»Warum denn?«
»Ausgeschlossen! Das kenn ich nun einmal nicht anders: was ich vom Leib zieh, ist schon versoffen.«
Eine Mütze hatte er längst nicht mehr, der lustige Kamerad, auch keinen Gurt um den Rock und kein gesticktes Tuch – es war alles den Weg zum Juden gegangen.
Die Menge wuchs, neue Tänzer kamen hinzu: man konnte nicht ohne freudiges Herzklopfen sehen, wie alles mitgerissen wurde in den freiesten, wildesten Tanz, den die Welt kennt, und der nach den Männern, aus deren strotzender Kraft er geboren wurde, der Kosakentanz heißt.
»Ach, hätt ich nur den Gaul nicht da!« schrie Taras. »Mittanzen würd ich; gleich auf der Stelle tanzte ich mit, bei Gott!«
Inzwischen aber kamen auch gesetztere Leute heran, die für ihre Taten vom ganzen Lager geehrt wurden, alte Grauköpfe, die mehr als einmal zum Ältesten gewählt worden waren. Taras sah eine Menge bekannte Gesichter. Ostap und Andri lauschten auf die Begrüßungen: »Bist du das, Petscheritza?« – »Grüß dich Gott, Kosolup!« – »Wo karrt dich der Teufel her, Taras?« – »Woher kommst du, Doloto?« – »Sei mir gegrüßt, Kirdjäga!« – »Sei gegrüßt, Gusty!« – »Daß ich dich noch einmal seh, Remjon!« Die Recken, die aus den wilden Weiten von ganz Russland zusammengeströmt waren, küßten sich, und nun hob ein Fragen an: »Was macht Kassian?« – »Und Borodawka?« – »Und Kolopjer?« – »Und Pidßyschok?« Taras Bulba mußte hören, Borodawka wäre in Tolopan gehenkt worden, Kolopjer hätten sie in Kisikirmen bei lebendigem Leib geschunden, Pidßyschoks Kopf hinwiederum sei gut eingesalzen in einem Faß nach Stambul gereist. Da ließ der alte Bulba den Kopf hangen und sagte, ins Gedenken verloren: »Waren brave Kosaken!«
Drittes Kapitel
Taras Bulba war schon fast eine Woche mit seinen Söhnen im Lager. Ostap und Andri befaßten sich nicht viel mit kriegerischen Übungen. Im Lager hielt man wenig davon, Zeit und Mühe an den Friedensdienst zu verschwenden; der Ausbildung und Erziehung der jungen Mannschaft diente allein der praktische Ernstfall, das Schlachtgewühl, das darum auch fast nie zur Ruhe kam. Die Kosaken hätten es schandbar langweilig gefunden, die kurzen Friedenspausen mit dem Eindrillen irgendeiner Disziplin auszufüllen, höchstens, daß sie hie und da nach der Scheibe schossen und, selten einmal, ein Rennen oder eine Hetzjagd in der Steppe abhielten. Die übrige Zeit gehörte dem Pokulieren, dem man sich wahrhaft großzügig in die Arme warf. So bot das Lager ein erstaunliches Bild: das Leben hier war ein ununterbrochnes Gelage, ein Fest, das lärmend angefangen hatte und dem das Ende abgeschnitten zu sein schien. Der und jener trieb wohl ein Handwerk, manche hatten Buden aufgeschlagen und spielten den Handelsmann; der größte Teil aber zechte vom Morgen bis zum Abend, solange das Geld in der Tasche klang und der Beuteanteil noch nicht ganz in die Klauen der Krämer und Schankwirte gewandert war. Dies ewige Gelage hatte etwas Bezauberndes. Das war keine Versammlung von Schnapsbrüdern, die ihren Gram versaufen, es war ganz einfach das ausgelassene Becherschwingen urfröhlicher Leute. Wer hierher kam, vergaß alsbald und ließ fahren, was ihn bisher erfüllt hatte. Er pfiff auf das Vergangene und gab sich der freien Kameradschaft von seinesgleichen hin, ein Zecher ohne Verwandte und ohne Heimat außer dem weiten Himmel und der ewigen Lust. Hieraus entsprang die unbändige Lebensfreude, die aus keiner andern Quelle hätte fließen können. Die Geschichten und Witze, die man sich, faul auf der Erde liegend, im Kreis der Genossen erzählte, waren oft so komisch und wurden mit solchem Saft und solcher Frische vorgebracht, daß man schon die ganze äußerliche Gelassenheit des Kosaken besitzen mußte, dabei ein steinern ernstes Gesicht zu zeigen und nicht einmal mit dem Schnauzbart zu zucken. So hälts der Südrusse noch heutzutage, und das ist ein Zug, der ihn scharf von seinen Brüdern aus andern Landstrichen unterscheidet. Es war eine trunkne, lärmende Fröhlichkeit, aber es mischte sich nichts vom Ton der gemeinen Kneipe hinein, wo in mühsam gezwungener Lustigkeit der Mensch sich selber vergißt; die Kosakenfröhlichkeit gemahnte an einen vertrauten Kreis von Schulkameraden. Der Unterschied war nur, daß sie, anstatt mit dem Griffel den Zeilen entlangzufahren und dem öden Gewäsch des Lehrers zu lauschen, fünftausend