»Auf, auf, Gesellschaft! Zeit, höchste Zeit! Tränkt flink die Gäule! Wo ist die Alte? Nur munter. Alte, deck uns den Tisch: wir haben heut einen weiten Weg!«
Die arme Frau, der nun die letzte Hoffnung dahinschwand, schlich betrübt in die Hütte. Während sie mit Tränen in den Augen das Frühstück bereitete, gab Bulba seine Befehle, trieb sich im Stall herum und holte selbst für seine Söhne die besten Gewänder aus den Truhen.
Die Seminaristen sahen mit einem Schlag wie andre Menschen aus: statt der alten schmutzigen Stiefel trugen sie Stiefel von rotem Saffian mit silbernen Hufeisen unter den Hacken; die Pluderhosen, weit wie das schwarze Meer, mit tausend Falten und zehntausend Fältchen, waren mit goldner Schnur besetzt. Riemen hingen von dieser Schnur herab, mit Quasten und anderm Klapperkram; an denen schaukelte die Tabakpfeife. Den Rock aus feuerrotem Tuch hielt ein geblümter Gurt zusammen; fein ziselierte türkische Pistolen staken im Gurt; der Säbel klirrte kriegerisch um die Füße der Burschen. Ihre Gesichter, die die Sonne noch nicht hatte richtig braun brennen können, schienen hübscher und zarter als tags zuvor; der junge schwarze Schnurrbart hob die Weiße der Haut, die gesunde, frische Farbe der Jugend schärfer hervor; hübsche Kerle waren sie in ihren schwarzen Lammfellmützen mit dem goldnen Boden. Arme Mutter! Kein Wort konnte sie sagen, da sie die zwei so erblickte; ihr standen die Tränen blank in den Augen.
»Na, Burschen, alles fertig? Trödeln wir nicht mehr lange herum!« rief Bulba. »Und jetzt setzt sich, nach christlichem Brauch, ein jeder vor der Reise noch einmal hin.«
Alle setzten sich, auch die Knechte, die ehrerbietig an der Tür gestanden hatten.
»Nun, Mutter, gib deinen Kindern den Segen!« sprach Bulba. »Bitte den lieben Gott, sie sollen tapfer kämpfen, sollen ihre ritterliche Ehre allezeit verteidigen, sollen immer und überall einstehen für ihren Christenglauben; tun sie es nicht, so mögen sie auf der Stelle verrecken, daß nicht ein Hauch von ihnen bleibt in der Welt! Kinder, kommt her zur Mutter; Muttergebet gibt Schutz zu Wasser und Land!«
Die Mutter, schwach wie eine Mutter, umarmte die Söhne, zog zwei kleine Heiligenbilder hervor und hängte sie ihnen schluchzend um den Hals.
»Behüt euch die . . . Gottesmutter . . . Liebe Söhne, vergeßt eure Mutter nicht . . . Laßt manchmal etwas hören von euch . . .« Weitersprechen konnte sie nicht.
»Los, Kinder!« rief Bulba.
Vor der Treppe standen die Pferde gesattelt bereit. Bulba schwang sich auf seinen »Teufel«, der wild zur Seite taumelte, als er die Dreizentnerlast auf seinem Rücken spürte. Taras war fürchterlich dick und schwer.
Als die Mutter ihre Söhne aufsitzen sah, stürzte sie zu dem jüngeren hin, dessen Gesicht sie wohl etwas zärtlicher dünkte; sie griff ihm an den Bügel, hängte sich ihm an den Sattel, Verzweiflung in jedem Zug ihres Gesichts, ließ ihn nicht aus den Armen. Zwei stämmige Kosaken packten sie behutsam und schleppten sie ins Haus zurück. Aber als sie zum Tor hinausgeritten waren, rannte sie mit einer Gemsenbehendigkeit, die man ihren Jahren kaum zugetraut hätte, hinterdrein, fiel dem Gaul mit unwiderstehlicher Kraft in die Zügel und umarmte einen ihrer Söhne in beinah irrer, besinnungsloser Glut. Sie wurde wieder fortgeschleppt.
Die jungen Kosaken ritten trübsinnig dahin und verbissen sich die Tränen aus Angst vor dem Vater, den die Sache auch etwas angegriffen hatte, wenn er sich gleich Mühe gab, nichts davon merken zu lassen. Es war ein grauer Tag, das Grün leuchtete grell, die Vögel zwitscherten sonderbar kreischend. Als sie ein Stück geritten waren, sahen sie zurück: Ihr heimatlicher Hof war gleichsam in die Erde gesunken; nur die beiden Schornsteine ihres bescheidnen Vaterhauses lugten hervor und die Wipfel der Bäume, in deren Zweigen sie einst wie Eichhörnchen umhergeklettert waren; noch breitete sich vor ihnen die Wiese, auf der sich die ganze Geschichte ihres Lebens abgespielt hatte, von jenen Jahren an, da sie auf allen Vieren durch das taufeuchte Gras gekrochen waren, bis zu den Jahren, da sie hier ein schwarzäugiges Kosakenmädchen erwartet hatten, das ängstlich auf jungen, flinken Beinen über das Grün herangehuscht kam. Jetzt ragte nur noch der Brunnenbaum mit dem Wagenrad auf der Spitze einsam gen Himmel; und schon sah die glatte Fläche, die sie durchritten hatten, von fern einem Berge gleich und verbarg alles hinter sich. – Lebt wohl, Kindheit und Spiele der Jugend und all das andre, lebt wohl!
