Esta Sola. Sind Sie allein?. Elke Weickelt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Weickelt
Издательство: Bookwire
Серия: Lindemanns Bibliothek
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783963081545
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Umgang mit Zeit unterstützt mich hier enorm bei meinem Wunsch, zeitlos zu sein. So hatte ich es mir zwar nicht gedacht, aber das ist auch eine Variante. Ich lerne. Hat schon mal einer, der immer pünktlich ist, versucht, das abzulegen? Verdammt schwierig.

      Esquel liegt in der Provinz Chubut südlich von El Bolson.Nachmittags sitze ich auf der Plaza vor dem Museo historico und beobachte die Kinder. Ich will ins Museum, aber das hat geschlossen.

      Kinder in Südamerika sind etwas Wunderbares. Sie sind so selbstständig und selbstbewusst und fremdenfreundlich, die ganz kleinen schon. Eine Frau hat sich zu mir gesetzt und mich eingeladen, am Sonntagabend zum Familientag in die Kirche zu kommen, nachdem ich ihr erzählt habe, wie es bei uns mit den Kindern ist und dass ich glaube, dass die deutschen Mütter viel ängstlicher sind. Es interessiert sie sehr und sie kann es gar nicht glauben, dass es in Deutschland so wenige Kinder gibt.

      In den meisten Ländern Südamerikas, vor allem auch bei den Indigenen, haben die Familien viele Kinder. Sie werden geboren, auf den Rücken der Mutter gebunden und mit in den Alltag genommen, aufs Feld, auf den Markt, wo auch immer. Kinder sind eine Selbstverständlichkeit. Sobald sie laufen können, laufen sie los, nicht immer ist die Mutter hinten dran, aber alle anderen passen auch auf. Wenn ich mir überlege, was es bei uns manchmal für ein Theater ist, wenn ein Kind geboren wird. Immer eine Ausnahmesituation, weil wohl nicht so häufig und dann aber auch immer bedacht mit einer Sorge und Ängstlichkeit, manchmal einem überfürsorglichen Beschützerrausch. Ein Riesenunterschied.

      Dann erzählt sie mir noch voller Stolz, dass die Einwohner von Esquel mit ihrem Protest und Engagement eine Goldmine verhindert haben. Goldminen in Südamerika, das bedeutet zwar Arbeitsplätze, aber immer auch massive Umweltvergiftung mit Quecksilber.

      Ich gehe gerne zu diesem Familientag und freue mich über die Einladung. Familientag in der Kirche ist eine Art Gottesdienst, in dem überwiegend gespielt und gelacht wird und es laut hergeht. Die gesamte Kirche ist ein Wimmelraum für Kinder. Sie werden sehr geliebt hier und es wird viel für sie getan, immer in der Gemeinschaft oder der Familie. Entsprechend sieht man hier genauso viele Väter wie Mütter. Überhaupt habe ich oft in Argentinien und auch in den anderen Ländern Südamerikas Väter gesehen, die ihre Kinder herumtragen. Auch viele allein, wenn die Mutter wohl gerade etwas anderes zu tun hat und sicher mehr Väter, die sich um die kleinen Kinder kümmern, als man es bei uns im öffentlichen Raum sieht.

      Ich werde immer wieder, weil es so üblich ist, von Einheimischen, mit denen ich Kontakt habe, gefragt, wie mein Name ist. Wenn ich sage: Elke, dann können sie es nicht aussprechen und fast immer ist dann die Antwort: ah, Erika. Ein offensichtlich gängiger Name hier. Die ersten Male habe ich das verbessert, aber dann habe ich es aufgegeben. Wenn mich jetzt jemand nach meinem Namen fragt, sage ich „Erika“

      In Südamerika heiße ich Erika und fange an, mich daran zu gewöhnen. Manchmal überlege ich, was wohl Erika für eine Frau ist und ob sie sich von Elke unterscheidet. Eine ziemlich spannende Frage.

      Am nächsten Tag ist das Museum endlich geöffnet. Ich gehe in jedes Museum um zu lernen. Selbst in einem Militärmuseum erfahre ich eine Menge über das Land. Für mich ist das interessanter als einen Reiseführer zu lesen, da man meistens mit Menschen sprechen kann, mit Angestellten, ihre Meinung über das Museum und dessen Darbietungen einholen, gleichzeitig fragen, was sie hier verdienen und wie ihre Arbeitszeiten sind und noch vieles mehr.

      Diese Arbeitszeiten machen sie oft selbst und sie sind abhängig von ihren sonstigen Tagesaufgaben, zumindest in den kleineren Städten. Herauszufinden, wann so ein Museum geöffnet hat, ist nicht wirklich möglich, seitdem gehe ich immer hin und habe entweder Glück oder ich komme wieder.

      Auf wunderschönen urigen Wegen, vorbei an blau-türkis schimmernden Seen mit Blick auf die schneebedeckten Berge, wandere ich den ganzen Tag durch den Parque nacional los Alerces und bewundere die letzten Bestände der Patagoni­schen Zypressen, nach denen der Park benannt ist. Die ältesten schätzt man auf 3.000 Jahre. Um ihren Bestand zu schützen, wurde der Park 1937 gegründet. Diese Bäume wachsen sehr langsam.

