, damals eigentlich ganz einfach für mich. Ich kannte ja euer Reiseproblem, den Frust über dieAblehnungen – und habe mit denen in der Zentrale des Verbandes offen darüber geredet.«
»Mit wem?«
»Mit einem geheimnisvollen Herrn, vom Ministerium des Innern – zumindest sagte er mir das anfangs so, als Neuling im Vorstand. Der tauchte regelmäßig auf und befragte mich zu verqueren Verbands-Angelegenheiten.«
»Was für Angelegenheiten?«
»Na, wenn mal wieder ein Kollege bei einer West-Reise drüben geblieben war, wie dieser Restaurator, mit den Packen Blattgold für die Restaurierung der Orangerie Neustrelitz – oder der blauäugige Fluchtversuch unserer malenden Freundin, mit dem Stehgeiger aus dem Orchester der Stadt, über die bulgarische Grenze, der dort dann im Knast gelandet war. Den Genossen interessierte auch, wie es aktuell um den Künstlerverband stände, nach diesem für den Partei-Apparat provozierenden Verbands-Kongress.
Ich habe immer Klartext geredet und ihn, nachdem ich von deiner zweiten Ablehnung erfuhr, direkt gefragt, was da los ist. Er konnte nichts sagen, aber versprach, sich zu erkundigen.
Einige Zeit später kam er mit der Nachricht, dass so ein Ortswichtig aus eurem Dorf kein gutes Haar an euch gelassen hätte – so wie ihr lebt, arbeitet und eure Kinder erzieht.
Auch dass ihr das alte, nicht mehr gebrauchte Feuerwehrhaus, gegen den Willen der lokalen Obrigkeit, zu einer kleinen Galerie umbauen wolltet, Stimmung dafür in der Gemeinde machtet – das war der tiefere Grund.
Einige in der Provinz-Provinz sahen die führende Rolle der Partei im Dorf angekratzt, mochten euch bunte Vögel nicht – und die örtlichen IM haben euch denunziert.«
»Ja« – brummte Ulm »es war für uns Zugezogene sicher ein kleiner Kulturkampf, bei dem wir nach und nach die Mehrheit der Dörfler auf unsere Seite ziehen konnten. Die, die sich davon was für das Dorfleben und den Tourismus versprachen. Das haben uns allerdings einige machtbesoffene Dorf-Schranzen nicht verziehen.«
»Letztlich habe ich dem Offizier von der Stasi – so war später klar – gesagt, dass diese Anschuldigungen einfach Quatsch seien, nichts mit eurer Qualität als Bildhauer zu tun hätten und ich als Vorstand für euch bürge. Ansonsten könne ich nicht mehr dafür garantieren, dass ihr unter dieser Reisesperre dem Arbeiter- und Bauern-Paradies künstlerisch noch freundlich gesonnen bleiben könnt.«
»Das hast du gesagt?«, zweifelte Ulm ungläubig.
»Na so sinngemäß natürlich – nach zwanzig Jahren. Ich war nie sehr diplomatisch!«
»Aber«, sagte Ulm, »in meiner Stasi-Akte, die ich vor einigen Jahren lesen konnte, stand, ich sei ein Feind der Republik, – irgendein IM-Waldläufer hat das von sich gegeben.«
»Der steht auch in meiner Akte und ich weiß, wer das war«, stöhnte Oie.
»So was, bei mir waren entscheidende Stellen geschwärzt.«
»Bei mir war das auch so – aber es war trotzdem einfach. Da tauchten ganz persönliche Dinge auf, die nur Steinfelds wissen konnten. – Gerd Steinfeld, der sich überall anbiedernde Dozent für Philosophie, der angeblich wegen der Biermann-Affäre geschasst wurde. In Wirklichkeit hatte er seine Stelle verloren, weil er seine lange terminierte und oft verschobene Doktorarbeit nicht auf die Reihe bekam. Das habe ich aber erst Jahre später erfahren.«
»Ja«, brummte Ulm traurig. »Steinfeld und seine Frau Doktor Steinfeld haben Spuren hinterlassen im Kunstbetrieb.«
»Na ja«, wiegelte Oie ab, »ihr konntet den großen Softie alle ganz gut leiden in eurem Jahrgang an der Kunsthochschule und habt nicht bemerkt, dass er alle bespitzelte. Auch Alma mochte ihn und hat ihn angeschleppt. Die Steinfelds verkehrten dann oft privat bei uns – auch bei den abendfüllenden Küchentisch-Disputen. Du erinnerst dich: Nirgendwo sonst wurde so Klartext über die versumpften Verhältnisse geredet, wie dort, im Privaten. Diese kleine Form des Dampfablassens war immer wie ein Sauerstoff-Zelt.
Da Steinfeld nach seinem Rauswurf angeblich keine standesgemäße Anstellung mehr fand, habe ich ihn mitgenommen und als Werkstatt-Gehilfen eingestellt. Als freiberuflicher Künstler konnte ich das unkompliziert. Er hielt sich auch für einen begnadeten Handwerker und ich glaubte das anfangs auch.
Sogar beim Wohnungstausch habe ich ihnen geholfen, was – wie du weißt – damals ein Riesenproblem werden konnte. Bei uns im Haus haben wir sie aufgenommen, nachdem eine passende Wohnung für das Rentner-Ehepaar gefunden worden war, das da vorher wohnte. In diesem verfallenden Mehrfamilienhaus aus der Gründerzeit, für das ich dann große Sanierungs-Kredite aufnahm.
Steinfeld sollte eine Rolle als Geselle in meiner Werkstatt spielen, da ich bei vielen Projekten auf Reisen und auf Baustellen war.
Nur, es passierte nichts, wenn ich abwesend war. Irgendwas fehlte immer: Wie in dem Witz von der Ost-Hölle, in der die Teufel mal keine Nägel haben und mal keine Bretter, um Feuer-Kreuze zu bauen. Und wenn sie doch mal beides haben – ist Versammlung.
Oder es war höhere Gewalt, weshalb nicht viel passierte.
Heute glaube ich, ihm saß die ganze marxistisch-leninistische Ideologie quer im Kopf. Er hätte wohl doch lieber als Partei-Sekretär