Derartig schlecht, wie Luzifel von ihm dachte, musste mindestens auch Kamael ihn verurteilen. So gut sie konnten, versuchten sie einander aus dem Weg zu gehen.
Umso mehr stieß Luzifel die Galle sauer auf, als er das selbstgefällige Grinsen in dem spitzen Gesicht Kamaels erkannte, nachdem er den mächtigen Audienzsaal betrat. Der Kerl hoffte auf etwas und ihm würde das sicher nicht gefallen.
Michael ging zu den anderen Beratern seitlich des Raumes. Sein großer Bruder blieb mittig vor den zwei goldenen Pfeilern stehen, an deren Spitzen die opulenten Thronsessel der Zwillinge ihren Platz hatten.
In üppig-prachtvolle Gewänder aus Gold, Rot und Weiß gekleidet, blickten Metatron und Sandalphon auf ihn herab. Der eine streng, der andere gutmütig.
„Fürst Luzifel Morgenstern, wir haben dich erwartet!“, fing Metatron an, mit orphischer Stimme zu sprechen und sein Zwilling setzt zärtlicher nach: „Willkommen zurück aus dem Totenreich.“
Luzifel nickte ruhig. Ihm war klar, bei wem er Sympathie hatte und bei wem nicht.
„Berichtet uns, was im Hades geschah“, sprachen die Zwillinge zeitgleich, jeder in seinem Ton.
„Wir verfolgten eine ziehende Gruppe Dämonen und vernichteten sie bis auf den letzten Mann“, blieb Luzifels Stimme monoton.
Metatron beugte sich vor und sein ewig junges, blassäugiges Antlitz wirkte ungehalten in Falten gelegt. „Sicher haben die Dämonen Widerstand geleistet?“
„Nein, es waren nur einfache Reisende. Sie konnten uns nichts entgegensetzen, wir hatten leichtes Spiel. Wie so oft“, verkniff er sich die Spitze keineswegs.
Sandalphons Miene vollzog ein zufriedenes Schmunzeln. „Somit war keiner unserer Krieger in ernsthafter Gefahr. Sie sind alle mit Euch heimgekehrt.“
„Nein, sind sie nicht“, stach Metatron seinen Zwilling aus, „es starb der Thron Tzaphiel.“
Raphael horchte auf und fragte: „Was ist passiert?“
„Ich tötete ihn“, gab Luzifel ohne Zögern zu.
Bei den Beratern herrschte aufgebrachtes Gemurmel und sein Bruder blickte beunruhigt zu ihm herüber, jedoch achtete Luzifel ihn nicht.
„Was rechtfertigt Eure scheußliche Tat?“, donnerte Metatron despotisch.
Luzifel nahm eine kühne, unbeugsame Pose ein und antwortete ausdrücklich: „Er stellte wiederholt meine Autorität als Führer der Garde infrage. Ich dulde niemanden in meinem Regiment, der glaubt, mich verspotten zu können.“
„Und das gibt Euch das Recht, einen Thron zu töten?“, fluchte Uriel empört.
„Die Garde ist mein Gebiet. Es liegt in meinem Ermessen, sie zu verwalten. Mischt Euch nicht in meine Angelegenheiten ein!“, zischte Luzifel klar zurück.
Sandalphon ergriff das Wort: „Gab es denn keinen anderen Weg, Euch Respekt zu verschaffen, Fürst Morgenstern? Selbst in Eurer Position ist ein Mord an einem ehrbaren Engel -“
„Ich wiederhole: Die Garde ist mein Gebiet. Ich befehle die Truppen und deren Einsätze.
Deswegen halte ich auch nicht viel davon, dass Metatron meint, gegen meine Order eine Garnison zusammenzustellen. Oder einen Hörigen wie Tzaphiel in meine Reihen einzuschleusen, um mich zu sabotieren. Wenn Ihr unbedingt meine Methoden auskundschaften wollt, reitet beim nächsten Krieg mit mir in die Schlacht und kämpft, statt nur hier rumzusitzen.“
Metatron erhob sich aus seinem Sitz und brüllte auf: „Was unterstellt Ihr dem Hohen Rat, Luzifel?“
Der blieb erstaunlich gelassen. „Unterstellen? Nennt mir einen Beweis, dass ich nicht die Wahrheit spreche, dann ziehe ich meine Behauptung zurück.
Es geht hier nicht nur um den Respekt meiner Soldaten, sondern auch um den des Rates. Als Mitglied dessen weise ich meinen geschätzten Kollegen darauf hin, keine Grenzen zu übertreten. Und meine Leute nicht noch einmal wegen einer solchen Lappalie ins Totenreich zu schicken.