Mann hoch zu Rosse stiegen und auf Abenteuer auszogen; statt der Spielwiese lag ringsum die große Steppe mit unbewachten, freien Grenzen, an denen höchstens einmal ein Tatar flüchtig seinen Kopf zeigte, oder ein grünbeturbanter Türke, ohne sich zu rühren, drohend herübersah. Statt sich, wie’s auf der Schule ist, gemeinsam einem fremden Willen zu beugen, waren diese Leute dem eignen Willen gefolgt, hatten Vater und Mutter und Elternhaus verlassen. Es gab welche, die schon den Strick um den Hals gespürt und statt des bleichen Todes das Leben gefunden hatten, das Leben in seinem tollsten Übermut, es gab welche, die nach Ritterbrauch keinen Groschen in ihrer Tasche halten konnten, es gab welche, die bisher einen Dukaten für ein Vermögen gehalten hatten, und denen man, dank den freundlichen Bemühungen der jüdischen Pächter, die Taschen umdrehen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß etwas herausfiele. Hier fand man Seminaristen, die sich den akademischen Prügeln nicht hatten fügen wollen und die von der Schule kaum die Kenntnis eines Buchstabens mitbrachten; aber zugleich fand man hier Leute, die sich wohl auskannten im Horaz, im Cicero, in der Geschichte des römischen Staates. Hier fand man viele von den Offizieren, die später in den königlichen Heeren Ruhm gewannen; hier fand man eine Menge jener alten Parteigänger, die die edle Überzeugung hegten, es wäre ganz gleich, für wen man fechte, wenn man nur fechte, weil ein Leben in Frieden eines anständigen Menschen unwürdig sei. Gar mancher war auch im Lager, um dort gewesen zu sein und dadurch in den Geruch des tapfern Ritters zu kommen. Wen es nach kriegerischen Taten gelüstete, oder nach goldnen Bechern, kostbaren Brokaten, nach Dukaten und Realen, für den gab’s immer Arbeit. Bloß für Weiberhelden war hier kein Boden – nicht einmal in der Vorstadt des Lagers getraute sich je ein Frauenzimmer auch nur die Nase zu zeigen.
Ostap und Andri dünkte es höchst merkwürdig, was für eine Menge Volkes ins Lager einzog, ohne daß irgendeiner darnach gefragt hätte, woher die Leute kämen, wer sie wären, und wie sie hießen. Sie kamen her, als kehrten sie in ihr eignes Haus zurück, das sie erst vor einer Stunde verlassen hätten. Der neue Gast meldete sich einfach beim Hetman, und der sagte:
»Sei gegrüßt! Glaubst du an Christum?«
»Ja!« gab der Neuling zur Antwort.
»Und an den dreieinigen Gott glaubst du auch?«
»Ja!«
»Und du gehst in die Kirche?«
»Ja!«
»Also, dann schlag einmal das Kreuz!«
Der Ankömmling bekreuzigte sich.
»Ist schon gut«, sagte der Hetman, »such dir selber die Gemeinde aus, zu der du willst!«
Und damit war die Zeremonie beendet. Das ganze Lager ging in die gleiche Kirche und war bereit, sie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, wenn der Kosak auch von Fasten und Kasteien nichts hören wollte. Habgierige Juden, Armenier und Tataren besaßen den Mut, in der Vorstadt zu hausen und Handel zu treiben. Reizen konnte sie das wohl, denn die Lagerbewohner feilschten nicht gern – soviel Geld einer auf gut Glück aus der Hosentasche zog, soviel warf er auch auf den Tisch. Übrigens hatten diese gierigen Krämer ein unsichres Los: sie glichen Leuten, die an den Hängen des Vesuvs Hütten bauen – hatten die Kosaken kein Geld mehr, so schlugen sie ihnen die Buden kurz und klein und nahmen sich, was sie brauchten, ohne zu zahlen.
Das Lager bestand aus mindestens sechzig verschiednen Gemeinden, deren jede eine selbständige Republik darstellte, oder vielleicht noch eher so etwas wie eine Schule, wo die Kinder alles von der Leitung zugeteilt bekommen. Niemand schaffte sich etwas an und besaß Eigentum; alles unterstand dem Gemeindeältesten, den man deshalb auch »Vater« nannte. Er verwaltete das Geld, die Kleider, die Nahrungsmittel, Mehl, Grütze, sogar das Brennholz; jeder gab ihm sein Geld zur Aufbewahrung. Nicht eben selten gab es Streit zwischen den Gemeinden; und dann kam es ohne weiteres zur Rauferei. Man begab sich dazu auf den Gerichtsplatz und drosch so lange aufeinander los, bis eine Partei die Oberhand hatte; war es soweit, so wurde zum Abschluss ein großes Trinkgelage gehalten. Auf die Art verging die Zeit im Lager; solch ein Dasein hatte für junge Gemüter einen eignen Reiz.
Ostap und Andri stürzten sich mit dem ganzen Feuer der Jugend