Ist dies der Fall, dann machen sich bei den Tests zum Beispiel Gleichgewichtsstörungen, Einschränkungen im Tasten oder Fühlen, beim Schlucken, Sehen usw. bemerkbar.
Oft nimmt man ja schon im Alltag wahr, ob sich bestimmte Körperfunktionen verändert haben. Die Anamnese, also das Vorgespräch mit dem Chirurgen, Symptome, die der Patient schildert und die Hirnnerventests geben sehr wichtige Hinweise um Risiko und Nutzen des Eingriffs abschätzen zu können. Diese Erkenntnisse vergleicht der Neurologe dann mit dem MRI-Bild um sich so ein möglichst genaues Bild von der Tumorlage machen zu können. Es ist also wichtig und für den Neurologen sehr aufschlussreich, wenn der Patient alle Veränderungen, die er selber schon bemerkt hat, ganz genau schildert.
Nachdem wir alle Tests durchgeackert hatten, und das dauerte rund eine halbe Stunde, fragte er mich, ob ich Zeit hätte zu warten, dann würde er alles mit seinen Kollegen besprechen und mir gleich Bescheid geben.
Ich hatte Zeit, ja, es war ja der 24. Dezember und ich wollte danach nach Luzern zu meinem Freund fahren, um mit ihm und seiner Familie Weihnachten zu feiern.
Also saß ich da und wartete.
Das Zimmer war eher klein. Da gab es ein Untersuchungsbett, einen Spiegel, ob ein Pult darinstand, weiß ich nicht mehr, aber es gab eine große Leuchtwand um die Röntgenbilder anzuschauen und ein, zwei Stühle.
Ich saß da und ärgerte mich schon etwas, dass ich kein Buch dabeihatte. Denn da gab es absolut nichts zu lesen. Und ich wartete ziemlich lange.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ging plötzlich die Tür auf und drei Neurologen kamen herein. Die Atmosphäre im Raum wurde plötzlich angespannt. Ich saß immer noch ahnungslos da, aber langsam wurde mir mulmig. Das war komisch. Gleich drei Ärzte? Und alle schauten so ernst.
Sie stellten sich kurz vor und einer fragte mich dann, ob ich alleine hier sei.
Ich antwortete: „Ja, warum?“
Diese Frage überraschte mich irgendwie und machte mich etwas misstrauisch.
Meine Eltern hatten mich gefragt, ob sie mitkommen sollten, aber ich hatte abgewunken. Ich sagte, das sei schon in Ordnung, ich würde da einfach hingehen und danach gleich nach Luzern zu meinem Freund Sacha fahren.
Also saß ich alleine da vor diesen drei Spezialisten, die sich nach meinem Ja kurz verdutzt anschauten. Da war auch ein kleines Zögern in der Körpersprache, so als ob sie jetzt gerade nicht wüssten was zu tun sei und das mit kurzen Blicken abklären müssten.
Oftmals spürt man, dass irgendetwas nicht stimmt, dann nimmt man plötzlich alles, die Umgebung, den Raum, das oder in meinem Fall die Gegenüber, ganz intensiv wahr. Man fasst die kleinsten Gesten, Blicke, Atemzüge oder ein winziges Zögern sofort auf.
Man scheint wie in Alarmbereitschaft zu stehen und kann alles in einer Millisekunde einordnen. Man denkt weder rational noch emotional. Der ganze Körper ist voll auf dem Intuitions-Modus.
„Hatte jemand in Ihrer Familie einmal einen Hirntumor“. Peng, da war der nächste Satz und peng, ich wusste, was es geschlagen hatte.
Ich nahm plötzlich alles wie in Zeitlupe wahr und die drei Neurologen rückten irgendwie in die Ferne. Innerlich war ich wie gelähmt und gleichzeitig hinter einer Glasscheibe.
Ich fühlte nichts. Ich war leer. Im Schock. Ich realisierte gar nichts mehr.
Ich antwortete mit nein.
Sie erklärten und zeigten mir auf dem MRI-Bild wo der Tumor war.
Ich kann mich noch so gut an diesen Moment erinnern. Ich schaute auf den Punkt im Kleinhirn auf der Höhe des linken Ohrs, auf den die Ärzte deuteten und dachte: „Habe ich es doch gewusst, dass da etwas nicht stimmt und nicht mitten im Hirn.“ Mein Hausarzt hatte nämlich immer auf die Hypophyse gezeigt, als er von dem „kleinen Problem“ sprach, das nicht sein sollte. Mein Gott, er hatte mich elegant hinters Licht geführt. Aber mehr dazu später.
