Treulose Seelen. Christian Milkus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Milkus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742746894
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knackte hinter ihm ein Ast und Melacho fuhr erschrocken herum. »Eure Hoheit, so ganz allein hier im Wald?«

      Die Stimme des Mannes, der sich ihm unvermittelt gezeigt hatte, deutete bereits an, dass er noch jung war. Der König musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er hatte dunkelbraunes, ungepflegtes Haar, was ihm etwas in sein Gesicht fiel. Das Licht des Feuers offenbarte sogar rote Unreinheiten auf seiner Haut. Er war nicht sonderlich groß, doch schlank. Der junge Mann, falls er überhaupt schon einer war, trug einfache Kleider. Doch das vielleicht faszinierendste an ihm waren seine Augen. Vielmehr die Narben auf der Haut um seine Augen herum. Melacho dachte daran, dass es so aussehen könnte, wenn jemand eine lange Zeit direkt in die Sonne blickte. Oder in Feuer.

      »Bist du für die Flammen verantwortlich?«, fragte er den Jungen, sein erster Schrecken war allmählich gewichen. Dieser sah zur feurigen Wand und machte eine abwehrende Geste.

      »Das ist nicht mein Geschmack, ganz und gar nicht. Wie es der Zufall so will, wollte ich genau mit dir sprechen.«

      Melacho runzelte die Stirn. Er überlegte, ob dies ein Mitglied der Familie Fingrabor sein konnte, der sich seinen Spaß mit ihm gönnte. Es verärgerte den König ungemein, dass dieser Knilch ihm nicht den gebührenden Respekt erwies. Bedrohlich ging er auf den Jungen zu.

      »Sieh zu, dass du zurück zu den deinen kommst! Wenn ihr auf die Knie vor mir geht, verschone ich sogar euer Leben. Falls mir danach ist.«

      Jetzt lächelte der Fremde freundlich. »Das ist ganz offensichtlich ein Missverständnis. Ich bin keiner von der früheren Herrscherfamilie, keinesfalls! Sie waren zwar einer der Gründe, weshalb ich mich hier aufhalte, doch du, ja du Melacho, bist der eigentliche Zweck meines Besuchs!«

      Melacho war sich langsam sicher, dass der Junge verrückt war, nicht richtig im Kopf. »Und was könnte ein Bursche wie du von mir wollen?«, fragte er. Der König wollte das Spiel mitspielen. Solche Menschen konnten schnell gefährlich werden und er legte es nicht darauf an, einen bescheuerten Jungen zu töten. Dieser verbeugte sich nun vor ihm.

      »Die bekannte Welt!« Melacho wollte das Wort ergreifen und ihm erklären, dass diese nicht zu verschenken war, doch der Junge hob die Hand. »Lass mich erklären: Ich habe der Familie Fingrabor Hilfe zugesagt, dich zu stürzen. Sie sind eine stolze Familie, von Generation zu Generation wurde einzig der Hass auf das Geschlecht des Hattovans vererbt. Keine Münzen. Aber das habe ich nur getan, um dich herzulocken! Ich hätte ihnen niemals irgendetwas gegeben, diesem dreckigen Pack. Doch ich benötigte deine Aufmerksamkeit!«

      Für voll nahm Melacho ihn schon nicht mehr, jetzt wurde es jedoch noch unterhaltsam. Auch wenn er sich gern angehört hätte, wie diese Geschichte weiterging, so wollte der König zu seinen Männern. Er musste sichergehen, dass Abaro und Calansir in Ordnung waren.

      »Sehr ambitioniert für einen Burschen. Doch ich kann mich nicht länger mit dir aufhalten. Geh, bevor ich es mir anders überlege und dich niederstrecke!«

      Das Lächeln war nicht aus dem Gesicht des Jungen verschwunden, doch er formte mit seiner Hand einen Kelch und drehte diesen. Unter Melacho brach der Boden auf, die Erde wurde weich und er versank wie in einer Schlammgrube. Der König wusste nicht, wie ihm geschah, doch eines war eindeutig: Der Junge war doch ein Begabter. Seine Hilfeschreie wurden von dem Magier ignoriert, währenddessen versank Melacho immer weiter, er steckte bereits bis zu den Hüften in der Erde, die einfach ihren festen Zustand verloren hatte. Der König versuchte, mit seinem Schwert in den noch stabilen Boden zu bohren, um sich festhalten zu können. Doch auch an der Stelle wurde die Erde weich und er fand keinen Halt.

      Erst jetzt stoppte der Junge seine Bewegung und somit sank auch Melacho nicht tiefer. Er hörte auf, um Hilfe zu betteln, sondern blickte hoch zu dem Begabten, der nach wie vor lächelte.

