Dank dieser Hilfe gelangten wir schließlich am nächsten Abend bei Ukuib endlich an den Swakop. Hier war die Landschaft viel zerklüfteter. Der Fluss hatte sich über Jahrtausende tief in die Schichten der Wüste gefressen und dabei die verschiedenen Gesteinslagen freigelegt. In der Abendsonne leuchteten die Felswände in allen Braun-, Grau- und auch Rosatönen. Als wir schließlich unten im Flussbett angekommen waren, bereiteten wir uns auf dem Feuer schnell unsere Mahlzeit zu, rollten unsere dünnen Matten im weichen Sand aus und legten uns dann erschöpft unter dem südlichen Sternenhimmel schlafen. Das Feuer brannte die ganze Nacht und die Kühe, die wir angebunden hatten, blieben ganz in der Nähe, damit herumstreunendes Raubwild sie nicht attackieren konnte.
Am Morgen waren wir ganz zeitig wieder auf den Beinen und treckten am und im Swakop, je nachdem, wie das Gelände es zuließ, vorbei an der Farm Dieptal und dann erreichten wir Salem, wo ein Herr Bertram siedelte. Er kannte mich noch von Oranjemund her. Herr Bertram besaß ein BMW-Motorrad und wollte damit am nächsten Tag nach Swakopmund fahren. Er versprach, bei meinen Eltern vorbeizufahren und ihnen zu berichten, dass alles gut ging und wir wohlauf waren. Am nächsten Tag erreichten wir Gaub, wo einige Mischlinge wohnten. Sie nahmen uns sehr gastfreundlich auf und auch sie reichten uns allerhand zu essen.
Der fünfte Treck-Tag brach an und mittags waren wir bei Riet, wo die Familie Brockerhof siedelte. Herr Brockerhof, der selbst nicht da war – seine Familie bewirtete uns jedoch köstlich – war ein alter Schutztruppler, den ich auch kannte. Er lief nämlich einmal im Monat zu Fuß nach Swakopmund, um Post zu holen und Besorgungen zu machen. Dabei kam er regelmäßig an unserer Siedlung vorbei und trank bei den Eltern immer einen Kaffee. Nun wusste ich, dass es nicht mehr allzu weit war und dass die Damara mit ihrem Monat deutlich übertrieben hatten.
Nach dem Mittagessen bei Brockerhofs zogen wir weiter. An dem Abend, wir lagerten gerade zwischen Arcadia-Siedlung und Husab, bekam die dritte Kuh plötzlich Wehen. Mitten in der Nacht kam dann ein gesundes Kälbchen zur Welt. Husab war ein Trockenposten von „Oubaas“ Schieri-Lartz, Pepis Vater. Dort mussten wir dann zwei Tage Rast einlegen, bis das neugeborene Kälbchen kräftig genug war, um den Treck zu begleiten. Trotzdem mussten wir es abwechselnd immer wieder ein Stück weit tragen. Inzwischen waren wir bereits sieben Tage unterwegs und als wir bei der Siedlung von Familie Poser vorbeitreckten, bat ich Frau Poser, im Hansa-Hotel anzurufen und meinem Vater, wenn er dort das Gemüse ablieferte, ausrichten zu lassen, dass wir bald kommen würden. Am Abend des achten Tages erreichen wir dann endlich die elterliche Siedlung – wohlauf mit drei Kühen und drei Kälbern.
Vater war erleichtert und freute sich. Dass er stolz auf mich war, zeigte er, indem er mich immer wieder damit aufzog, dass ich drei Tage länger gebraucht hatte, als er berechnet hatte. Zwei Jahre später kaufte er vier neue Kühe bei Herrn Kruger auf Ubib und schickte mich und Lukas wieder los. Diesmal brauchten wir nur ganze drei Tage, um die Strecke zu schaffen.
Nach dem ersten Treck hatten wir dank der neuen Kühe natürlich viel Milch, die wir an die Milchwirtschaft Nonidas zu „Oubaas“ Schieri-Lartz lieferten. Ich stand also morgens eine Stunde früher auf, melkte drei Kühe und gab die Milchkannen, die ich mir an die Lenkstange hängte, dort ab. Mittags, auf dem Rückweg, nahm ich dann die leeren Kannen wieder mit. So gab es also noch mehr für mich zu tun als ohnehin schon. Aber die Eltern brauchten jeden Penny. Der Gemüseanbau wurde mehr und mehr, die Nachfrage war groß. Mutter konnte das alleine nicht mehr schaffen und so kündigte Vater schließlich bei dem Elektrizitäts-Werk, um sich ganz auf der Siedlung einzubringen. Er fuhr jeden Dienstag und auch freitags mit dem umgebauten Nash-Bakkie nach Swakopmund und lieferte die Bestellungen ab.
Jeder Tag war ausgefüllt. Neben den Arbeiten auf der Siedlung mussten täglich die Schulaufgaben erledigt werden. Dann kam noch der Konfirmandenunterricht bei Pastor Schmidt dazu. Zusätzlich einmal in der Woche nachmittags zwei Stunden und dann musste ich auch noch am Sonntag zur Kirche gehen, an dem ich bisher meinen Ruhe- und Fischfangtag gehabt hatte. Meist hatte ich das Glück, dass eine benachbarte Siedlerfrau am Sonntag Milch ablieferte und so konnte ich oft mit ihr mit dem Auto mitfahren. Sie hatte so auch einen Grund, private Besuche zu machen, bis ich aus der Kirche kam. Wenn das Wetter gut war, wartete Billy schon auf mich, damit wir wenigstens am Nachmittag noch zum Angeln fahren konnten.
