Mirgorod. Nikolai Gogol. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nikolai Gogol
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752962505
Скачать книгу
nicht drucken kann. »Nein, das Beste ist schon, ich schick euch noch diese Woche ins Lager. Das nenn ich Wissenschaft. Das ist die Schule für euch; da und sonst nirgends geht euch ein Licht auf.«

      »Und bloß eine Woche sollen die Jungen daheim sein?« sagte betrübt, mit Tränen in den Augen, die verhärmte alte Mutter. »Und kein Vergnügen sollen sie haben, die armen Kinder, und ihre Heimat sollen sie nicht kennenlernen, und ich soll sie nicht einmal richtig ansehn!«

      »Hör auf mit dem Heulen; hör auf, Alte! Ein Kosak ist nicht auf der Welt, um sich mit Weibsbildern abzugeben. Wenn du die beiden nur unter deinen Rock stecken und dich draufsetzen könntest, wie eine Henne auf ihre Eier . . .! Marsch, marsch, tisch auf, was da ist! Aber nichts von Krapfen, Honigkuchen, Mohnwecken und solchen Leckereien; einen ganzen Hammel trag auf, Lammsbraten trag auf und vierzigjährigen Met! Und nicht zu wenig Schnaps – keinen Schnaps mit neumodischen Erfindungen, nichts von Rosinen und dergleichen überspanntem Kram drin, reinen, schäumenden Schnaps – perlen muß er und zischen wie toll.«

      Bulba führte seine Söhne in die Stube. Dort waren zwei Mägde beim Aufräumen, hübsche Dinger mit roten Perlenschnüren um den Hals. Die Mädchen machten sich eilig zur Tür hinaus. Sie waren wohl erschrocken über die Ankunft der Jungherrn, die einem nicht gern etwas durch die Finger sahen, oder sie wollten vielleicht auch nur einfach die weibliche Sitte wahren, die einem Mädel gebietet, mit Gekreisch Hals über Kopf davonzurennen, sobald es ein Mannsbild erblickt, und dann noch lange vor übergroßer Scham das Gesicht hinterm Arm zu verstecken. Die Stube war im Geschmack jener Zeit eingerichtet, deren Gedächtnis nur noch in den Liedern und Volksballaden lebt, die heute im Grenzland keiner mehr von den langbärtigen blinden Alten singt, die sie einst zum leisen Geklimper der Pandora im Ring des Volkes sangen. Die Stube paßte gut in jene kriegerisch harte Zeit, da die Scharmützel und Schlachten wider die Union im Grenzland zu entbrennen begannen. Sie war mit lichter Leimfarbe sauber getüncht. An den Wänden Säbel, Knuten, Vogelgarne, Fischnetze und Flinten, ein kunstreich geschnitztes Pulverhorn, ein goldbeschlagener Pferdezaum und ein Spannstrick mit silbernen Plättchen. Die Fenster der Stube waren klein, mit trüben Butzenscheiben, wie man sie heutzutage nur noch in alten Kirchen findet; hinausblicken konnte man nur, wenn man die eine bewegliche Scheibe hinaufschob. Um die Fenster und Türen liefen rote Fassungen. Auf Regalen in den Zimmerecken standen Becher, Karaffen und Flaschen aus grünem und blauem Glas, gravierte Silberpokale, vergoldete Trinkschalen von mannigfaltigster Arbeit: venezianische, türkische, tscherkessische, die auf allerhand Wegen durch dritte und vierte Hand in Bulbas Stube gekommen waren, wie es zu gehen pflegte in jenen nicht gar so heikeln Zeiten. Die Bänke aus ungeschältem Birkenholz rundum an den Wänden, der riesige Tisch im Herrgottswinkel, der große Ofen aus lichtbunten Kacheln mit breiter Ofenbank und breitem Sims – das alles kannten unsere zwei Burschen recht gut, waren sie doch jedes Jahr für die Ferien heimgekommen – zu Fuß, weil sie noch keine Pferde besaßen und es nicht Brauch war, Scholaren reiten zu lassen. Sie trugen lange Schöpfe, an denen sie jeder waffenfähige Kosak nach Lust und Laune zupfen durfte. Dies Mal aber, zu ihrer Entlassung, hatte ihnen Bulba ein paar Hengste aus seiner Herde nach Kiew geschickt.

      Bulba ließ zur Feier der Ankunft seiner Söhne alle Hauptleute und Chargen des Regiments zusammenrufen, so viele ihrer eben präsent waren; und als zwei davon mit dem Oberstleutnant Dmitro Towkatsch, seinem alten Kameraden, erschienen, stellte er ihnen gleich seine Söhne vor und sagte:

      »Na, seht sie euch an! Tüchtige Burschen, was? Die sollen mir bald ins Lager.«

      Die Gäste beglückwünschten Bulba und die beiden jungen Leute und sagten, das ließen sie sich gefallen; eine bessere Schule als das Lager gäbe es in der Welt nicht für einen jungen Menschen.

