b) Grundstruktur der Vernehmung
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Grundlage einer jeden Vernehmung sollte sein, zuerst einen Bericht der Auskunftsperson zu ermöglichen und erst im Anschluss das Verhör, d.h. Nachfragen, anzuschließen. Diese Grundstruktur ist für den Straf- sowie den Zivilprozess gesetzlich festgeschrieben (§ 69 Abs. 1 StPO und § 396 Abs. 1 ZPO). Dieser Anspruch wurde zwar für den gerichtlichen Prozess formuliert, doch sollte der Grundsatz für jede Vernehmung gelten. Er ist aussagepsychologisch von allgemeiner Gültigkeit: Die Fehlerquote ist bei einer Vernehmung grundsätzlich höher, wenn direkt mit dem Verhör begonnen wird.[45] Der Auskunftsperson sollte daher die Zeit gegeben werden, in Ruhe die Erinnerungen frei zu berichten. Soweit die Schilderung etwas kurz oder lückenhaft gerät, kann durch offene Fragen die Auskunftsperson zur Erweiterung des Berichtes aufgefordert werden. Dies kann etwa erreicht werden, indem an einer bestimmten Stelle des Berichtes angeknüpft wird und um genaueren Bericht gebeten wird. Konkrete Sachfragen verhelfen dabei weniger zu einer allgemeinen Erweiterung, da bei Einzelfragen durch Details, die in der Frage schon formuliert werden, immer die Gefahr steckt, die Auskunftsperson in irgendeiner Richtung zu beeinflussen.[46]
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Nicht alle Auskunftspersonen können in der Vernehmungssituation, die oft als belastend empfunden wird, ihre Erinnerungen in einen gesamten, vollständigen Bericht formulieren. An dieser Stelle gilt wieder, die Auskunftsperson in ihrer Aussagebereitschaft zu stärken. Je nach Persönlichkeit kann auch eine gewisse Hilfestellung sinnvoll sein. Dann sollten aber immer noch offene Fragen gestellt werden, die die Auskunftsperson ausfüllen kann (z.B. „Was ist an dem Tag genau vorgefallen?“ oder „Was haben Sie danach gemacht?“).
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Beim Bericht gilt es ganz besonders, sich als Vernehmer zurückzunehmen und die Fragen erst einmal zu notieren. Oft werden viele Fragen im Laufe des Berichtes beantwortet. Die Ausführungen sind dann in freier Erinnerung – ohne Detailfragen – wiedergegeben worden, so dass die Aussagekraft nicht aufgrund möglicher Beeinflussung in Frage gestellt werden sollte.
c) Fragetypen
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An den Bericht schließt sich das Verhör an. Sind bestimmte Fragen noch offen, können diese nun konkret gestellt werden. Dies ermöglicht die ggf. notwendige detailliertere Ausklärung des Sachverhaltes. Auch können Fragen genutzt werden, um die Glaubhaftigkeit der Aussage zu überprüfen.
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Bei der Formulierung der Fragen sollten die oben aufgeführten Regeln der Vernehmung besonders beachtet werden. Jedes einzelne Wort hat eine Wirkung auf die Auskunftsperson. Dies sollte sich der Vernehmer immer wieder bewusst machen. Die Fragen sollten klar, kurz und freundlich gestellt werden. Festlegungen sind nach Möglichkeiten zu vermeiden. So verhilft etwa schon das Weglassen von bestimmten Artikeln zu einer offeneren Frage. Bestenfalls formuliert der Vernehmer sog. W-Fragen (wer, wie, was, wo). Dann ist gesichert, dass die Auskunftsperson Informationen bekunden muss, außer sie hat keine Erinnerung. Eine Reduzierung auf einen bestimmten Gegenstand oder Person wird dann nicht suggeriert.