      Meine Beschreibungen dieser Landschaften klingen immer irgendwie etwas kitschig, wie ich finde, aber es ist hier tatsächlich so schön, dass es wohl keine Worte dafür gibt.

      Auf der Rückfahrt bemerke ich ein paar dicke Mückenstiche. Man muss sich doch immer schützen, sogar in Patagonien und auch, wenn es nicht heiß ist.

      In der Stadt lerne ich ein deutsches Ehepaar kennen. Sie sind mit dem Motorrad in Patagonien unterwegs. Er ist ein Bär von einem Mann, aber in Santiago de Chile wurde er überfallen, mitten in der Stadt am helllichten Tage, erzählt er. Warum? Wie Motorradfahrer es oft haben, hat er eine dicke Goldkette getragen. Da hat man ihm einen Schlag in den Nacken gegeben und dann die Kette abgerissen. Die Verletzungsspuren sind noch am Hals zu sehen. Das war ein Schock für ihn.

      Immer, wenn ich solche Berichte höre, denke ich: „Das wundert mich nicht“. Wie kann man mit Schmuck, Goldketten oder auch teuren Taschen oder dicken Fotoapparaten durch Südamerika laufen? Tausende tun es und dann wundern sie sich und dann steht in den Reisehinweisen der deutschen Botschaft: Raubüberfälle. Ich verstehe das nicht.

      Mit dem Bus geht es 22 Kilometer nach Trevelin, eine alte walisische Stadt. Sie wurde 1865 durch walisische Siedler gegründet auf der Suche nach neuem Land. In einer historischen Backsteinmühle zeigt das Museum diese Geschichte auf. Heute erinnern englische Straßennamen, Teestuben, die Kleidung der hier noch lebenden Waliser sowie gälische und spanische Schilder an diese Zeit. Die Menschen haben sich damals mit den Ureinwohnern, den Mapuche, vermischt.

      Die Stadt ist ruhig, entspannt und sauber. Das ist nicht selbstverständlich in südamerikanischen Städten, deswegen betone ich das.

      Bei einem Spaziergang am Rio Percey kann ich wunderbar Vögel beobachten. Der Name Trevelin heißt übrigens im Walisischen „mill town“, Mühlenstadt.

      In den Nachrichten habe ich gehört, dass weiter südlich in Patagonien das Hantavirus wütet. Es wird durch Mäuse übertragen und ist auch für den Menschen gefährlich. Sie haben jetzt Camper in den Nationalparks gewarnt, die zelten und auf dem Boden schlafen. In Patagonien gibt es viele Camper.

      Um Mitternacht wird im Fernsehen die Nationalhymne gespielt und auf der Straße der Müll abgeholt.

      Morgen geht es weiter Richtung Süden.

      Puerto Madryn

      Von Esquel geht es einmal quer über den Kontinent von den Anden durch die patagonische Steppe an den Atlantik nach Puerto Madryn. Auf der Karte sieht das wie eine kurze Strecke aus, aber es sind über 500 Kilometer und der Bus braucht zehn Stunden. Puerto Madryn ist ein wichtiger Exporthafen und eine Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe. Sie machen fast alle Halt hier. Aber die Attraktion ist die Halbinsel Valdes, UNESCO-Welterbe mit großen Seelöwen-, See-Elefanten und Pinguinkolonien. Ich liebe Tiere über alles und neben der Landschaft und den fremden Kulturen sind es die Tiere und die Pflanzen, die mich nach Südamerika ziehen. Und ich bin sehr gespannt auf das Meer.

      Das Hostel ist etwas heruntergekommen und überteuert. Die Besitzerin geizt mit allem: Handtuch, Seife, Klopapier, Milch. Und außerdem scheint es sehr hellhörig zu sein.

      Heute ist Heiligabend. Es ist hochsommerlich heiß. Mir graut davor, allein in diesem Hostel – furchtbar. Ich schaue mich um. Es gibt eine Gemeinschaftsküche. Da findet man meistens die anderen. Außer mir gibt es drei weitere Gäste: zwei relativ durchgeknallte, nicht mehr ganz junge Argentinierinnen, die sich über ihr Zimmer hinaus mit ihrer Wäsche und ihrer Schminke im ganzen Hostel ausgebreitet haben, und ein Harley Davidson-Fahrer aus Brasilien. Wahrscheinlich gibt es keine Stelle an seinem Körper, die nicht tätowiert ist.

      Also frage ich die Argentinierinnen, was sie denn heute an Heiligabend machen. Sie sprechen kein Wort Englisch, sind aber total nett und ein bisschen albern.

      Sie wissen es nicht, aber wohl angeregt durch meine Frage schlagen sie vor, dass wir zu dritt essen gehen. Ich bin begeistert und neugierig. Bloß raus hier heute Abend. Sie wollen einen Tisch reservieren. Ich bin einverstanden.

      Es war wohl doch nicht so leicht mit dem Tischreservieren so