      »Also, ihr Herren und Brüder, setzt euch nun an den Tisch, ein jeder, wo es ihm gefällt! Na, Burschen, vor allen Dingen einmal einen Schnaps!« sprach Bulba. »Gott stärk uns! Dein Wohl, Ostap, und das deine, Andri! Geb euch der liebe Gott nur alle Zeit Glück im Krieg! Die Ungläubigen sollt ihr verhauen, die Türken sollt ihr verhauen, und das Tatarenpack sollt ihr verhauen; und wenn die Polacken was gegen unsern Glauben anstiften, sollt ihr auch die recht tüchtig verhauen! Also, her mit dem Glas! Ist er nicht gut, der Schnaps? Halt, wie heißt Schnaps auf lateinisch? Ja, ja, mein Sohn, Dummköpfe sind sie gewesen, die alten Römer: auch nicht 'nen Dunst davon, daß es so was wie Schnaps gibt auf Erden. Wie war noch gleich der Name von dem Kerl, der die lateinischen Verse gemacht hat? Am Lesen und Schreiben bin ich kein Held, und da vergißt man es eben. Horatius, oder wie?«

      – Sieh nur den Vater! dachte der ältere Sohn Ostap bei sich. – Alles weiß der durchtriebne Bursche und stellt sich nur so scheinheilig an.

      »Na«, fuhr Taras fort, »der Herr Präzeptor hat euch an Schnaps wohl nicht einmal riechen lassen? Und, Burschen, nun rückt mal raus: haben sie euch eure Buckel und, wißt schon, was der Kosak sonst noch hat, tüchtig mit frischem Birkenreisig verwichst? Oder wart ihr dafür vielleicht schon zu klug, und haben sie euch da lieber mit der Karbatsche in Behandlung genommen? Und wie oft denn? Bloß sonnabends, oder am Mittwoch und Donnerstag auch?«

      »Hat keinen Wert mehr, davon zu reden«, gab Ostap gelassen zurück. »Vorbei ist, unberufen, vorbei.«

      »Jetzt sollen sie’s einmal probieren!« sagte Andri. »Nur anfassen soll mich noch einer! Soll mir nur irgend so ein Tatarenlump in die Quere kommen, der wird schon merken, was ein Kosakensäbel fürn Ding ist!«

      »Recht so, mein Sohn! Kreuzsakrament noch einmal! Und wenn man’s bedenkt – ich reite mit euch! Bei Gott, ich reit mit. Auf wen, zum Teufel, soll ich hier passen? Ist das ne Arbeit für unsereins: Buchweizen säen, das Haus bewachen, Schafe und Schweine hüten und schön tun mit meinem Weib? Verrecken soll sie; ich bin ein Kosak und mag den Kram nicht! Was frag ich darnach, daß jetzt kein Krieg ist? Ich reit ganz einfach so mit euch ins Lager – weil es mich freut. Bei Gott, ich reit mit!« Der alte Bulba erhitzte sich immer mehr und kam zum Schluß in helle Wut. Er sprang auf und warf sich in die Brust und stampfte mit dem Fuß. »Morgen in aller Frühe wird abgeritten! Worauf denn noch warten? Mit dem Hiersitzen kommen wir nie an den Feind! Was brauchen wir denn die Hütte da! Was brauchen wir den lumpigen Kram! Die Töpfe und Schüsseln!« Sprachs und begann das Geschirr zu zerschlagen und es vom Wandbrett auf den Boden zu werfen.

      Die arme Alte, die solche Anfälle bei ihrem Mann schon gewohnt war, saß betrübt auf der Bank und sah ihm zu. Sie getraute sich nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Doch als sie seinen Beschluss vernahm, konnte sie die Tränen nicht halten. Sie blickte auf ihre Kinder, von denen sie sich morgen schon wieder trennen sollte, und unbeschreiblich war die stumme Kraft des Schmerzes, der heiß in ihren Augen flackerte und die zusammengepreßten Lippen zittern hieß.

      Bulba war ein hartnäckiger Eisenschädel, ein Kerl, wie ihn nur das harte sechzehnte Jahrhundert hervorbringen konnte, und nur in jenem von halben Nomaden bevölkerten Winkel Europas, zu der Zeit, da das ganze südliche Altrussland, im Stich gelassen von seinen Fürsten, als Wüste dalag, preisgegeben dem Sengen und Brennen der mongolischen Räuber, deren Überfällen seit Menschengedenken keiner ein Ziel hatte stecken können. Jedoch aus dieser Not erwuchs hier, nachdem ihm Haus und Dach genommen waren, ein wagelustiges Geschlecht; umringt von schlimmen Nachbarn, umdroht von ewiger Gefahr, siedelte es sich auf den Trümmerstätten an, lernte dem Tod gerade ins Auge sehn und verlor die Erinnerung daran, daß es so etwas wie Furcht auf der Welt gibt. Da schlug der von Hause aus friedliche slawische Geist zu kriegerischer Flamme empor, geboren wurde das Kosakentum, der gewaltige, fröhliche Sproß am russischen Stamm. Alle Ufer, alle Plätze an Furten, alle wohnlichen Hänge an den Flüssen des Grenzlandes wurden besetzt von Kosaken, deren Menge niemand ermaß. Jene kecken Kameraden unter ihnen, die vom Sultan gefragt wurden, wie viele es ihrer wären, hatten wohl ein Recht, ihm zu erwidern: »Wer soll das wissen! Die ganze Steppe wimmelt von uns. Wo ein Grashümpel ist, da ist ein Kosak.« Dies war, Gott weiß es, ein loderndes Zeugnis von russischer Kraft: aus der Brust des Volkes hatte der Feuerstahl der Leiden den Funken geschlagen. An Stelle der Fürstentümer von einst, der engen Städtchen, bevölkert von Hundejungen und Jägern, an Stelle der kleinen Fürsten, die sich ewig befehdeten oder Land und Leute verschacherten, erwuchsen wehrhafte Siedlungen, Hetmanschaften und Kosakengemeinden; und um die woben geteilte Gefahr und Haß gegen die räuberischen Ungläubigen ein unverbrüchliches