In Savignys »System des heutigen römischen Rechts«, erster Band, Paragraph 56, lesen wir unter dem Titel »Vermögensrecht«:
»Um uns aber das Wesen des Eigentums klarzumachen, müssen wir von folgender allgemeiner Betrachtung ausgehen. Jeder Mensch hat den Beruf zur Herrschaft über die unfreie Natur; denselben Beruf aber muß er ebenso in jedem anderen Menschen anerkennen, und aus dieser gegenseitigen Anerkennung entsteht, bei räumlicher Berührung der Individuen, ein Bedürfnis der Ausgleichung, welches zunächst als ein unbestimmtes erscheint und nur in bestimmter Begrenzung seine Befriedigung finden kann. Diese Befriedigung nun erfolgt, vermittelst der Gemeinschaft im Staat, durch positives Recht. Wenn wir hier dem Staate die Gesamtherrschaft über die unfreie Natur innerhalb seiner Grenzen beilegen, so erscheinen die einzelnen als Teilhaber dieser gemeinsamen Macht, und die Aufgabe besteht darin, eine bestimmte Regel zu finden, nach welcher die Verteilung unter die einzelnen ausgeführt werde. Für eine solche Verteilung gibt es drei Wege, die nur nicht in einem ausschließenden Verhältnis zueinander gedacht werden müssen, sondern vielmehr in gewissem Maße gleichzeitig zur Anwendung kommen können. Wir können diese drei Wege folgendergestalt bezeichnen:
1 Gemeingut und Gemeingenuß,
2 Gemeingut und Privatgenuß,
3 Privatgut und Privatgenuß.«
So Savigny. Mit dürren Worten erklärt er, daß »der Staat die Gesamtherrschaft über die unfreie Natur innerhalb seiner Grenzen« hat und berechtigt ist, je nach dem »Bedürfnis der Ausgleichung« die »Verteilung« dieser Gesamtherrschaft »unter die einzelnen« durchzuführen. Und um ja keinen Zweifel über den Sinn aufkommen zu lassen, zählt Savigny die verschiedenen Formen auf, in denen sich diese »Verteilung unter die einzelnen« vollziehen kann, und stellt dabei bezeichnenderweise, als naturgemäß sich zuerst darbietend, »Gemeingut und Gemeingenuß«, das heißt das gemeinschaftliche kommunistische Grundeigentum, in die vorderste Linie.
Die Berechtigung des Staats, das Privateigentum an Land abzuschaffen, wird, wer der Autoritäten bedarf, einer Autorität wie Savigny gegenüber nicht abstreiten können. »Aber es wäre nicht zweckmäßig, hört das Privateigentum auf, so hört auch der Antrieb zur Arbeit auf; ein jeder arbeitet nur gerade so viel, als er muß, und die Allgemeinheit kommt dabei schlechter weg als jetzt.« Dieser Einwand, der uns häufig gemacht wird, entbehrt jeglicher Begründung, und betrachtet man ihn genau, so stellt sich heraus, daß er seine Spitze nicht gegen uns richtet, sondern gegen die heutige Gesellschaftsform. Die Anschauung, auf der er fußt, ist: Bloß wer Privateigentum hat, arbeitet mit Lust und Liebe, weil er ein Interesse daran hat, die Produktivität seiner Arbeit möglichst zu steigern. Nun hat aber unter den heutigen Eigentumsverhältnissen nur die Minderheit des Volkes Privateigentum; wo der Großgrundbesitz herrscht, ist die landbesitzende Minderheit eine verschwindend kleine; und wo das Parzellensystem herrscht, ist die Mehrheit der Landbesitzenden notorisch so arm, daß sie bloß dem Namen nach Eigentum hat, in Wirklichkeit nur für die Hypothekengläubiger arbeitet. Mit dem anderen Privateigentum verhält es sich nicht anders. Kurz, die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung arbeitet gegenwärtig nicht unter dem Stachel des Privateigentums, sondern zur Bereicherung anderer. Und gerade diese für fremde Rechnung arbeitende Majorität hat fast ausschließlich die landwirtschaftlichen Arbeiten zu verrichten; denn die wirklich besitzende Minorität arbeitet entweder gar nicht oder vergleichsweise sehr wenig. Die Sache steht demnach so, daß in der heutigen Gesellschaft die Arbeit wesentlich auf den Nichtbesitzenden ruht und daß die Besitzenden wesentlich von der Arbeit der Nichtbesitzenden leben; wer arbeitet, hat der Regel nach nicht den Ertrag seiner Arbeit; und wer den Ertrag der Arbeit hat, arbeitet in der Regel nicht. Das ist die Ordnung der Dinge unter der Herrschaft des Privateigentums. Haben wir dagegen Gemeineigentum, so ist ein jeder Eigentümer, wenn auch nicht Sondereigentümer; ein jeder hat folglich ein Interesse, die Produktivität seiner Arbeit möglichst zu steigern, denn er weiß, daß das, was er erarbeitet, ihm selber zugute kommt. Und er hat nicht bloß ein Interesse, selbst tüchtig zu arbeiten, sondern auch darüber zu wachen, daß sein Nachbar es tut, da ihm aus dessen Faulenzerei Schaden erwachsen würde. Also nicht in der heutigen Bourgeoisgesellschaft, sondern umgekehrt in der von uns erstrebten sozialistischen Gesellschaft, welche das Gemeineigentum an Stelle des Privateigentums setzt, hat die Masse des Volks ein direktes, unmittelbares Interesse an möglichst gesteigerter Produktivität der Arbeit.