An einem dieser Angeltage erzählte mir Billy von einem seiner Eisenbahnkollegen, der kürzlich verstorben war. Kurz vor dessen Pensionierung fuhr er mit seinem Motorrad am Strand entlang, um zu angeln. Er war etwas kränklich, hatte Asthma, fuhr aber trotzdem regelmäßig an diesen Strandabschnitt. Eines Tages, auf der Rückfahrt, sah er ein Stück von einem hölzernen Schiffsrumpf aus den strandnahen Wogen ragen, darauf einen Schiffsnamen eingebrannt. Er schrieb diesen Namen auf seine Zigarettenschachtel und fuhr heimwärts. Zu Hause berichtete er seiner Frau davon und gab ihr die Schachtel zur Aufbewahrung. Kurz darauf verstarb er und seine Frau hatte Billy nach der Beerdigung die Schachtel gegeben. Die Ehefrau war gleich wieder zurück nach Südafrika gegangen, wo die Familie ursprünglich hergekommen war. Billy gab mir dann die leere Schachtel mit der Aufschrift und ich verstaute sie zu Hause in meinem Kleiderschrank.
Meistens kam ich spät nach Hause, wenn ich mit Billy angeln war. Aber es gab dann immer frischen Fisch und auch das Kleingeld stimmte.
Anmerkung: Viele Jahre später fand ich bei irgendeiner Sucherei den abgerissenen Deckel der alten Zigarettenschachtel wieder und erzählte einem befreundeten Anwalt von dieser Geschichte. Wir gingen nicht weiter auf die Sache ein, aber es ließ ihm doch wohl keine Ruhe und am nächsten Morgen rief er mich an und sagte: „Bruno, bring mir den Deckel doch mal ins Büro, wir sollten vielleicht einige Nachforschungen anstellen.“ Ich brachte den Deckel also zu ihm. Da der Name, der auf dem alten Stück Schiffsrumpf gestanden hatte, portugiesisch klang, beauftragte er seine Sekretärin zunächst einmal, einen Brief an das portugiesische National-Archiv in Lissabon zu schreiben. Sie sollten uns informieren, ob sie Kenntnis von einem Schiff mit diesem Namen hatten. Wir hatten den Vorfall längst vergessen, als viele Monate später die Antwort aus Portugal eintraf. Mein Freund rief mich eiligst in sein Büro. Das Segelschiff war tatsächlich unter der Flagge Portugals, sie teilten uns das genaue Jahr Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit, auf Handelsreise nach Indien gefahren. Auf der Rückreise muss es zwischen Angra Pequena und Cape Frio untergegangen sein. Die letzte Rollenmeldung war nachweislich in Angra Pequena abgegeben worden, das Schiff war aber nie am nächsten Stützpunkt, Cape Frio, angekommen. Das Archiv Lissabon hatte eine Liste der Ladung beigelegt. Diese bestand aus sechshundert Kilogramm Elfenbein, vierhundert Kilogramm Goldbarren und noch sehr vielen anderen Edelsachen. Immer wieder habe ich daraufhin an der von Billys Kollegen beschriebenen Stelle nach weiteren Hinweisen am Strand gesucht, leider ohne Erfolg. Meine Suche war allerdings aus Zeit- und Geldmangel auch nie besonders intensiv gewesen.
Eines Tages in den Ferien kam Pastor Schmidt auf seinem Motorrad zu Besuch. Er blieb zu Mittag und wie gewöhnlich fing dann gegen eins der Südwest-Wind zu wehen an. Gegen drei Uhr blies er dann aber so heftig, dass der Pastor unmöglich mit dem Motorrad fahren konnte. Vater sagte: „Bruno, lade das Motorrad auf den Nash und bringe den Pastor heim.“ Ich gab zu bedenken, dass ich ja noch keinen Führerschein besaß. Vater sagte: „Wenn der Pastor nicht heimkommt, hat er ganz andere Sorgen, also lasst euch nicht erwischen und bringe bitte noch die Post mit.“ So fuhr ich mit Pastors Segen das erste Mal selbständig in die Stadt hinein. Zuerst lud ich den Pastor bei der Kirche ab, danach fuhr ich zur Post, die in derselben Straße lag wie das Magistratsgebäude und die Polizeistation. Angeberisch, wie ich mich fühlte, fuhr ich dann auch noch zu Kurt und besuchte ihn im Schülerheim. Alles ging gut und ich kam ohne Probleme wieder zu Hause an. Von da ab fuhr ich auch oft allein mit dem Motorrad in die Stadt. Führerscheinlos, wie ich war, verließ ich mich dabei immer „auf Pastors Segen“. Bald war es die normalste Sache der Welt und es war allseits bekannt, dass Bruno in Swakopmund herumfuhr. Ich wurde niemals erwischt.
Das Problem kam dann erst, als ich sechzehn Jahre alt wurde und nun tatsächlich den Führerschein machen musste. Zuerst musste man einen Lehrschein beantragen, den man ohne Fahrprüfung bekam. Mit Lehrschein durfte man dann in Begleitung eines erwachsenen Führerscheininhabers das Fahren üben. Wenn man das gut genug konnte, prüfte die Polizei die Fahrtüchtigkeit. Erst dann erhielt man den eigentlichen Führerschein.
Ich