Woher, wohin: Wanderungsbewegungen
Wenn Sie das schöne Bielefeld verlassen und nach Australien auswandern (oder als Australier, nach kühlem Regen lechzend, aus Ihrem staubtrockenen Land zu uns nach Bielefeld zuwandern), bezeichnen die Bevölkerungsstatistiker das als Außenwanderung oder internationale Migration. Ziehen Sie hingegen aus Bielefeld ins benachbarte Paderborn, so heißt das Binnenwanderung. Die Wanderungsstatistik erfasst beide Formen der räumlichen Bevölkerungsbewegung – vorausgesetzt, die Zu- oder Abwanderer melden sich ordnungsgemäß bei den zuständigen Einwohnermeldeämtern an oder ab (weitere Details hierzu finden Sie in Kapitel 24).
Die Angaben zur Anzahl der in Deutschland lebenden Ausländer stammen aus zwei Statistiken: dem Ausländerzentralregister, das dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zugeordnet ist, und der Bevölkerungsfortschreibung. Die Staatsangehörigkeiten der Zuwanderer können Sie nur dem Ausländerzentralregister entnehmen. In der amtlichen Fortschreibung des Bevölkerungsstands wird ausschließlich zwischen deutscher und ausländischer Bevölkerung insgesamt unterschieden.
Verliert oder gewinnt Deutschland durch die internationale Migration an Bevölkerung? Um diese Frage zu beantworten, berechnen Sie den Wanderungssaldo.
Der Wanderungssaldo ist die Differenz aus Zuzügen und Fortzügen innerhalb eines Zeitraums (meist eines Jahres).
Die Wanderungssalden der internationalen Migration schwanken in Deutschland stark. Zwischen 1955 und 2020 bewegten sie sich im Bereich von etwa −250.000 bis +1.140.000. Die Wanderungssalden hängen zum einen von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in den Herkunftsländern der Zuwanderer ab. Zum anderem spielen die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland sowie die Attraktivität unseres Landes in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eine wichtige Rolle.
Tabelle 4.2 zeigt Ihnen große Zuwanderungsbewegungen nach Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Nicht alle Menschen sind geblieben: Viele Arbeitsmigranten sind nach einigen Jahren in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt und bei Weitem nicht alle Asylsuchenden erhalten Asyl. Dennoch: Deutschland ist ein Einwanderungsland, und das ist gut so. Zuwanderung fordert aber allen Beteiligten – Zugewanderten und nicht Zugewanderten – aktive Leistungen ab, damit die Integration gelingt.
Tabelle 4.2: Große Zuwanderungsbewegungen nach Deutschland seit 1945 (Zahlen gerundet)
Bevölkerungsgruppe | Wann? | Wie viele? |
---|---|---|
Flüchtlinge aus ehemals deutsch besiedelten Gebieten in Osteuropa | 1945 bis 1950 | 12 Millionen |
Arbeitsmigranten aus Italien, der Türkei und anderen Mittelmeerländern | 1955 bis 1973 | 4 Millionen |
Asylsuchende | 1990 bis 2020 | 5,4 Millionen |
Aussiedler und Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, Polen und Rumänien | 1980 bis 2019 | 3,5 Millionen |
Die demografische Formel
Die Demografen fassen alle Einflussfaktoren der Bevölkerungsentwicklung in einer Formel zusammen. Sie heißt Grundgleichung der Bevölkerungsdynamik oder einfach »demografische Formel«. Die zukünftige Bevölkerungsgröße (B1) ergibt sich aus der Bevölkerungszahl zum Ausgangszeitpunkt (B0) plus der Zahl Geburten (G) minus der Sterbefälle (S) plus der Zuzüge (Z) minus der Fortzüge (F) innerhalb eines Zeitraums:
Hier ein Beispiel: Wenn Sie die Bevölkerungszahl von Deutschland zum 31.12.2019 kennen (B0 = 83.166.711), addieren Sie die Geburten im Jahr 2020 (G = 773.144), ziehen die Sterbefälle ab (S = 985.572), addieren die Zuzüge (Z = 1.186.702) und ziehen die Fortzüge ab (F = 966.451). Sie erhalten so die Bevölkerungszahl zum 31.12.2020 (B1 = 83.174.534). (Die offizielle Zahl ist etwas kleiner, da das Statistische Bundesamt zusätzlich sogenannte »Bestandskorrekturen« durchführt).
Dabei stellen Sie fest: Die Bevölkerung von Deutschland wuchs 2020 bei einem positiven Wanderungssaldo von 220.251 Menschen (1.186.702 Zuzüge minus 966.451 Fortzüge). Die Zuwanderung nach Deutschland gleicht den Sterbeüberschuss von 212.428 (985.572 Todesfälle minus 773.144 Geburten) also aus und führt sogar zu einem Bevölkerungswachstum.
Wanderungen haben keinen Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung insgesamt auf der Welt – die Größe der Weltbevölkerung wird nur durch die Geburten und die Sterblichkeit bestimmt.
Die für die demografische Formel erforderlichen Bevölkerungszahlen erhalten die Epidemiologen aus der Bevölkerungsstatistik. Sie gehört zu den wichtigsten Arbeitsgebieten der amtlichen Statistik. Informationen über die Bevölkerungsstruktur und -entwicklung helfen Managern und Politikern, Entscheidungen im Gesundheitswesen, in der Bildungspolitik sowie in der Arbeits- und Wirtschaftspolitik zu treffen.
Die Bevölkerungsstatistik gibt Ihnen darüber hinaus Aufschluss über Lebenseinstellungen und Werte der Gesellschaft. Eheschließungen und Ehescheidungen sagen etwas über die Wertschätzung der Familie aus. Die Geburtenentwicklung ist unter anderem Ausdruck der Einstellung, die eine Gesellschaft Kindern gegenüber hat.
Der neugierige Staat: Volkszählungen
Die Frage »Wie viele sind wir?« bewegt Regierungen seit dem Altertum. »Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste …« So steht es in der Weihnachtsgeschichte (Lukas 2, 1-2). Tatsächlich gab es in China schon früher Volkszählungen.
Bei einer Volkszählung (auch »Zensus« genannt) erfassen die Bevölkerungsstatistiker alle in einem Land lebenden Personen und befragen sie nach ihrem Alter, Geschlecht und weiteren Angaben. Nach einer Volkszählung schreiben die statistischen Ämter den Bevölkerungsstand bis zum nächsten Zensus jährlich fort.
In den alten Bundesländern beruht die Fortschreibung des Bevölkerungsstands auf der letzten Volkszählung von 1987. In den neuen Bundesländern dient eine Auszählung des Zentralen Einwohnerregisters der ehemaligen DDR aus dem Jahr 1990 als Grundlage. Die DDR hatte zuletzt 1981 eine Volkszählung durchgeführt.
Die statistischen Ämter erhalten die für die Fortschreibungen erforderlichen Daten zu Geburten, Sterbefällen und Eheschließungen sowie zu Wanderungsbewegungen von den Standesämtern und den Einwohnermeldeämtern. Ergänzt werden diese Informationen durch den jährlich stattfindenden Mikrozensus. Dazu besuchen Interviewer 1 Prozent aller Privathaushalte und erheben aktuelle Daten zu Bevölkerungsstruktur und wirtschaftlicher Lage (siehe Kapitel 24).