Dazu kommt, daß für das Gemeineigentum alle Vorteile der modernen Großproduktion in Kraft treten, und zwar mit potenziertester Intensität, erstens, weil der Staat ungleich größere Mittel zur Verfügung hat als der reichste Grundeigentümer; zweitens, weil er die Fähigkeit hat, die Gesamtproduktion des Landes nach einem einheitlichen Plan zu regeln, was heutzutage unmöglich; und drittens endlich, weil er als Ausdruck der Gesamtheit genötigt ist, im Interesse der Gesamtheit zu handeln, wohingegen für den Privatgrundbesitzer, den großen und kleinen, ausschließlich das eigene Sonderinteresse maßgebend ist und das allgemeine Interesse nicht in die Waagschale fällt.
Die Haltlosigkeit des Einwandes, mit dem ich mich soeben beschäftigt, wird von John Stuart Mill ohne weiteres zugegeben [...]
[...] Hierzu nur einige kurze Bemerkungen: Zu so »kräftigen« Anstrengungen wird nach Aufhebung des Privateigentums allerdings kein Mensch »aufgestachelt« werden, daß er sich zu Tode arbeitet, sich »abrackert« – ebensowenig, wie es in der heutigen Gesellschaft noch vorkommt, daß der Sklavenbesitzer seinen Sklaven mit der Peitsche oder einem vorn mit einer eisernen Spitze versehenen Stock oder »Stachel« so lange zur Arbeit zwingt, bis der Gemarterte leblos zu Boden stürzt. Die Peitsche, der »Stachel« im unfigürlichen Sinne sind durch unsere humane Gesetzgebung längst abgeschafft; wir haben bloß noch die moralische Peitsche, den moralischen Stachel, womit die Arbeitgeber Hunderttausende und Millionen von männlichen und weiblichen Lohnsklaven vor die Hörner des Dilemmas treiben: entweder Hungers zu sterben oder sich im Dienste des Kapitals zu Tode zu arbeiten. Dieser Stachel wird in der sozialistisch organisierten Gesellschaft fehlen, aber der edle Wetteifer, das gesteigerte Pflichtgefühl – nicht eitle Sucht nach Bewunderung – der von dem Joch der niederen Selbstsucht befreiten Menschen sind mehr als genügender Ersatz; und erwägen wir ferner, daß der Hebel des Interesses, der jetzt nur auf eine winzige Minorität wirkt, dann (freilich in geläuterter Form, das persönliche Interesse mit dem Gemeininteresse zusammenfallend) auf sämtliche Mitglieder der Gesellschaft wirken, und – nicht minder bedeutendes Moment! – daß die sozialistische Gesellschaft für die Entfaltung der Fähigkeiten eines jeden Gesellschaftsglieds sorgen wird, während die heutige Gesellschaft der Majorität der Menschen die Bildung einfach unmöglich macht, so leuchtet es ein, daß, auch abgesehen von der besseren Organisation der Arbeit im allgemeinen, die persönliche Arbeit der einzelnen Gesellschaftsglieder eine ungleich produktivere sein muß als in der heutigen Gesellschaft. Im dem soeben verlesenen Zitat kommt eine Stelle vor, welche der Aufmerksamkeit unserer Gegner in den Beamtenkreisen ganz besonders zu empfehlen ist – ich meine den Vergleich der Arbeit in der sozialistischen Gesellschaft mit der Arbeit der Beamten im heutigen Staat. Wie Mill richtig hervorhebt, würden bei ersterer alle diejenigen Garantien für tüchtige Leistung vorhanden sein wie jetzt bei letzterer. Diesen Garantien ist aber noch die alle anderen an Gewichtigkeit übertreffende hinzuzufügen, daß der sozialistische Arbeiter oder meinetwegen Gesellschaftsbeamte nicht, gleich dem heutigen Staatsbeamten, ein Rädchen, ein Maschinenteil in einer Maschine, sondern ein selbständiger, in der Gemeinschaft seine Individualität zu vollster Geltung bringender Mensch ist, der das Bewußtsein hat, durch seine Arbeit sein eigenes Wohl mit dem Wohl der Gesamtheit zu fördern. Soviel steht aber unter allen Umständen fest: Ein Staatsbeamter, der die Ergiebigkeit der Arbeit im sozialistischen Gesellschaftsorganismus