Einer der drei Neurologen sagte mir, dass anhand von meinem Alter und so wie der Tumor auf dem Bild aussah, er zu 95 % gutartig sei. Aber wirklich wissen tue man es erst, wenn man ihn rausoperiert und im Labor untersucht habe.
Sie schätzten den Tumor auf 3 mal 3 Zentimeter.
Ich fragte, was sie mir empfehlen würden.
Operieren wäre eine Möglichkeit oder noch abwarten und schauen, wie er sich entwickelt, wäre die andere Option.
Ich sagte laut und klar, dass ich dieses Ding so rasch wie möglich draußen haben möchte.
Ich dachte nicht einmal nach, was das bedeutet oder welche Folgen eine Hirnoperation haben könnte. Für mich war einfach klar: Raus damit! Und zwar schnell. Ich will den Tumor keinen Tag länger als nötig in mir drin haben.
Einer der Ärzte meinte, er würde mir auch zu einer Operation raten, da der Tumor zwar wohl ziemlich sicher gutartig sei, sich aber mit der Zeit auch in einen bösartigen verändern könnte. Außerdem würde er weiter wachsen und könne mit der Zeit neurologische Probleme verursachen. Unter Umständen könnte man ihn dann nicht mehr vollständig entfernen.
Ich fragte nach den Risiken der Operation.
Einer der drei schaute mich verdutzt an und sagte zu mir: „Sie sind ganz schön hart im Nehmen.“
Dass ich so sachlich war und gleich aufs Ganze ging, war wohl nicht gerade eine übliche Reaktion auf eine solche Hiobsbotschaft.
Ich antwortete nur: „Ich begreife noch gar nicht, was hier gerade passiert.“
Nach außen hin schien ich ganz anders zu wirken, als ich mich innen drin fühlte. Ich redete mit ihnen über die Operation und besprach alle möglichen Details und Eventualitäten, wie wenn ich mit einem Kunden eine Moderation bespreche.
Aber so klar wie ich nach außen zu wirken schien, so leer war ich in meinem Innern. Ich war emotional ausgeschaltet.
Innen drin begriff ich überhaupt nichts. Die Diagnose berührte mich emotional nicht im Geringsten. Ich war wie fremdgesteuert und funktionierte einfach. Ich saß immer noch hinter einer dicken Schutzwand.
„Wie entsteht so ein Tumor? Habe ich etwas falsch gemacht?“, will ich wissen. „Man kann nicht genau sagen, warum sich ein Tumor entwickelt. Wir wissen es schlicht nicht. Es ist Schicksal“, klärt mich einer der Ärzte auf.
Na super! Jetzt habe ich so ein Teil im Kopf, das mir schadet, mich im schlimmsten Fall sogar umbringt und man weiß nicht mal wieso! Diese Antwort war für mich alles andere als befriedigend. So ist man ja einfach ausgeliefert, man kann nicht mal etwas ändern oder besser machen im Leben!
Wir sprachen lange über das Vorgehen. Und da ich mir zu 100 % sicher war, dass ich so rasch wie möglich operieren wollte, schlugen sie mir vor, gleich hier zu bleiben. Das überforderte mich dann doch etwas. Ich hatte nichts bei mir, keinen Pyjama, keine Zahnbürste, nichts.
Plötzlich zog es mich mit jeder Faser meines Körpers nach Hause zu meiner Familie. In dem Moment vermisste ich sie unglaublich fest.
Das war die erste Emotion die ich empfand. Ich wollte meine Mutter und meinen Vater sehen. Sie in die Arme nehmen. Und es war Weihnachten! Also wenigstens etwas feiern musste drin liegen.
Wir einigten uns, dass ich jetzt nach Hause fahren und am nächsten Vormittag im Spital einchecken würde.
Beim Rauslaufen fragte ich einen der Ärzte, ob es Sinn machen würde mich halbprivat oder privat im Spital anzumelden. Ich hatte bei der Krankenkasse eine sogenannte Flex-Versicherung abgeschlossen.
Er meinte: „Nein. Ich bin sowieso derjenige, der sie operieren wird. Sparen sie sich das Geld für die Reha.“
So,