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Vermeiden sollte der Vernehmer negativ formulierte Fragen. Darin könnte die Auskunftsperson eine Wertung, vielleicht sogar einen Angriff sehen. Die Antwort wird aller Wahrscheinlichkeit in eine bestimmte Richtung gelenkt, die nicht unbedingt gewollt war und jedenfalls nicht ganz unbefangen ist.[47]
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Es besteht die Möglichkeit, nebensächliche Fragen zu stellen, um zu überprüfen, ob die Erinnerungen der Auskunftsperson echt sind. So können nach dem Bericht zum Kerngeschehen, das der Vernehmer im Ergebnis aufklären will, Fragen zum Rahmengeschehen gestellt werden. Das ist in der Sache zwar für den Vernehmer nicht interessant. Allerdings bietet diese Vorgehensweise eine Variante, die Glaubhaftigkeit zu überprüfen. Hat sich jemand einen Sachverhalt nur ausgedacht, wird es ihm schwer fallen, über unwichtige Details wie das Wetter, die Kleidung anderer Leute, über Gerüche oder ähnliches zu berichten. Umso mehr Details erwähnt werden, umso schwieriger hat es der Lügner, sich nicht in Widersprüche zu verstricken.[48] Es dürfen allerdings nicht zu schnell Rückschlüsse gezogen werden, wenn bestimmte Angaben nicht gemacht werden können, da es realitätsfern wäre, wenn keine Erinnerungslücken bestehen.
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Hilfreich für eine Vernehmung ist, wenn sich der Vernehmer grundsätzliche Fragetypen verinnerlicht und sie auch bewusst einsetzt. Die Fragearten können detailliert aufgeschlüsselt werden. Vorliegend soll eine grobe Einordnung der wichtigsten Typen dargestellt werden:[49]
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Die sog. Filterfrage stellt die Eingangsfrage zu Beginn des Berichtes dar. Es ist zu klären, aus welchem Grund die Auskunftsperson zur Sache etwas beitragen kann und worauf ihr Wissen beruht. Der Vernehmer muss klären, ob die Auskunftsperson vor Ort war und was sie selbst wahrnehmen konnte.
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Im Fall einer Auswahlfrage bietet der Vernehmer der Auskunftsperson mehrere Möglichkeiten zur Auswahl an. Die Auskunftsperson kann dann eine Variante auswählen. Hierbei sollte der Vernehmer beachten, dass eine offene Variante angeboten wird, wie etwa „… oder war es anders?“. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die Auskunftsperson auf die nächstliegende Variante festlegt, obwohl der Sachverhalt sich für sie etwas anders darstellt.
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Bei zu langen Ausschweifungen der Auskunftsperson kann es notwendig sein, dass der Vernehmer die Richtung auf das eigentliche Thema lenken sollte. Dies kann er mit einer Lenkungsfrage erreichen. Die sogenannte Rangierfrage ermöglicht dem Vernehmer, die Auskunftsperson auf einen bestimmten Punkt zu lenken. Es sollte ein fließender Übergang von den Ausführungen der Auskunftsperson zu dem fraglichen Thema formuliert werden.[50] Hierbei muss der Vernehmer Acht geben, die Auskunftsperson nicht zu abrupt zu unterbrechen und den Redefluss nicht zu sehr zu stören. Steigen die Emotionen bei der Auskunftsperson zu stark, kann eine Ablenkungsfrage, ggf. mit kleiner Pause, wieder Sachlichkeit in die Vernehmung bringen. Der Vernehmer sollte die Emotionen ernst nehmen, aber auch nicht verstärken.
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Abschließend ist auf die Suggestivfrage hinzuweisen, die trotz des Wissens um ihre Folgen immer wieder auftaucht. In der Suggestivfrage wird immer eine Tatsache schon angenommen, die für die Antwort eine Voraussetzung ist. Wird nach dem Aussehen eines Kleidungsstücks gefragt, setzt diese Frage voraus, dass die fragliche Person das Kleidungsstück überhaupt trug. Die Suggestivfrage ist nicht per se ohne Beweiswert. Allerdings muss bei der Würdigung beachtet werden, dass allein die Überhangantwort Aussagekraft hat. Also nur der Inhalt der Antwort, der in der Frage noch nicht vorausgesetzt wurde, ist zu berücksichtigen.[51]
4. Dokumentation
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Die Anhörung der Auskunftsperson ist in der Regel schriftlich zu dokumentieren. Nach der Begründung der zitierten BRAK-These muss die Dokumentation den Anschein einer „amtlichen“ Handlung vermeiden. Ob dem Mitarbeiter auf Verlangen später Einsicht zu gewähren ist, mag im Einzelfall entschieden werden. Die BRAK empfiehlt das.
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