Die Entleerung des Möglichen. Reinhold Zobel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhold Zobel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753181400
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aber in Oskars Augen fehlt ihm jeder Sinn für das Machbare.

       "Du magst ihn nicht, weil ich ihn mag."

       "Unsinn. E s ist nur leider jemand, der schon in frühen Jahren keinen Fehlstart ausl ässt."

       "Man kann einen K ü nstler doch nicht nach seiner Alltagstauglichkeit beurteilen."

       "Man kann schon, zumal er sich selber ja als Realist auslobt."

       "Das bezieht sich auf sein Werk."

       "Sein Werk? Schon diese Bezeichnung erscheint mir mißraten . Von einem Werk kann man vielleicht reden, wenn der Knabe nfzig ist. Falls er dann ü berhaupt noch malt. Außerdem, Menschen wie er definieren Wirklichkeit doch hauptsächlich ü ber Ausstellungskataloge."

       "Dann nenne es sein Schaffen. Außerdem neidest du ihm ja nur seine Jugend und seine Frische?"

       "Darum geht es hier nun wirklich nicht."

       "Nein, es geht um deine selbstgerechten Ma ß stä be."

       "Ich bin kein Kulturbanause, Stänzchen, aber ich nehme mir das Recht, das Leben zu verteidigen, das du und andere gern profan nennen."

       "Tatsache ist jedenfalls, dass du von Kunst nicht viel verstehst."

       "Was weisst du schon von Tatsachen!”

       "Ihr habt doch nicht etwa Streit miteinander?”

      Timo ist in das Wohnzimmer getreten. Er blinzelt schläfrig. Er hat gerade sein Nickerchen beendet. Er kommt barfuss, nur in Shorts die Treppe herunter. Das Haar hängt ihm wirr in die jungenhafte Stirn. Er sieht, wie Constanze es ausdrücken würde, zum “Knuddeln” aus und sorgt vorübergehend für eine Prise Entspanntheit.

      Constanze lächelt, wie sie für ihn, Oskar (so geht es diesem trotzhalber durch den Kopf) niemals lächeln würde. Er setzt dem Erscheinen des Freundes eine Frage entgegen, die, das wird ihm selber rasch bewusst, gleichermaßen als Aufforderung an sich selbst gedeutet werden könnte.

       "Aufgetankt?"

       "Ja, danke der Nachfrage ."

       "Soll ich dir eine starke Tasse Kaffe kochen,Timo?"

       "Das w ä re fein, Conny."

       "Warum nicht uns allen, Schatz?"

       "Schon gut, obwohl du eher Wasser und Brot verdient h ättest."

       "Nun vertragt euch mal wieder. Streit macht h ä sslich."

       "Oskar f ü rchtet um unser aller Wirklichkeitssinn. Dabei sollte er lieber ö fter einmal sein Herz sprechen lassen ."

       "Das hat bei mir eine mehr vegetative Funktion."

       " Oskar ist Baumeister, Conny, er sieht die Dinge eben vorzugsweise pragmatisch."

       "Wenn es nur das w ä re. Aber er hat häufig das Einf ü hlungsverm ö gen einer Mikrobe.”

      Zu Mittag gab es Fisch. Er sagte es sich gestern, und er sagt es sich heute: seine Frau hat gerade einen schlechten Tag. Sie haben beide gerade einen schlechten Tag. Manche Tage stinken eben. Irgendwann, spricht er zu sich selbst, wirst du es aufgeben. Spätestens dann, wenn jede weitere Gegenrede zwecklos geworden ist. Oskar schweigt zur Vorbereitung schon einmal, schluckt einen unausgesprochenen Satz hinunter. Er kippt den Stuhl zurück in die stabile Ausgangslage. Wenn Wissen Macht ist, was ist dann Besserwissen?

      Was geschieht, als Constanze im Zuge der Kaffee-Vorbereitung den Raum verlässt? Oskar empfängt einen überlangen Blick. Und zwar von Timo. Er wird gleich etwas sagen, denkt er und will seinem Freund darin zuvorkommen.

      "Magst du dir nicht etwas überziehen?"

      “Ja, tu ich gleich.”

      Vorher setzt Timo sich aber noch, auf keinen Stuhl, sondern auf die unterste Treppenstufe, wo er, den Kopf in die Handflächen, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, in einer Art Rodinscher Denkerpose verharrt.

      Die Sonne klettert warm und seidenmatt durch die Fenster und seift ihnen die Köpfe ein. Wenn Timo nachdenkt, findet Oskar, bekommen seine Gesichtslinien etwas Maureskes. Oskar öffnet die Terrassentür. Es verspricht ein gnädig schöner Tag zu werden.

      Timo gibt dann, nicht ganz unerwartet, ein paar Ratschläge, wie es, seiner Vorstellung nach, möglich wäre, den Frieden im Hause wiederherzustellen. Oskar hört sich den Beitrag kühl und schweigend an, doch hat er was gegen Friedensstifter. Timo ist aber nicht beharrend, flicht stattdessen neue Motive in das hinein, was man einen Dialog zwischen ihnen nennen könnte, was zunächst aber keiner ist.

       "Wenn man dich manchmal so reden h ö rt, Os s, klingt es, als seist du ein Feind der K ünste."

       "Du hast also von oben gelauscht?"

       "Zum Teil, ich gebe es zu. Euer Gespr ä ch war ja laut genug."

       "Hm."

       "Dabei f ä llt mir ein, warst du fr ü her nicht einmal sehr eng mit einem Maler befreundet? Und hattet ihr nicht sogar gemeinschaftliche Spitznamen: Max und Moritz?"

       "Woran du dich alles erinnern kannst "

       "Was ist eigentlich aus ihm geworden?"

       "Aus dem Maler? Weiß nicht. Er hat sich von mir abgewandt."

       "Und warum?"

       " Keine Ahnung, vielleicht weil er eines Tages erkannt hat, dass ich in Wahrheit doch ein Volltrottel bin.

      *

      Ein Scheinwerfer blendete ihn, als er die Augen aufschlug.

      Der Scheinwerfer war die Sonne. Langsam gewannen seine Gliedmaßen an flugtauglicher Höhe. Er hatte den Abend zuvor ein längeres Gespräch mit Garcia-Varga geführt. Sie gingen sonst nicht zusammen nach der Arbeit noch irgendwohin. Dieses Mal hatten sie es getan. Ins Chez Ginot. Es war das erste Mal, dass Oscar in Begleitung hierher ging.

      Veränderungen standen ins Haus. Große Veränderungen.

      Der Wiener würde das Rapzodie verlassen. Bald schon. Man hatte ihn vor die Tür gesetzt. Mohun hatte das getan. Die Dienste eines Eintänzers waren hier nicht länger gefragt. Denn das neue Rapzodie war nicht mehr dasselbe. Das Publikum auch nicht. Das Niveau war, wie der Wiener es nannte, zotig geworden, die Ausstattung teurer, das Programm ein anderes. Es kamen nunmehr betuchte Männer, und junge Mädchen waren da, und sie taten alles, was sie taten, gegen Bezahlung. Es gab ferner einen Barmixer sowie weibliche Bedienung. Nur Oscar spielte vorläufig noch dieselben Stücke.

      “Ich bedaure, dass Sie gehen müssen.”

      “Ich wäre ohnehin nicht geblieben, nicht aus freien Stücken.”

      “Ich denke, ehm, ich kann Sie recht gut verstehen.