Ein ganzes Ja. Luisa Sturm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Luisa Sturm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738066098
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aus dem Kopf.“

      „Was meinst du?“

      „Erik ist wirklich toll, aber keines der Mädchen konnte ihn auf Dauer halten. Er ist ein Sunnyboy und ich glaube, er hat Beziehungen bisher nie ernst genommen. Er meint es noch nicht mal böse, er ist einfach so. Und weißt du was? Die Mädchen tragen ihm trotzdem nie etwas nach. Selbst wenn er Schluss gemacht hat, bleiben sie Freunde.“

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      „Becca, es hat geklingelt. Machst du bitte auf?“, ruft Mama aus dem Wohnzimmer. Ihre Stimme hat einen dringlichen, selbstbewussten Unterton. Seit wir in diesem neuen großen Haus mit Garten wohnen, ist sie fröhlicher geworden und pflanzt zehn Blumen pro Quadratzentimeter Grün. „Becca, hörst du?“

      Nein, ich will nicht! Ich liege gerade quer auf meinem Bett und habe die Beine an der Wand hoch gestreckt, weil es wahnsinnig bequem und ultracool ist und weil meine Eltern es hassen, natürlich. Ich höre Madonnas neue Kassette „Like a prayer“ und stelle mir vor, wie mutig es wäre, vor einem übergroßen Spiegel verrückt dazu zu tanzen.

      Ich muss meine Gedanken sammeln. So viele neue Eindrücke in den letzten Tagen! Die neue Schule ist riesig im Vergleich zum kleinen Mädchengymnasium in Augsburg. Es gibt allein 12 Haltestellen für die Schulbusse, voll beladen mit Schülern aus den tiefsten Tiefen des schwäbischen Urwaldes, den man hier Stauden nennt, die ihre menschliche Fracht direkt vor dem riesigen quadratischen 70er-Jahre-Betonklotzbau wieder ausspucken. Als ich in die Klasse 9c kam, flankiert mit dem Konrektor an meiner Seite, als wäre er mein Bodyguard oder meine richterliche Begleitperson, starrten mich alle Schüler mit großen Augen neugierig an und ich wusste sofort: ,Jetzt bist du die Neue, die anders aussieht, die einen anderen Namen hat und anders spricht.’ In der zweiten Reihe war noch ein Platz frei, neben einem Mädchen mit katzenhaften, grünen Augen und knallroten Haaren. Sie hat mein panisches Gesicht gesehen, mir aufmunternd zugezwinkert und ich wusste binnen Sekunden, dass wir gute Freundinnen werden.

      „Becca! Gehst du?“, ruft Mama jetzt lauter. „Es hat schon wieder geklingelt!“

      Nein, ich will immer noch nicht!

      „Ist es denn so schlimm hier?“, fragt sie vorsichtig, als sie ihren roten Lockenkopf in meine Tür steckt.

      „Mama, die sagen hier ‚Hascht du Zeit?’ oder ‚Woisch, des ged ned’!“

      Mama versucht für ein paar Sekunden ihre Belustigung zu unterdrücken, aber dann prustet sie los und hört gar nicht mehr auf zu lachen.

      „Mama! Echt! Sie sagen auch Sachen wie ‚Da dinna kansch dei Zoig schtau lau’! Wer bitte soll das verstehen?“

      Sie muss sich kichernd die Tränen aus den Augenwinkeln wischen. Jetzt klingelt es schon wieder! „Magsch du vielleicht die Tür öffnen?“, säuselt sie und zwinkert theatralisch.

      Hahaha, sehr witzig! Aber na gut, was soll’s. Becca, der Türöffnungsdiener, klar, nur weil sie keinen Bock hat hin zugehen. Ich schwinge mich hoch, schlurfe genervt zur Tür, setze mein Spaßgesicht auf und öffne. Oh nein! Nicht jetzt! Verdammt! Meine Haare sind ein einziges Chaos. Scheiße, warum habe ich diese kindische lila Jogginghose an?

      „Hallo Rebecca.“

      In meinem Magen wirbelt ein Schwarm Schmetterlinge auf. „Hallo, Erik.“ Er lehnt lässig an unserer Hauswand, als wohne er hier und die Wand gehöre selbstverständlich ihm. Er lächelt mich an. Mein Herz macht einen viel zu großen Sprung. Nervös spiele ich an meinen Haaren herum.

      „Ich wollte … äh … fragen, ob ihr die Bohrmaschine noch braucht. Sonst nehme ich sie wieder mit.“ Erik spricht ganz normal, ohne die ‚schs’ am Wortende. Und seine Augen haben faszinierende Sprenkel in der Iris.

