Zapfenstreich für Österreich. Ralos Znarf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralos Znarf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750238565
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Wucht implodierte, sie fiel förmlich in sich zusammen.

      Als sie sich nach einer weiteren Weile wieder zu sammeln begann, ordneten sich auch die Gedanken.

      In ihr Bewusstsein bohrte sich die Frage:

      „Hat irgendjemand das alles beobachtet?"

      In diesem verwirrenden Spiegellabyrinth konnte man ja nie sicher sein, wer da wie um die Ecke blickte. Sie bildete sich auch ein, von allen Seiten flüchtende, tappende Schritte zu hören.

      Sie entschied sich für eine Richtung und folgte den Geräuschen.

      Nach zwei Ecken befand sie sich schließlich in einer verspiegelten Sackgasse. Außer ihrer eigenen erbärmlichen Erscheinung war nichts zu sehen. Sie wendete und nach vier weiteren Ecken wiederholte sich die Horrorszene.

      So ging es noch dreimal weiter. Jeder andere wäre in Panik verfallen, doch in ihr keimten nur Zorn und Hass.

      Ihre Gesichtszüge verhärteten sich immer mehr. Sie befand sich gerade wieder im Bereich eines Sensors, der sie nun als 'Mann' identifizierte und ihr erbarmungslos die Frage stellte: „Hast Du heute schon gefickt?"

      Eigenartigerweise gewann sie gerade dadurch ihre Fassung wieder. Sie konzentrierte sich genau und fand den Weg zurück in den Ausstellungsraum.

      Obwohl sie befreit aufatmete, fiel eine grundsätzliche Beklommenheit nicht von ihr ab. Wie sollte sie sich verhalten, wenn sie dem dunkelgelockten Halbgott begegnete? Und: würde dieser das alles irgendjemandem weitererzählen? Und noch ein Gedanke wurde immer vordringlicher: sie traute es dem Gastgeber durchaus zu, dass im Labyrinth kleine Kameras montiert und alle Ereignisse auf irgendwelchen Bildschirmen zu sehen waren. Oder dass irgendwann kompromittierende Videobänder auftauchen könnten. Oder beschämende Postings auf ´Youtube`....

      Als sie mit diesen düsteren Gedanken im Kopf durch die große Schar der Ausstellungsgäste schritt, glaubte sie mit Bestimmtheit, dass alle von ihrer blamablen Niederlage wussten.

      Im Wissen um diese Umstände, erscheint ihr unangemessenes Verhalten auf Sonjas Frage: „Waren Sie schon im Spiegellabyrinth?" durchaus nachvollziehbar. Ebenso nachvollziehbar für uns ist nun auch die Tatsache, dass ihr Hass auf Sonja von Minute zu Minute wuchs, da sie erfasste, dass der dunkelgelockte Traumprinz, angesichts von Sonjas Schönheit, bei der Spiegelfrage mit Sicherheit beifällig genickt hätte.

      Als Sonja dann noch insistierend nach der „Wahrheit im Spiegellabyrinth" fragte, empfand sie dies als Frontalangriff auf Ihre Persönlichkeit und mobilisierte ihr elitäres Vernichtungswaffenarsenal.

      „Wissen Sie was mit Leuten passiert, die sich für Dinge interessieren die sie nichts angehen? Die ihr hübsches Naserl in penetranter Neugier zu fest an die Schaufensterscheiben drücken? Entweder sie drücken sich die Nase platt und schauen dann aus wie eine dummäugige Palatschink'n, oder das Glas bricht und sie schaun aus wie nach einem Frontalaufprall ohne Sicherheitsgurt'n. Das G'sicht erinnert dann an eine Golatsch'n mit Himbeermarmelade!"

      „Ui ui ui. Das wär' mir aber gar nicht recht", gab Sonja höflich zurück. „Und was haben S i e gesehen, wie sie im Labyrinth in den S p i e g e l geschaut haben? Einen Germteig mit Damenbart?"

      Mitten ins Herz getroffen fauchte die Bankiersfrau auf - eine Kobra in der Brunftzeit. Sonjas Gesicht erschien ihr wie die provokante Skyline von Hiroshima, unmittelbar vor dem Atombombenabwurf.

      „Aber meine Damen", schaltete sich jetzt mit übertrieben gespielter Besorgnis der Konsul ein. „Ich appelliere an ihre Contenance!" und begann unverhohlen zu kichern. Auch der Banker meldete sich zu Wort; einerseits zitterten ihm die Knie, angesichts der Vorstellung was ihm heute Abend zuhause noch bevorstand; andererseits war er wegen Sonjas 'Übergriff' ehrlich entrüstet. Das Verhalten seiner Frau hinterfragte er nicht; ihre maßlose Streitsucht hatte er mit der Zeit als naturbedingte Gegebenheit zu akzeptieren gelernt....so wie Tropenbewohner einen Taifun nun einmal akzeptieren müssen oder wie die alten Ägypter mit den jährlichen Nilüberschwemmungen umgehen mussten; oder wie notleidende Völker von Gottes Gnaden dazu bestimmt sind, die zerstörerischen Aktivitäten internationaler Konzerne auf ihrem Gebiet nun einmal hinzunehmen.

