Ich starrte seitlich an der Wand entlang, Tränen kullerten über mein Gesicht.
»Was ..., was wollen Sie von mir?« Mein Körper zitterte so stark, dass ich in diesem Moment mit einem Cocktail-Shaker in der Hand unfreiwillig die herrlichsten Getränke hätte zaubern können.
Als ich die Hand des Mannes an meinem Kinn spürte, zuckte ich völlig verängstigt zusammen. Er griff zu und drehte meinen Kopf ruckartig nach vorne.
»Nimm das Telefon!« Seine Gesichtszüge schienen erstarrt zu sein, einzig ein leichtes Zucken in den Mundwinkeln verriet seine innere Anspannung.
Ich ballte die Hand zur Faust, öffnete sie wieder und bewegte sie in Richtung des schnurlosen Telefons. Als ich nach dem Hörer griff, berührte ich auch die Finger des Mannes und spürte eine extreme Kälte durch meine Glieder fahren. Ich riss meine Hand mitsamt des Telefons zurück und stieß dabei einen leisen Schrei aus. Mein Mund zitterte, Tränen rannen ungebremst aus meinen verweinten Augen.
»Und jetzt ruf deinen Daddy an!« Er sprach leise und ohne jegliche Betonung. »Dein Vater wird für seine Verbrechen bezahlen müssen. Er ist schon viel zu lange verschont worden.«
Ich sah ihn verunsichert an. Was redete der Kerl denn da? Mein Vater…? Nach einem kurzen Zögern hielt ich das Telefon vor mir hoch und tippte mehrere Ziffern ein. Ich wischte mir mit dem Handrücken die Tränen ab und hielt den Hörer ans Ohr. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis am anderen Ende der Leitung jemand abnahm.
»Daddy?... Ich bin’s ... nein, mir geht es ... gut.« Ich wischte mir erneut die Tränen ab und versuchte krampfhaft, mich zusammenzureißen.
»Daddy, ich bin von einem Mann gekidnappt worden. ... Nein, er hat mir nichts getan, ... ich weiß nicht, was er will ...«
Der Mann streckte mir seine rechte Hand mit der Handfläche nach oben entgegen.
»Er will mit dir sprechen, Daddy. Bitte, ...hol mich hier raus, ...ich habe solche Angst, Dad. Bitte, ... hilf mir ...«
Der Mann nahm mir das Telefon aus der Hand. Ich schlug die Hände vor das Gesicht und rutschte an der Wand hinunter zu Boden. Mein eigenes Schluchzen war jedoch das einzige Geräusch, das ich in diesem Moment hörte. Hatte der Fremde das Gespräch unterbrochen? Ich zwang mich, zu ihm aufzusehen. Er stand einen halben Meter von mir entfernt und hatte das Telefon gegen sein rechtes Ohr gepresst. Sein Mund war geöffnet, als versuchte er zu sprechen, aber er brachte kein Wort heraus. Er schloss den Mund und schluckte. Erneut öffnete er den Mund um zu sprechen, doch das Zittern seiner Mundwinkel verriet sofort, dass auch dieser Versuch erfolglos enden würde. Er nahm das Telefon von seinem Ohr weg und drückte ohne hinzusehen eine Taste. Sein Mund stand noch immer offen.
Ruckartig drehte er sich um und ging mit schnellen Schritten zur Tür. Als er sie hinter sich ins Schloss warf und den Schlüssel umdrehte, hatte die Dunkelheit wieder Besitz von mir ergriffen. Was war das denn jetzt gewesen? Völlig verunsichert kauerte ich an der hinteren Mauer und blickte irritiert zur Tür hinüber. Krampfhaft versuchte ich zu verstehen, was gerade geschehen war, doch mit dieser Situation war mein Bewusstsein völlig überfordert.
Kapitel 8 (Steve Delaney)
Als ich das Haus der Familie Simms betrat lag die Anspannung greifbar in der Luft. John und Pamela Simms sahen mich hilflos an und wussten nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten. Keine Eltern sollten ihre Kinder verlieren – weder durch Tod noch durch eine Entführung, denn Eltern werden in solchen Situationen völlig kopflos. Ich war seit über zwanzig Jahren im Dienst des Los Angeles Police Departments und hatte schon verdammt viel erlebt, aber nichts war so emotional und aufwühlend wie Fälle, bei denen es um Kinder und Eltern geht.
Mein Name ist Steve Delaney, ich arbeite im Rang eines Lieutenants für die ‘Major Case Squad’ von Los Angeles – eine Spezialeinheit, die zur Bekämpfung aller Arten von Schwerverbrechen eingesetzt wird. Mord, Entführung, Geiselnahme; das sind die Delikte, bei denen wir zuständig sind.