      Ich versuche normal zu atmen und rufe in den Gang: „Mama, haben wir die Bohrmaschine von den Sonnbergs noch?“

      „Hat Papa schon zurückgebracht“, ruft Mama aus dem Haus. Unbeholfen zucke ich mit den Schultern. Schade, dass er nur wegen dieser blöden Bohrmaschine hier ist. Billes Worte fallen mir wieder ein: „Erik ist wirklich toll, aber keines der Mädchen konnte ihn auf Dauer halten. Er ist ein Sunnyboy und ich glaube, er hat Beziehungen bisher nie ernst genommen.“

      „Diese Karte hier ist für deine Eltern.”

      „Oh, dankeschön.” Um Himmels Willen, ist das eine Einladung?

      Eine Weile stehen wir schweigend da. Ein schwacher Lufthauch weht vorbei, ein paar Birkenblätter tänzeln im Wind und ich spüre die kühle Brise auf meinen Armen. Endlich durchbricht Erik die Stille und sagt: „Ja, dann.“

      Mir fällt überhaupt nichts Intelligentes oder Cooles ein und so sage auch ich: „Ja, dann.“ Als die Haustür wieder zu ist, lehne ich mich mit dem Rücken dagegen und rutsche langsam auf den Boden. Hilfe, was ist nur mit mir los? Ich muss krank sein. Mir ist ganz komisch. Mein Magen, mein Herz, meine Beine …

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      Eine Einladung zum Essen bei den Sonnbergs hat mir gerade noch gefehlt!

      Eriks Mutter öffnet uns freudestrahlend die Tür. Sie hat braune, schulterlange Haare, ist nicht besonders groß, sonnengebräunt und hat warmherzige Augen. Mama überreicht Eriks Mutter einen kleinen Blumenstrauß. Ganz wild gemixt, alle Farben, typisch Mama eben. Unsere alten Fotoalben aus den 70ern verraten, dass sie ein wilder, langhaariger Blumenhippie war. „Schön, dass ihr kommt, Ingrid. Und danke für die hübschen Blumen! Dort drüben könnt ihr eure Jacken aufhängen.“ Eriks Vater nimmt sie uns freundlich ab, bevor wir selbst tätig werden können.

      „Hallo, ich bin Isabella“, sagt eine große, junge Frau Anfang zwanzig mit langen dunklen Locken, „und Eriks Schwester.“ Sie ist mir auf Anhieb sympathisch. Ihre Augen sind stark dunkelbraun geschminkt, was super aussieht, ich mich aber niemals trauen würde.

      „Und das ist also eure Rebecca“, fragt Conrad, Eriks Vater, und lächelt mich aufmunternd an.

      Am liebsten wäre ich zu Hause geblieben. Mir ist unwohl und ich lächle gequält zurück. Ausgerechnet die Sonnbergs und meine Eltern, neue beste Freunde!

      „, das ist Becca“, antwortet Papa grinsend.

      „Na, da musst du aber mächtig stolz sein, Giovanni. Sie ist ein schönes Mädchen“, erwidert Conrad, der meinen Vater einen halben Kopf überragt. Mir fällt sofort auf, dass Erik seinem Vater sehr ähnlich sieht. Groß, dunkelhaarig, markante Nase und sympathisches Gesicht. Aber er hat auch etwas von den Gesichtszügen seiner Mutter, die Augen vielleicht.

      Papa hebt stolz mein Kinn an. „Si, meine Becca … ist hübsch.“

      Sind die alle blind? Es gibt mindestens 15 Mädchen in meiner Klasse, die viel, viel hübscher sind als ich! Was würde ich dafür geben, wenn meine Nase kleiner wäre. So wie die von Kristin, klein und niedlich. Meine Nase ist groß und aristokratisch, wie Mama meint. Und meine Wimpern sind hellblond. Ohne Mascara würde man überhaupt nicht sehen, dass ich welche habe! Es ist echt gemein! Da hat man einen rassigen, italienischen Vollblutnamen und sieht aus wie eine unscheinbare, normannische Schwedin. Immerhin, ich liebe die Farbe meiner Haare. In der Sonne glänzen sie golden.

      „Die Jungs werden hinter ihr her sein“, bemerkt Conrad mit einem verschwörerischen Augenzwinkern.

      „Becca interessiert sich überhaupt nicht für Jungs, sondern nur für die Schule und ihren Sport. Sie ist ein Schatz, mein Schatz“, antwortet Papa trocken. Oh Mann, Papa hör auf damit! Am liebsten möchte ich vor Scham im Boden versinken. Gott, wo ist die spontane Erdspaltenöffnung, die mich verschlingt? Genau jetzt wäre der passende Augenblick!

      In diesem Moment taucht Erik auf. In hellblauen Jeans und buntem T-Shirt mit Iron Maiden Aufdruck.

      „Ich glaube, unsere Tochter hat einen Verehrer“, fügt meine Mama plötzlich an, „dauernd ruft ein Robert bei uns an.“ Die