„Weißt du“, rief Luzifel ihm nach, ohne sich ihm zuzuwenden, „warum Gott ’ne Frau is’?“
Michael dachte nach und antwortete: „Sie ist eigentlich weder das eine, noch das andere, kann aber beides sein.“
„Jetzt is’ sie ’ne Frau.“
„Ja und?“
„Das is’ sie nur wegen mir, Kleiner. Nur wegen mir.
Ihr nennt mich den Schönsten aller Engel, doch warum gab mir Gott diesen Körper? Und sich selbst den einer Frau?
Jetzt rate ma’ das kleine Geheimnis, Bruderherz. Wenn wir Engel Gott ja immer zu Diensten sein sollen, kann ich mich nicht dem verweigern. Ich muss tun, was sie will.
Bin ich nur dazu gut? Ihr willenloses Spielzeug, das ohne Widerrede für sie tötet.
Aber ich hab genug davon.“
Obwohl ihm der gequälte, ja beinahe furchtsame Ton in seiner Stimme auffiel, seufzte Michael bloß träge und fuhr durch sein blondes Haar. „Du redest wirr. Vielleicht solltest du aufhören, zu trinken. Du bildest dir zu viel ein, Lou.“
Schwerfällig betrat Luzifel das Wohnhaus seines Gutshofes. Der Wein war zur Neige gegangen. Den Inhalt hatte er wie Wasser getrunken, damit der Alkohol ihn benebelte, sonst wäre er vor Zorn geplatzt! Und zeitgleich vor Trauer in Tränen ausgebrochen.
Keiner glaubte ihm. Nicht einmal dieser Bruder. Der Verräter. Der Kleingeistige.
Er wollte ihn ins Vertrauen ziehen, den Ballast von seiner Seele lösen, und was sagte der?
Du bildest dir zu viel ein.
Oh, er wollte so sehr schreien ...
„Samael?“, fragte er leise nach dem Getreuen.
Die Stille antwortete. Der Malach war wohl nicht zugegen. Gut. So sparte er sich die Erklärung ihm gegenüber. Bestimmt hätte der unwissende Junge es nicht ertragen können, ihn in seinem delirierten Zustand zu sehen.
Erschöpft warf er seinen matten Körper auf die nächstbeste Liegestatt und ließ den Rausch seine Wirkung entfalten, bis sie denn irgendwann verflog. Dabei wollte er mehr, um die Gedankenflut in seinem Kopf auszulöschen. Um zu vergessen, was war ...
Da hörte er sie sprechen.
„Ach je. Ein feiner Engel bist du. Riechst nach Blut und Wein. Ich war schon mal Besseres von dir gewohnt, mein hübscher, kleiner Luzifel.“
Er sah auf. Neben ihm stand Gott. Trotz der Dunkelheit der geschlossenen Fenster umgab sie zartes Gesicht ein leuchtender Schein und das goldene Haar fiel lang bis zur schlanken, weiß umhüllten Hüfte.
„Ich habe gehört, was du heute im Tribunal gesagt hast. Auch habe ich belauscht, was du diesem Grigori anvertraut hast. Selbst das heimliche Gespräch mit deinem Bruder habe ich vernommen.“ Ihr charmantes, fast kindliches Antlitz lächelte lieblich.
„Wundert mich nicht“, lachte er ironisch und drehte sich in das Polster. „Deine Ohren sind ja überall, Jahwe. Niemand ist frei von dir. Ich erst recht nicht.“
„Mein Name klingt so schön von deinen Lippen, selbst wenn sie trunken sind.“
Er fühlte, wie sie durch sein Haar, über den Nacken und das Rückgrat strich. Diese Berührungen wurden ihm schon lange unangenehm. Trotzdem musste er sie zulassen. Es stand ihm nicht zu, sie abzulehnen. Seinen Gott abzulehnen.
Immerhin schien ihr seine verkrampfte Haltung aufzufallen.