Vor zwei Stunden war die Akte ‘Heather Simms’ auf meinem Schreibtisch gelandet: Eine junge Schauspielerin, die auf dem Weg nach Hause gekidnappt wurde; verbunden mit einer Kontaktaufnahme des Entführers, die etwas… nun sagen wir ‘ungewöhnlich’ verlaufen war.
Ich saß auf dem dunkelbraunen Sofa der Familie und machte mir einige Notizen, während John Simms unruhig im Wohnzimmer auf und ab ging und dabei nervös mit seinem Ehering spielte.
»Und der Entführer hat am Telefon kein einziges Wort gesagt?«, fragte ich, als ich meinen Notizblock auf den Tisch legte und Heathers Vater verwundert anblickte.
»Nein, nicht ein Wort.« John Simms schüttelte energisch den Kopf. »Aber die Verbindung war nicht unterbrochen. Ich habe deutlich sein Atmen gehört. Was will dieses Schwein nur von meinem Mädchen?«
Er sah mich fragend an, doch ich konnte nur leicht mit den Schultern zucken.
»Das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, aber wir werden alles daransetzen, um das herauszubekommen, Mr. Simms. Was hatten Sie bei dem Telefonat für einen Eindruck von Ihrer Tochter? Wie hörte sich ihre Stimme an?«
»Sie war aufgeregt und auch völlig verängstigt. Ihre Stimme hat total gezittert.«
»Hatten Sie den Eindruck, dass er ihr etwas angetan haben könnte?«
John Simms schüttelte unmerklich den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Sie sagte mir, dass es ihr gut ginge. Ich habe auch noch einmal nachgefragt, ob ihr jemand wehgetan hätte, aber sie verneinte dies. Sie war sehr aufgelöst, aber ich glaube, das hatte ausschließlich mit ihrer Angst und nichts mit irgendwelchen Schmerzen zu tun. Zumindest rede ich mir selbst dies bei jeder Gelegenheit ein.« Er sah mich mit großen Augen hilfesuchend an.
»Wissen Sie, ob ihre Tochter irgendwelche Feinde hat? Irgendjemand, der Streit mit ihr hatte; vielleicht ein Ex-Freund, den sie verlassen hat?«
John Simms setzte sich auf das Sofa. »Nein, Heather ist überall sehr beliebt. Sie hat keine Feinde. Und sie hat auch keinerlei gebrochene Herzen hinterlassen, die sich jetzt an ihr rächen wollen.«
»Mrs. Simms, hat Ihre Tochter Ihnen gegenüber vielleicht mal etwas von Problemen mit anderen Menschen erzählt, oder von Ängsten, die sie hatte? Von irgendwelchen Ereignissen, die ungewöhnlich waren? Alles kann hilfreich für uns sein, auch wenn es Ihnen noch so unwichtig erscheinen mag.«
Pamela Simms starrte abwesend aus dem Fenster hinaus zur Straße, als erwartete sie, dass ihre Tochter jeden Moment auftauchen und sich alles als ein großes Missverständnis herausstellen würde. Ich wollte meine Frage gerade noch einmal wiederholen, als sie mir ohne den Blick von der Straße abzuwenden mit leiser Stimme antwortete.
»Nein, Lieutenant. Sie hat mir nichts von irgendwelchen Problemen erzählt. Aber ich weiß auch nicht, ob sie das getan hätte. Wissen Sie, wir zwei verstehen uns wirklich sehr gut, aber ab einem bestimmten Alter erzählen Töchter ihren Müttern trotzdem nicht mehr alles…«
Sie drehte langsam den Kopf und zeigte ein trauriges Lächeln. »Kleine Mädchen werden groß und fangen an, ihr eigenes Leben zu leben. Wir sind immer noch Freundinnen, aber dennoch ist es anders, als es vor einigen Jahren noch war. Haben Sie Kinder, Lieutenant?«
Ich sah sie nachdenklich an und nickte. »Eine Tochter; sie ist acht Jahre alt.«
Pamela Simms schenkte mir ein etwas gefasster wirkendes Lächeln als zuvor. »Dann werden Sie in einigen Jahren sicher verstehen, was ich meine.«
»Ich kann es mir schon jetzt gut vorstellen. Falls Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte, was uns weiterhelfen könnte, dann geben Sie uns bitte umgehend Bescheid.«
Ich wartete auf ein zustimmendes Nicken von Pamela Simms, doch ihre Augen fixierten bereits wieder erwartungsvoll den Eingangsbereich ihres Vorgartens.
Ich sah zu einem Kollegen herüber,