In den englischen Landzuständen drückt sich am klassischsten das Wesen des modernen Privatgrundbesitzes aus. Darum mußte ich sie so eingehend behandeln. Das französische Parzellensystem ist ökonomisch ein überwundener Standpunkt. Die landwirtschaftliche Kleinproduktion kann die Konkurrenz mit der landwirtschaftlichen Großproduktion nicht aushalten und muß dieser geradeso Platz machen wie die industrielle Kleinproduktion der industriellen Großproduktion. Bleibt der heutige Klassenstaat mit seiner Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital und seiner Aufsaugung des kleineren Kapitals durch das größere bestehen, so ist infolge der zunehmenden Überschuldung und Unergiebigkeit der kleinen Bauerngüter die Verdrängung des Parzellensystems durch das englische Landsystem nur eine Frage der Zeit. Ob die mittelalterlichen Landgesetze in England aufgehoben werden oder nicht, ist von untergeordneter Bedeutung. Die Aufhebung dieser Gesetze würde wohl große Veränderungen im Personal der Landbesitzer hervorbringen, aber das Wesen des Landbesitzes unberührt lassen. Das Landmonopol, welches die mittelalterlichen Adelsgesetze erstreben, ist auch das Ziel des modernen Bourgeoiskapitalismus. Les extrêmes se touchent; und wie in Frankreich der durch die Revolution geschaffene freie Kleingrundbesitz nach dritthalb Generationen den Bauer in die Misere des vorrevolutionären Feudalstaats zurückgeworfen hat, so würde in England der »Freihandel in Land«, und zwar ohne die dem französischen Bauer gewährte Galgenfrist der Illusionen, dem agricultural labourer sans façon das Joch der feudalen Leibeigenschaft, obendrein mit gesteigerter Ausbeutungskraft, auflegen. Der Kapitalismus ist raffinierter, potenzierter Feudalismus, und der englische Feudalismus hat dies so wohl begriffen, daß er seit vorigem Jahrhundert einen eminent kapitalistischen Charakter trägt.
Die englischen Zustände zeigen uns um einige Stationen voraus die Gestaltung unserer eigenen Zustände. Was in England ist, wird in Deutschland. Was hier unreife Frucht, der zum Teil noch die verdorrten Blüten anhängen, zum Teil freilich auch schon die Fäulnis am Kern frißt, ist dort reif, vollentwickelt, mit goldglänzender Schale, doch innen vermodert, gleich jenen Äpfeln, welche am Toten Meer wachsen sollen. Wir sehen in England unsere Zukunft. Der englische Landarbeiter, dieser Elendeste der Elenden, ist das getreue Bild der deutschen Bauern der nächsten Generationen – vorausgesetzt, daß der deutsche Bauer das warnende Exempel sich nicht zu Herzen nimmt und nicht rechtzeitig noch das Veto der Tat ausspricht. Fassen wir zusammen:
In Frankreich Kleingrundbesitz.
In England Großgrundbesitz.
In Frankreich der Grund und Boden in zahlreichen Händen (7 846 000 bei einer Bevölkerung von 38 Millionen) zersplittert; Kleinbetrieb des Ackerbaues; die Bauern durchschnittlich verschuldet; nicht Lohn-, aber Hypothekensklaven, indirekte Sklaven des Kapitals, der großen Mehrzahl nach in den jämmerlichsten Verhältnissen lebend; infolge Kapitalmangels irrationelle Bewirtschaftung des Bodens, geringe Produktivität der Arbeit (das Produkt gleich 215 Francs auf den Kopf, Männer, Frauen und Kinder der ackerbautreibenden Bevölkerung zusammengerechnet – nicht der dritte Teil dessen, was in England auf den Kopf kommt) und bei unsinniger Arbeitsvergeudung karger Bodenertrag (sieben französische Bauern verrichten die Arbeit von zwei englischen Landarbeitern, und der Acre in Frankreich ergibt 18 Bushel Hohlmaß. 1 Bushel = 36,35 Liter.gegen 30 in England) – der französische Parzellenbauer sich plackend für seinen Gläubiger, wie der englische agricultural labourer für den Pächter und Landlord.
In England der Grund und Boden in wenigen Händen (30 000 bei einer Bevölkerung von 30 Millionen) konzentriert; kapitalistischer Großbetrieb des Ackerbaues; der unabhängige Bauernstand bis auf die letzte Spur ausgetilgt; statt freier Bauern unglückliche Lohnsklaven, die selbst unter den Komfort des Workhouses herabgedrückt sind; dagegen vergleichungsweise rationelle Bewirtschaftung, mit Benutzung – natürlich nur, soweit es das Interesse des Landlords und Farmers erheischt – der durch Wissenschaft und Kapital gebotenen Vorteile; infolgedessen intensive Produktivität der Arbeit (das Produkt gleich 715 Francs per Kopf, die gesamte ackerbautreibende Bevölkerung, Weiber und Kinder eingerechnet, und reichlicher Bodenertrag) zum ausschließlichen Nutzen der Landlords und Pächter.
Das französische System ruiniert den Staat; ruiniert das Land; ruiniert den Bauer; führt, wenn eine vernünftige, das Volkswohl erstrebende Politik nicht vorher eingreift, zum allgemeinen Bankrott und muß schließlich durch Anheimfallen der kleinen Höfe an die kapitalistischen Gläubiger oder durch Versteigerung an den Meistbietenden und Meisthabenden in das englische Landsystem übergehen.
Und das englische Landsystem? Es ermöglicht zwar eine relativ rationelle Bewirtschaftung des Bodens, raubt aber dem arbeitenden Volke die Früchte derselben und wirft sie den wenigen Monopolisten in den Schoß; es verurteilt die sich abschindenden Bebauer des Bodens zur hoffnungslosen Armut und häuft auf die müßiggängerischen Eigentümer unermeßliche Schätze, die sie teils in wüster Immoralität verprassen, teils unter Anwendung der korruptesten Mittel zur Befestigung ihrer ökonomischen und politischen Herrschaft benutzen. Es führt dahin, daß in nicht ferner Zeit eine Koalition von wenigen Familien, ja daß eine Familie den ganzen Grund und Boden in ihrem Besitz vereinigt und das Land nach Belieben aushungern kann.
Das ist der Stand der Grund- und Bodenfrage in den zwei ökonomisch fortgeschrittensten Kulturländern. Und nun zur Heimat.
In Deutschland haben sich die Grund- und Bodenverhältnisse infolge der Vielstaaterei und der Abwesenheit einer einheitlich gleichförmigen politischen Entwicklung nach keinem einheitlich gleichförmigen System ausgebildet. Wir begegnen in den verschiedenen Staaten und Landesteilen den verschiedensten und mannigfaltigsten Arten und Abarten des Grundbesitzes und entsprechend vielgestaltigen Zuständen der Landbevölkerung. Während wir im östlichen Teile Preußens und in Mecklenburg den englischen Großackerbau haben, herrscht am Rhein und überhaupt in Westdeutschland das französische Parzellensystem vor. Zwischen dem englischen und französischen System bewegen sich unsere deutschen Grundeigentumsverhältnisse: hier das eine, dort das andere mehr oder weniger entfaltet, häufig, ja wohl in den meisten Landstrichen, beide nebeneinander bestehend, ineinander überspielend. Um ein Beispiel zu wählen: in Hessen-Darmstadt haben wir vorwiegend das französische System, aber zwischen die kleinen Bauerngütchen haben sich die Großgüter der Standesherren, der Fürsten von Solms-Lich, Solms-Laubach, Grafen