      »Ich denke, dir ist jetzt bewusst, dass ich kein einfacher Bursche bin. Du musstest einfach nur deinen rechtmäßigen Platz in der Welt finden: unter der Erde. Nicht wahr, Melacho?«

      Der König fürchtete sich so sehr, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Hätte er auf Abaro gehört, wäre dies niemals passiert und er wäre in Sicherheit. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als nun das Spiel dieses Jungen zu spielen. Er wollte am Leben bleiben.

      »Ja.«

      »Ja ...?«

      »Ja, Begabter.«

      Der Junge schüttelte den Kopf. »Nah dran, aber darauf wollte ich nicht hinaus. Ich bin von nun an dein Herr und Meister. Also hast du mich auch so anzusprechen.«

      Alles in Melacho sträubte sich, doch er wusste, dass er ihm nachgeben musste. »Ja, Meister

      »Sehr gut. Du musst nicht viel über mich wissen. Das Feuer wird gleich verschwinden und deine Freunde kehren zu dir zurück. Ihr werdet den Landsitz angreifen und die Familie Fingrabor vernichten. Anschließend kehrt ihr zurück nach Jerobina. Dort wirst du einen Mann, es ist mir gleich, wer er ist, in das Geheimversteck deiner Vorfahren führen. Dort wirst du ihn töten und warten. Hast du verstanden?«

      Der König hatte nicht verstanden. Was dieser Junge, oder was auch immer er war, von ihm wollte, war verrückt. Doch es war alles zu real, um einfach nur ein Traum zu sein. Und Melacho wusste, dass er es bereuen würde, wenn er es nicht tun würde.

      »Ja, Meister.«

      »Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Jedoch wirst du warten, bis deine beiden Freunde die Stadt verlassen haben. Erst dann wirst du meinen Auftrag ausführen.«

      Melacho stutzte. »Warum sollten sie Jerobina verlassen? Sie sind meine Hauptmänner, meine Freunde!«

      Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Jungen. »Hinterfrage mich nicht. Und erweise mir den Respekt, der mir zusteht.«

      Die Hand, die er zuvor noch wie einen Kelch gehalten hatte, ballte er nun zu einer Faust. Gleichzeitig spürte Melacho den Schmerz. Die Erde, in der er sich befand, presste auf seine Beine, als hätte sie ein Steinblock aus hundert Metern Höhe getroffen und zerquetscht. Er schrie so laut in die Nacht hinein, dass man ihn bis in das Landhaus hören musste. Der Schmerz pochte in ihm und der König fühlte eine erlösende Ohnmacht. Da öffnete der Begabte die Faust wieder und die Qualen waren mit dieser verschwunden.

      »Verzeiht mir, Meister«, presste Melacho hervor, der Blut in seinem Mund schmeckte. Der Blick des Jungen blieb eisern.

      »Wir haben einiges zu tun, Melacho. Bis dahin.«

      Die nächsten Stunden erlebte der König wie einen Fiebertraum. Er meinte, sich daran erinnern zu können, dass Calansir als erster durch die nachlassenden Flammen gesprungen gekommen war, ein wildes Lachen im Gesicht. Abaro, der ihm auf die Beine half. Die Hilfeschreie von Frauen und Kindern, das Betteln eines alten Mannes. Er sah ein Schwert, was hoch und runterzuckte, immer und immer wieder, bis der Stahl vor lauter Blut nicht mehr länger zu sehen war. Grölende Jubelrufe, ein Fest. Wein, gebratenes Fleisch, andere Speisen. Ein einsames Bett in einem Zimmer.

      Melacho war am nächsten Tag schweißgebadet erwacht und atmete pustend. Er hatte es tatsächlich für einen Traum gehalten. Bis er sein Zimmer verlassen und erkannt hatte, dass er sich im Landhaus befunden hatte. Alles zuvor war tatsächlich geschehen.

      Unverzüglich hatte er angeordnet, dass sie zur Hauptstadt zurückkehren sollten. Diesen schrecklichen Ort musste er hinter sich lassen. Niemand von ihnen hatte auf dem Heimweg viel gesprochen. Melacho hatte sich vorgenommen, niemals mit jemandem darüber zu sprechen, was er gesehen hatte. War ihm zuvor noch der Gedanke gekommen, diesen Begabten zu jagen und hinrichten zu lassen, hatte er schon während des Rückwegs solche Hoffnungen aufgegeben. Man hätte ihn für verrückt gehalten, so wie er den Jungen.

      Abaro war noch zurückhaltender und schweigsamer als zuvor geworden. Er ritt oft nicht mit ihm oder Calansir, sondern hielt sich an anderen Standorten der Armee auf.

      Und der Hüne hatte offenbar noch mehr Blut geleckt, als zuvor schon. Jede Disziplinlosigkeit hatte er mit drakonischen Strafen belegt und einfache Straßendiebe waren froh, mit dem Leben davongekommen zu sein.

      Deshalb und da Melacho so schnell wie möglich in die