      Er meinte also: „Ich muss schon sagen, Fräulein....."

      Darauf Sonja: „Ja? Was Denn?"

      Der Banker: „Also ihr unverschämter Übergriff, also....."

      Sonja: „Welcher Übergriff?"

      Der Banker: „Na, ich bitt' Sie......."

      Sonja: „Die gnädige Frau hat mir einen hochinteressanten Einblick in Ihr elitäres Weltbild gestattet. Geschmückt mit höchst originellen Metaphern; da wollte ich nicht nachstehen." Der Banker (die Farbe wechselnd, mit schneidender Stimme): „ Quod licet Jovi, non licet bovi!"

      Darauf Sonja: "Mmmuuuuh!" In diesem Augenblick tauchte in Sonjas Rücken - und somit im Blickfeld der Bankersfrau - der dunkelgelockte Schimmelreiter auf; zeitgleich damit machte sich das lästig pieksende Plastikteilchen im Strumpfgürtel wieder bemerkbar und quälte sie mit seinen gemeinen Sticheleien. Zielgerichtet ritzte es den gefährlich überreizten Zentralnerv, der knapp unter der Oberflächenhaut ihres Hüftfleischs verlief.

      Man sagt, einen Hornissenstich kann der Mensch problemlos verkraften; ab zwei Stichen wird es kritisch; und die beklagenswerte Dame befand sich nun eindeutig im roten Bereich. Sie empfand sich plötzlich als gefangen in einem dunklen Schacht...nur von weit oben fiel Licht herein....in den glitschig spiegelnden Schachtwänden sah sie das begehrenswerte Antlitz des erigierten Tenors, der sie mit höhnischer Verachtung zurückwies und sich liebkosend der zermürbenden Schönheit Sonjas hingab....sie sah das stupide Gesicht ihres Mannes, der entsetzlich aus dem Mund stank und den Urin nicht halten konnte....im teigigen Fleisch ihrer Hüften saßen sieben boshafte Zwerge, die mit Stecknadeln ihre Nervenbahnen bearbeiteten....unter dem anfeuernden Applaus des Konsuls. Sie sah den weisungsknechtigen Hofrat, der mit seinem monogrammbestickten Stofftaschentuch die rötlich-gelbe Urinpfütze ihres Mannes beflissen aufwischte.....und schließlich sah sie ihr eigenes aufgeschwemmtes Gesicht, verunstaltet durch einen schwarzen Schnurrbart. Etwas zerplatzte in ihrem Kopf. Die Bilder der Außenwelt erschienen ihr vor einem unnatürlich roten Hintergrund....ihr wurde plötzlich übel....sie konnte es aber niemandem mitteilen....die Zunge versagte den Dienst und aus ihrem weit offenen Mund drang nur unverständliches Stammeln.

      Abermals stieg eine Welle des Jähzorns in ihr auf, dessen schuldhafte Dimension die sechs anderen Todsünden als 'lässlich' erscheinen lässt; voller Hass auf sich und die Welt stampfte sie mit dem letzten Aufbäumen ihrer herrschsüchtigen Kraft auf den Boden, dabei ein jämmerliches Lallen ausstoßend. Ebenso wie wir, so hätten auch die umstehenden Zeugen dieses Vorfalles es für gar nicht so überraschend gehalten, wenn sich mit diesem Aufstampfen die Erde spaltbreit geöffnet hätte, um sie zu verschlingen und höllenwärts verschwinden zu lassen. Allerdings, diese Gnade eines doch sehr imposanten und hochdramatischen und in gewisser Weise auch ehrfurchtgebietenden Abganges blieb ihr versagt.

      Irgendeine höhere Instanz unter der beratenden Mitwirkung Erzherzog Johann's, der sich schon seit allzu langer Zeit von ihr missbraucht fühlte, erachtete sie schlichtweg für zu unbedeutend.

      Und so verbrachte sie die nächsten eineinhalb Jahre ihres Lebens im Fegefeuer einer Intensivstation, ehe sie, den irreparablen Folgen ihres Schlaganfalles ausgesetzt, unter nach innen gerichteten Hilfeschreien jämmerlich starb.

      Ihre letzte überlieferte Tat bestand darin, dass sie, die Grenze des Todes überschritten habend, im Dunst der Unterwelt auf ihren Schwiegervater traf, der ihr mit düsterem Vorwurf das behinderte Kind entgegenhielt; an den beiden vorüberschreitend versetzte sie dem Schwiegervater eine schallende Ohrfeige, ehe sie für immer im Nebel verschwand.

      Der Banker ging, nachdem seine Frau ins Spital eingeliefert worden war, in sich und beschloss, das Angebot einer Frühpension, das ihm die Bank unterbreitet und das anzunehmen seine Frau ihm striktest untersagt hatte, nun doch ernsthaft zu prüfen. Er akzeptierte schließlich einen 'Very Golden Handshake' und verlebte, finanziell abgesichert, den Rest seines Daseins in dunkelgrauer Zurückgezogenheit.

      Hofrat