Die Geschichte Karthagos. Olde Hansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olde Hansen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783750289925
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bekannt. S. Geus, Prosopographie unter "Adherbal" u. „Hannibal“, "Bilmit" wird nicht gelistet.

      2Ca. 106 v. Chr., Karthago wurde 146 v. Chr. am Ende des Dritten Römisch-Karthagischen Krieges zerstört.

      3Publius Cornelius Scipio Aemilianus (185 - 129 v. Chr.), der Be­fehlshaber der römischen Truppen im Jahr des Untergang Kar­thagos. S. a. u. Anm. 162.

      4Mauretanien und Numidien: Nordwestafrika und das Gebiet des heutigen Tunesiens, die Säulen des Herakles: antike Bezeich­nung für die Meerenge von Gibraltar, die nördlichen Zinninseln: gemeint sind die heutigen britischen Inseln, Iberien und Gallien: die Gebiete der heutigen Staaten Spanien und Frankreich.

      5Elyssa ist ein anderer Name für Dido, die (legendäre) Gründerin von Karthago. S. a. u. HM 2, 10.

      6Bis zur Zerstörung Karthagos gab es eine eigene karthagische Geschichtsschreibung, s. Pol. 3, 20. So ließ sich Hannibal nach Nep. Hann. 13, 3 auf seinem großen Feldzug von den Histori­kern Sosylos und Silenos begleiten und porträtieren. Plin. n. h. 18, 5f. berichtet von karthagischen Archiven und Bibliotheken. HM selber erwähnt hier und 4, 44; 6, 75; 9, 107 u. 10, 108 den Historiker Mommbaal und den Redner und Rat Merhabal, der offenbar regelmäßig zur (Zeit)Geschichte Stellung nahm, s. a. HM 5, 55 u. 6, 75. Beide sind bei Geus, Prosopographie unbekannt. Von den Karthago-feindlich gesinnten Historikern, die HM anspricht, sind heute auf griechischer Seite v.a. Timaios, auf römischer Seite Fabius Pictor bekannt.

      II. Das purpurne Zeitalter

      (5) Die ältesten Erinnerungen an meine Vorfahren reichen in die „purpurnen Zeiten“ zurück, als sie durch den Handel mit der purpurroten Wolle bekannt wurden. „Die Purpurnen“, „Phönizier“ oder auch „Punier“ wurden sie denn auch in der Welt genannt7. Selber benannten sie sich nach ihren jeweiligen Heimatstädten: Sidoner, Tyrer, Byblier usw. Anders als die Ägypter, die Hellenen unter ihrem großen König Agamemnon, die Trojaner, die Hatti8 und die vielen anderen Gemeinwesen, die früher große und mächtige Reiche gebildet hatten, lebten meine Vorfahren in freien, unabhängigen Städten. Allein durch die gemeinsame Sprache, gemeinsame Handelsfahrten, zahlreiche Eheschließungen und ähnliche Lebenseinstellungen verbunden.

      (6) Als vor vierzig Generationen9 diese Welt der alten Reiche, wie sie Jahrhunderte um die tyrischen Küsten herum Bestand hatte, Stück für Stück zusammenbrach, kam die große Stunde meiner Vorfahren10. Das Meer war jetzt gänzlich frei von fremden Schiffen, die Landschaften der alten Reiche verarmt, selbst Ägypten hatte viel von seinem alten Glanz verloren. Nur die Tyrer und ihre Nachbarn waren verschont geblieben vom großen Brand der Welt. Sie befuhren jetzt ungehindert das Meer11 bis an die Säulen des Herakles und brachten bald viel mehr als nur Purpur vom einen Ende der Welt ans andere12. Wertvolle Hölzer, Eisenerze, hochwertiges Leder, edler Schmuck und scharfe Klingen kamen dazu und waren ebenso beliebte Waren13.

      (7) Vor allem an den Küsten errichteten die Alten nun kleine Stützpunkte mit kleinen Häfen, Werkstätten und Lagergebäuden. Sie schmolzen das Eisen aus dem Gestein, kultivierten das Land herum und hielten Markt. Hinzu kamen Manufakturen: Die Kaufleute hatten nämlich die Erfahrung gemacht, dass sich hochwertige Materialien und fertig hergestellte Produkte besser vermarkten ließen, als das unbehandelte Holz oder die rohen Metallerze. Zudem war es ertragreicher, wenn die Ware selbst verarbeitet wurde14.

      (8) Einige Kaufleute, Handwerker und ihre Familien blieben nun dauerhaft der Heimat fern. An besonderen, von der Natur begünstigten Orten, waren ganze Städte neu gegründet worden15. Meist lagen sie wie Tyros auf einer der Küste vorgelagerten Insel oder Halbinsel16. Von den eigenen Schiffen waren sie leicht anzusteuern und in der Not gut gegen Piraten zu verteidigen. Mit den Einheimischen aus dem Umland gab es selten Probleme, die meisten waren froh über die Waren, die meine Vorfahren heranschifften oder vor Ort herstellten17. Die Schätze Libyens, Numidiens, Siziliens, Mauretaniens und Iberiens waren durch die Schiffe aus den tyrischen Landen nun überall erhältlich.

