2. Kapitel Grundlagen für Compliance › B. Österreich › VII. Wettbewerbsrechtliche Compliance
1. Allgemeines
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In der österreichischen Rechtsterminologie umfasst das Wettbewerbsrecht einerseits den Regelungskomplex, der Wettbewerbsbeschränkungen und die Ausübung der Marktmacht beschränken soll („Kartellrecht“) und andererseits das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb. Aufgabe des Kartellrechts ist es, den Wettbewerb als Institution zu schützen und die Ausübung wirtschaftlicher Macht zu begrenzen. Dies geschieht durch Vorschriften betreffend
– | die Bildung und Hintanhaltung von Kartellen, |
– | die Aufsicht über marktbeherrschende Unternehmen sowie |
– | die Kontrolle von Zusammenschlüssen, die das Entstehen marktbeherrschender Unternehmen oder eine Verstärkung der Marktmacht von vornherein verhindern sollen. |
Das Kartellrecht ist in Österreich im Kartellgesetz 2005[1] (KartG) sowie dem Wettbewerbsgesetz[2] (WettbG) geregelt.
2.1 Definition von Kartellen
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Nach § 1 Abs. 1 KartG sind verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Zusammenschlüsse von Unternehmen, Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle). Im Wesentlichen deckt sich diese Bestimmung mit dem ersten Satz von Art. 101 AEUV. § 1 Abs. 2 KartG zählt einige typische Anwendungsfälle mit beschränkendem Charakter auf. Diese Aufzählung entspricht wörtlich dem Katalog in Art. 101 (1).
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Vergleicht man die drei Formen der Wettbewerbsbeschränkungen, so haben in der Praxis die Vereinbarungen zwischen Unternehmen die mit Abstand größte Bedeutung. Darunter fallen eine Reihe verschiedener wirtschaftlicher Sachverhalte, angefangen von geheimen Preisabsprachen zwischen Wettbewerbern über ökonomisch sinnvolle Unternehmenskooperationen bis hin zu verschiedenen vertikalen Vertriebsvereinbarungen mit Ausschließlichkeitsbindungen. Während für das Vorliegen einer Vereinbarung zumindest eine schlüssige Willensübereinstimmung zwischen Unternehmen erforderlich ist, liegen abgestimmte Verhaltensweisen bereits dann vor, wenn die Koordinierung zwischen Unternehmen bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Was die Form der Kontakte zwischen Unternehmen betrifft, so genügt bereits eine einseitige Informationsübermittlung auf Wunsch oder mit Zustimmung des Adressaten, etwa durch Zusendung von Preislisten an Wettbewerber oder durch Präsentation der eigenen Marktstrategie oder Preispolitik in einer Sitzung gegenüber Wettbewerbern. Nach österreichischem Recht ist die Zwischenstaatlichkeit der Wettbewerbsbeschränkung kein Kriterium für die Anwendbarkeit des Gesetzes. Ist die Zwischenstaatlichkeit allerdings gegeben, so ist (auch) Art. 101 Abs. 1 AEUV anwendbar, der – bei einem allfälligen Widerspruch – Anwendungsvorrang vor nationalem Kartellrecht hat.
2.2 Zivilrechtliche Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Kartellverbot
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Gem. § 1 Abs. 3 KartG sind verbotene Vereinbarungen und Beschlüsse nichtig. Mit dem Kartell- und Wettbewerbsrechts-Änderungsgesetz 2012[3] wurde im KartG eine eigene Schadenersatzregelung für den Fall von Wettbewerbsverstößen eingefügt. Gem. § 37a Abs. 1 wird, wer schuldhaft eine Rechtsverletzung nach § 29 Z 1 KartG begeht, zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Dieser ist unter sinngemäßer Anwendung des § 1333 ABGB zu verzinsen. Nach § 37a Abs. 3 ist das Zivilgericht, bei dem eine Schadenersatzforderung wegen Wettbewerbsverstößen geltend gemacht wird, an eine in einer rechtskräftigen Entscheidung des Kartellgerichts, der Kommission der Europäischen Union oder einer Wettbewerbsbehörde i.S.d. VO (EG) Nr. 1/2003 getroffene Feststellung, dass ein Unternehmen die in der Entscheidung angeführte Rechtsverletzung rechtswidrig und schuldhaft begangen hat, gebunden. Die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs nach Abs. 1 wird für die Dauer eines auf eine Entscheidung i.S.d. Abs. 3 gerichteten Verfahrens gehemmt. Eine Schadenersatzforderung aufgrund von Wettbewerbsverstößen wurde dadurch im Ergebnis massiv vereinfacht.
3. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
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Nach § 5 Abs. 1 KartG ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verboten. In § 4 KartG ist festgelegt, in welchen Fällen ein Unternehmer marktbeherrschend ist. Ob ein Unternehmer marktbeherrschend ist, ist jeweils in Bezug auf einen bestimmten relevanten Markt festzustellen. Dieser bedarf sowohl in sachlicher als auch in örtlicher Hinsicht der Abgrenzung. Marktbeherrschend ist ein Unternehmen dann, wenn das Unternehmen als einziger Anbieter keinem oder nur einem unwesentlichem Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu den anderen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat. Dabei sind insbesondere die Finanzkraft, die Beziehungen zu anderen Unternehmen, die Zugangsmöglichkeiten zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie die Umstände zu berücksichtigen, die den Marktzutritt für andere Unternehmen beschränken. Der Missbrauchsbegriff des § 5 KartG entspricht im Großen und Ganzen dem Missbrauchsbegriff in Art. 102 AEUV. Das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit hat grundsätzlich dieselbe Bedeutung wie im Bereich des Kartellverbots; die nationale Missbrauchsaufsicht kann jedoch strenger sein als die der EU.[4]
4. Zusammenschlüsse
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Da durch Unternehmenszusammenschlüsse eine marktbeherrschende Stellung entstehen oder verstärkt werden kann, werden Zusammenschlüsse ab einer bestimmten Größe der beteiligten Unternehmen einer besonderen Zusammenschlusskontrolle unterworfen (Marktstrukturkontrolle).
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Liegt ein Zusammenschluss[5] i.S.d. § 7 KartG vor, so ist er gem. §§ 9 f KartG bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) anzumelden, wenn die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss bestimmte Umsatzschwellen überschritten haben und auch keine der Ausnahmebestimmungen greift. Die beiden Amtsparteien, die BWB und der Bundeskartellanwalt (BKA), können in der Folge innerhalb von vier Wochen einen Prüfungsantrag an das Kartellgericht stellen, das in diesem Fall binnen weiterer fünf Monate über den Zusammenschluss zu entscheiden hat.
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Anmeldepflichtige Zusammenschlüsse unterliegen einem Durchführungsverbot. Die rechtswidrige Durchführung eines Zusammenschlusses ist mit Geldbußen bedroht. Verträge sind, soweit sie gegen das Durchführungsverbot verstoßen, unwirksam (§ 17 Abs. 3 KartG).
5.1 Kartellgericht und Kartellobergericht
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Das Oberlandesgericht Wien ist gem. § 58 Abs. 1 KartG als Kartellgericht für das gesamte Bundesgebiet zuständig. Gegen Beschlüsse des Kartellgerichts geht der Rechtszug in die zweite und letzte Instanz an den Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht. Das Kartellgericht entscheidet grundsätzlich nur auf Antrag. Antragsberechtigt sind
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