Wir sind Krieger. Ausgebildet für den Krieg. Wir sind nicht dazu da, um Gottes Fehler auszumerzen.“
Auf dem Absatz kehrtmachend, wollte Luzifel den Saal verlassen.
Am Ausgang trat ihm Kamael entgegen. „Wie könnt Ihr es wagen, den Hohen Rat dermaßen zu brüskieren?“
Jedoch hatte sein Rivale keine Antwort für ihn parat, außer einem knurrenden: „Aus meinen Augen, Zweitrang!“, dann schob er ihn derb zur Seite.
Michael schickte sich an, eilends seinem Bruder zu folgen, der gerade wütend die Tür aufgestoßen hatte, als ihn Gabriel warnend aufhielt.
„Warte!“
Sie war der einzige weibliche Engel in der oberen Triade und von Gott persönlich sehr geschätzt. Wenn sie Gehör suchte, war es stets ratsam, es ihr zu geben.
„Was ist?“, fragte er zurück.
„Das frag ich dich. Was ist mit ihm los?“ Es war selbstverständlich, wen sie meinte.
Er hob abwertend die Hände. „Ach nichts. Er hat bloß seinen Moralischen heute. Ist wegen der Schlacht schlecht drauf. Bestimmt beruhigt er sich bald.“
Raphael murmelte in ihre Unterredung hinein: „Schöne Moral, er hat einen meiner Leute getötet.“
„Ich rede mit ihm, keine Panik“, beschwichtigte Michael beide. „Er wird sich einkriegen.“
„Wenn nicht, solltest du das Gott sagen“, riet Uriel streng. „Es ist nicht gut, wenn ein Engel mit seiner Macht plötzlich anfängt, durchzudrehen.“
„Behalte deinen Bruder besser im Auge, Michael“, drängt Gabriel ihn leise. „Ich beobachte seinen Wandel mit Sorge. Von ihm geht Gefahr aus.“
Kaum wieder außerhalb der weißen Mauern, landete Luzifel mitten in den bunten Feierlichkeiten der arglosen Stadtbewohner.
Jubelten die wirklich noch immer wegen dem kleinen Scharmützel? Na gut, seit dem letzten Krieg gab es halt keinen Grund mehr für ausgelassene Festlichkeiten. Da musste jeder Moment genutzt werden, der Anlass zur Fröhlichkeit gab.
Er schüttelte den Kopf und machte einen weiten Bogen um die lustige Gemeinde. Mit all dem selbstgerechten Pack wollte er nichts zu tun haben. Auch brauchte er jetzt weder Bewunderer noch Speichellecker. Was er brauchte, war ein wenig Zerstreuung.
Und wo die zu finden war, wusste er genau.
In Azilut bot sich dazu nur ein Ort an. Ein absoluter Geheimtipp, dessen Hüter er war. Alles nur wegen dem Rat, welcher meinte, dass solche Gelüste nichts in der Stadt Gottes zu suchen hatten. In Wilon, der ersten Himmelsphäre, fand man sie dagegen schon häufiger.
Luzifel ging die Hintergassen der Stadt entlang, wo es nicht mehr ganz so weiß glänzte oder in Silber und Gold schimmerte. Die Wege waren schmal, die Treppen steil und es herrschte eine Stille, die ihm erstaunlich gut tat. Zwar konnte man trotzdem über die Dächer hinweg leise das Echo des Trubels auf dem Platz vernehmen, aber das kümmerte herzlich wenig.
Drei, vier Ecken weiter erreichte er endlich ... die einzige Kneipe Araboths. Ohne anzuklopfen platzte er in den Raum und setzte sich an einen der vielen freien Tische.
Es gab ein gesetzliches Schema für alle öffentlichen Einrichtungen: Hauptsache Weiß. Daher waren Bibliotheken, Ausstellungshallen, Kasernen und jede Form von gastlichen Gewerben dazu verpflichtet, ihre gesamte Innengestaltung darauf auszulegen. Es zeugte von Mut – oder Größenwahn – davon abzuweichen und – wie hier – unlackiertes Holz und braune Tonkrüge vorzuweisen. Weinrote Vorhänge verdunkelten die Fenster und sperrten alles Licht aus, was den Ort zu einem gemütlichen, halbdunklen Plätzchen werden ließ. Eine Wohltat für strapazierte Sinne.
Hoffentlich