Zweites Kapitel
Die drei Reiter ritten schweigsam dahin. Der alte Taras gedachte früherer Zeiten: seine Jugend zog an ihm vorüber, seine Jahre, die verronnenen Jahre, um die der Kosak immer weint; denn er wünscht sich das ganze Leben als eine ewige Jugend. Er überlegte, wem von den alten Kameraden er wohl im Lager begegnen würde. Er rechnete nach, wer von ihnen schon tot war und wer noch lebte. Stille Tränen glänzten in seinen Augen, er ließ den grauen Kopf trübselig hangen.
Seine Söhne waren von andern Gedanken hingenommen. Aber es gehört sich wohl, etwas mehr von den Söhnen zu sagen. Sie waren mit zwölf Jahren nach Kiew auf die Akademie geschickt worden, weil alle angesehenen Würdenträger jener Zeit es als heilige Ehrenpflicht ansahen, ihren Söhnen eine Erziehung zu geben, allerdings unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß sie sie nachher wieder völlig zu vergessen hätten. Als in Freiheit aufgewachsene Wildlinge kamen diese Burschen auf die Schule; dort pflegten sie dann ein bißchen abgeschliffen und dadurch gewissermaßen über einen Leisten geschlagen zu werden – sie glichen sich merkwürdig untereinander.
Der ältere Sohn Bulbas, Ostap, begann seine Laufbahn damit, daß er schon im ersten Jahr durchbrannte. Er wurde zurückgeholt, fürchterlich verhauen und wieder hinter die Bücher gesetzt. Viermal vergrub er seine Fibel in die Erde, und viermal wurde ihm, nach einer unmenschlichen Tracht Prügel, eine neue gekauft. Sicherlich hätte er es zum fünften Mal ebenso gemacht ohne die feierliche Drohung seines Vaters, ihn dem Kloster für volle zwanzig Jahre als Knecht zu verdingen; er schwöre ihm einen heiligen Eid, daß er das Lager seiner Lebtag nicht erblicken solle, wenn er nicht zuerst auf der Akademie alle Wissenschaften richtig hinter sich brächte. Merkwürdig: dies sagte derselbe Taras Bulba, der auf alle Gelehrsamkeit schalt, und, wie wir sahen, seinen Söhnen riet, sich um so etwas überhaupt nicht zu scheren. Von Stund an setzte sich Ostap mit seltnem Eifer hinter sein langweiliges Buch und gehörte bald zu den besten Schülern. Die damalige Gelehrsamkeit stach wunderlich von dem ganzen Zuschnitt des Lebens der Zeit ab: diese scholastischen, grammatikalischen, rhetorischen und logischen Spitzfindigkeiten hatten nirgends einen Berührungspunkt mit dem Zeitgeist, paßten sich dem Leben nicht an und fanden nie eine praktische Verwendung. Die Schüler konnten ihre scholastischen Kenntnisse nirgends in die Wirklichkeit einhaken. Die Gelehrten von damals waren unwissender als andre Leute, weil ihnen jede Lebenserfahrung fehlte. Die republikanische Verfassung des Seminars, diese Riesenmenge von kraftstrotzenden, gesunden jungen Leuten – das mußte die Schüler auf Dinge bringen, die ihren gelehrten Studien sehr ferne lagen. Die magre Kost, die häufigen Fastenstrafen, auf der andern Seite die Fülle von Gelüsten, die in einem frischen, vollsaftigen, starken Burschen kochen – dies alles vereint gebar in ihnen jene Unternehmungslust, die später im Lager ihre Früchte trug. Die hungrigen Seminaristen strolchten durch die Straßen von Kiew und nötigten alle Welt zu äußerster Wachsamkeit. Die Marktweiber schirmten ihre Pasteten, Kringel und Sonnenblumensamen mit beiden Händen sorglich wie ein Adler seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen von weitem daherkommen sahen. Der Konsul, dessen Amt und Pflicht es war, die Aufsicht über eine Anzahl Kameraden zu führen, hatte in seinen Pluderhosen so grausam große Taschen, daß er darin leicht den ganzen Kram einer Händlerin verstauen konnte, die es sich hätte beifallen lassen, etwa sorglos ein Schläfchen zu machen. Diese Seminaristen bildeten durchaus eine Welt für sich – zu den höheren Kreisen des polnischen und russischen Adels hatten sie keinen Zutritt. Der Marschall Adam Kißel selber, der doch der Protektor der Akademie war, führte sie nicht in die Gesellschaft ein und hatte Weisung gegeben, sie so streng wie möglich zu halten, übrigens brauchte er sich darum nicht zu sorgen – der Rektor und die mönchischen Professoren schonten Rute und Karbatsche sowieso nicht; und oft genug mußten die Aktoren ihre eignen Konsuln so gewaltig durchwalken, daß die sich noch ein paar Wochen lang die Pluderhosen rieben. Vielen von ihnen galt das einfach für nichts – wirkte es doch nur um eine Kleinigkeit kräftiger als ein guter Branntwein mit Pfeffer; andre wieder bekamen die