      (9) In manchen Gegenden wurden meine Ahnen auch so etwas wie die Ausbilder und Zieheltern der umliegenden Städte und Stämme. Vor allem die Erben des Königs Agamemnon, die hellenisch sprechenden Bewohner der östlichen Inseln, die nach dem Zusammenbruch ihres Reiches nur noch ein Schatten ihrer selbst waren, nahmen sich ein Beispiel an den Händlern und Handwerkern aus Phönizien. Sie eigneten sich deren Buchstaben und Zeichen an, denn die eigene Schrift hatten sie zusammen mit ihren Königen verloren. Wissbegierig erlernten sie auch die Kunst der Verarbeitung von Eisen und des Schiffbaus. Und an vielen Orten begründeten sie kleine Gemeinwesen mit eigener Verfassung und einer Stadt als Zentrum, wie es meine Vorväter seit Generationen taten18.

      (10) In diesen Jahren des Aufbruchs19 wurde auch Karthago gegründet. Einige der großen Familien aus Tyros hatten die einzigartige Lage, unweit Siziliens, auf halbem Weg nach Iberien an der Küste Numidiens, auf einer Landzunge inmitten einer Bucht, erkannt. Zwar gab es mit Utica bereits eine etwas ältere Siedlung in der Nähe, doch hatte sich der dortige Hafen auch für tyrische Seeleute als nur umständlich zugänglich erwiesen. Also wurde eine Expedition ausgeschickt. Den Erzählungen der Alten nach wurde sie von Sychea und seiner Frau Elyssa aus dem tyrischen Königshaus geleitet20.

      (11) Die Numider überließen den jungen Siedlern großzügig so viel Land, wie sie mit einer ledernen Schnur aus einer Kuhhaut umspannen konnten. Dieser erste Flecken karthagischen Landes umfasste damals den Hang des Byrsa-Hügels21 mit dem Ausblick auf die Krone des Herakles, die Zwillingsberge22 mit ihrem uralten Heiligtum und das spätere Hafenareal. Aus Utica kamen Gesandte und versprachen den Siedlern praktische Hilfe in allen Dingen. Im Gegenzug sollten die Neuankömmlinge auch auf numidischem Boden regelmäßig Markt halten und ihren Hafen für die Kaufleute aus Utica öffnen.

      (12) Nur kurze Zeit später verstarb Sychea gerade als er dem Flecken Land, der „Neuen Stadt“, wie er ihn nannte, eine Verfassung gegeben hatte23. Nun verblieb es allein an Elyssa, diese neue Stadt, das später so große Karthago, zu erbauen.

      (13) Ihrem Mann zu Ehren entwarf sie von Anfang an eine großartige Stadt; mehrfach liefen die allerersten Straßen um den Byrsa-Hügel, ehe sie parallel zur Küste für die Häfen das Land erschlossen24. Das Umland ließ sie zur Freude der Einheimischen kultivieren und bewässern. Man freundete sich mit den Siedlern an, diese gaben weiteres Land zur Besiedlung frei und brachten aus dem Binnenland Waren auf den neuen karthagischen Markt25. In wenigen Jahren hatten schließlich 2.000 Tyrer eine neue Heimat in Karthago gefunden, weitere 5.000 Menschen strömten in nur fünf Jahren26, zumeist aus Numidien, in die „Neue Stadt“. Karthago war eine Erfolgsgeschichte27!

      (14) Im römischen Senat wurde später, nachdem man die Kriege gegen Karthago geführt hatte, eine seltsame Variante über die karthagischen Gründerjahre verbreitet. So sollte Elyssa nach dem Tod ihres Mannes einem umherirrenden Flüchtling aus Troja verfallen sein, der sie wieder verließ, um danach in Latium die Stadt Rom zu gründen. Aus Liebeskummer habe sie daraufhin alle Römer verflucht und sich selbst das Leben genommen28.

      (15) Nun ist diese Geschichte nicht nur für den Kenner der alten Zeiten leicht als ungeschickte historische Fälschung zu erkennen, mit der in Rom die eigene Stadt wohl als ebenso traditionsreich wie Karthago dargestellt werden sollte. Schließlich wurde Rom erst zwei lange Generationen nach Karthago gegründet29 und blieb über ganze Zeitalter eine kleine unbedeutende Ansammlung von Holzhütten. Und mit den alten Trojanern30 in Italien sollte Karthago keine kurze Liebschaft, sondern eine lange andauernde, ertragreiche Partnerschaft verbinden. An Feindschaften oder sogar Flüchen hatten die nüchternen und beherrschten karthagischen Kaufleute und Politiker zudem noch nie Interesse gehabt. Es scheint mir, als sollten mit dieser Geschichte einer erfundenen Erbfeindschaft nur die späteren Kriege des römischen Senats gegen die Stadt meiner Vorväter gerechtfertigt werden.

      (16) In Wahrheit war Elyssa ein langes, erfülltes Leben beschieden. Als sie sich in hohem Alter von Krankheit und Schmerzen befreite und das Leben nahm, war dies auch keine Verzweiflungstat, wie in der römischen Erzählung.