„Du grübelst zu viel, Luzifel. Keine Überraschung, dass mein schöner Junge glaubt, seinen Verstand zu verlieren, wenn er nur über so schreckliche, sorgenvolle Dinge nachdenkt. Es betrübt mich, dein Herz an diesen Nebensächlichkeiten so hängen zu sehen. Vergiss sie.“
„Warum rätst du mir das?“, fragte er und hoffte inständig, dass ihr das Beben seiner Stimme verborgen blieb.
„Weil dein Herz allein mir gehört, mein Liebster. Schließe deshalb deine Augen, Luzifel, und vergiss deine Bedenken und Zweifel. Begehre nicht gegen mich auf. Ich bin dein Gott.“
Machte der Wein ihn schläfrig? Wie konnte er müde sein?
Heiß spürte er ihren Atem an seinem Ohr.
„Ich bin hier, um dich zu beschützen, auch vor dir selbst. Gott ist immer an deiner Seite. Vergiss deine Sorgen, mein kleiner Engel. Dein Platz ist bei mir. Bleib mir treu und es wird dir bis in alle Ewigkeit an nichts mangeln.“
Bis in alle Ewigkeit?
Bis in alle Ewigkeit.
Ein Knecht.
Ein Diener Gottes.
Bis in alle Ewigkeit.
Wollte er das denn wirklich?
Seine Augenlider wurden schwer und schwerer.
„Schlaf, mein Luzifel. Mein Licht. Deine Sorgen werden im Schlaf vergehen.“
Nein, ich werde nicht ...
3
„Mein Fürst!“, hörte er Samael erschrocken rufen und unsanft wurde er aus der Schwärze seiner nichtssagenden Gedanken gerissen. Der Malach schüttelte ihn wie einen Obstbaum.
Benommen kam er zu sich und blickte in das blasse, angsterfüllte Gesicht seines Sekretärs. Was war denn passiert? Hatte er eine Tagung verpasst oder -
Samael wich von ihm zurück. „Herr, ist alles in Ordnung?“
Verdutzt bemerkte Luzifel, dass er am Boden seines Privatgemaches lag. Seine Kleidung war arg zerknittert, die Haare eine Katastrophe und der Körper schmerzte ihm von der Schieflage her. Als die Gedanken dahin kreisten, wie es dazu kam, dass er bewusstlos zusammengeklappt war, dröhnte ihm der Schädel.
Stöhnend rappelte er sich auf und wankte wie betrunken.
„Ich hab Euch hier vorgefunden. Ihr habt kaum geatmet“, erklärte Samael ohne Aufforderung.
„Wirklich?“ Sein Gedächtnis war getrübt. Nicht zum ersten Mal machte er diesen Umstand durch, doch noch nie war es so offensichtlich gewesen.
Kleine Lücken gut und schön, aber nun fehlten ihm ganze Episoden seines Verstandes. Er wusste noch, wie er nach Azilut eingeritten war und Michael ihn empfing – dann setzte alles aus. Wo waren die letzten Momente? Was war geschehen? Und warum schmeckte er den schalen Geschmack alten Weines auf der Zunge? Er wollte seine Erinnerung zurück!
„Soll ich den Rekruten sagen, dass Euch nicht wohl ist, mein Fürst?“, war Samael wieder der alles umsorgende Laufbursche, seine rechte Hand.
Die Rekruten? Ach ja, die Rekruten ...
Luzifel nahm seine verbliebenen Gedanken zusammen und erfasste die Situation. Er musste zur Visite der Gardekadetten nach Beriah und die Grünschnäbel sowie ihre Zugführer neu einweisen. Ein schlichtes Verfahren und seine Möglichkeit, den Küken zu zeigen, wer das Sagen hatte.
Es ging schnurstracks weiter im Dienstplan und für die Frage, was in seinem Kopf los war, gab es keine Zeit. Sowieso würde es niemanden interessieren. Keiner würde es ihm glauben.
„Nein, ist schon gut. Mir ist nur etwas schwindlig, das wird sich legen“, beruhigte er den Jungen. „Die Garde soll wie geplant bereitstehen.“
„Jawohl, Herr.“ Der Engel stand auf und wollte gehen.
„Sam?“
„Ja?“
„Du machst gute Arbeit, das weiß ich sehr zu schätzen“, lächelte er den Malach mild an. „Es freut mich, dass ich mich auf dich