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Der Zweck der Vorschrift wird bei Implementierung des Art 4 möglicherweise erreicht werden können, allerdings schießt er zulasten der Steuerplanungssicherheit über sein Ziel hinaus. Auch doppelt ansässigen Rechtsträgern, die ohne Steuerumgehungsabsicht entstehen, zB weil im Sitzstaat der Ges zeitweilig kein Geschäftsführer wohnhaft ist, wird ein Verständigungsverfahren aufgezwungen. Die Richtigkeit der Auffassung der OECD,[11] dass doppelt ansässige Rechtsträger nur selten vorkommen, anderseits aber vermehrt zur Steuerumgehung genutzt werden, muss zumindest aus Sicht der deutschen Beratungspraxis bezweifelt werden. Derartigen Strukturen, zB zur doppelten Aufwandsberücksichtigung, wurde in den meisten Fällen bereits durch die Verschärfung nationaler Regeln begegnet[12] bzw wird innerhalb der EU ggf nach Neufassung der ATAD (Anti-Tax Avoidance Directive) zur Änderung nationaler Regelungen führen.[13] Daher ist es zu begrüßen, dass Deutschland sich dazu entschlossen hat Art 4 vollumfänglich nicht anzuwenden.[14]
II. Bezug zum OECD-MA
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Das OECD-MA regelt in Art 4 die Ansässigkeit einer Person, wobei die Regelung für natürliche und juristische Personen einschließlich des jeweiligen Vertragsstaates und seiner Gebietskörperschaften gilt. Nach Art 4 Abs 1 OECD-MA ist eine in einem Vertragsstaat ansässige Person eine solche, die nach dem dortigen Recht aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Ergibt sich nach dieser Vorschrift eine Ansässigkeit in mehr als einem Vertragsstaat, so bestimmt die „Tie-Breaker-Rule“ des Art 4 Abs 2 OECD-MA die Ansässigkeit einer natürlichen Person und diejenige des Art 4 Abs 3 OECD-MA die Ansässigkeit einer anderen als einer natürlichen Person. Ist eine andere als eine natürliche Person danach in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt sie als ausschließlich in dem Vertragsstaat ansässig, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet.[15] Das OECD-MA regelt in Art 4 Abs 3 OECD-MA also die Zuordnung der Ansässigkeit für die Anwendung des Abkommens, wenn aufgrund des nationalen Rechts der Anwenderstaaten eine Doppelansässigkeit besteht. Die Vorschrift des OECD-MA stimmt fast wörtlich bzw ohne inhaltliche Abweichungen mit der dt Vertragsverhandlungsgrundlage für DBA v 17.4.2013 überein.
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Bereits mit dem Update des OECD-MA 2008 wurde ein alternativer Formulierungsvorschlag zu Art 4 Abs 3 OECD-MA in Tz 24.1 des MK vorgestellt, der im Wesentlichen wörtlich Art 4 Abs 1 MLI entspricht. Dieser soll nunmehr nicht mehr nur als Alternative, sondern als Regel verwendet und mit Nachdruck implementiert werden.[16] Mithin wird der bisher rein materiell-rechtlich abgefasste und anwendungssichere Art 4 Abs 3 OECD-MA durch eine Neuregelung ersetzt, die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Elemente kombiniert.[17] Ferner greift nicht mehr eine automatisch eintretende Fiktion zur Auflösung des Ansässigkeitskonflikts für DBA-Zwecke, sondern der Anwender wird auf die (spätere) Einigung der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten verwiesen. Um dennoch denjenigen Vertragsstaaten Rechnung zu tragen, die an der bisherigen Fassung des Art 4 Abs 3 OECD-MA festhalten wollen, weil sie den innerstaatlichen Bedürfnissen besser Rechnung trägt und daher so ausgelegt werden kann, dass ein Missbrauch vermieden wird, wird die Verwendung von Art 4 Abs 3 OECD-MA in seiner bisherigen Fassung weiterhin erlaubt.[18] Eine entsprechende Anpassung des MK ist bereits im Entwurf zur Änderung des OECD-MA enthalten.[19]
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In der Textierung im Vergleich zum Formulierungsvorschlag zu Art 4 Abs 3 OECD-MA 2008 wird lediglich der Ort der Eintragung nicht mehr als maßgeblicher Tie-Breaker-Faktor aufgeführt. Dies hat keine materielle Wirkung, da Art 4 Abs 1 MLI auch auf „sonstige maßgebliche Faktoren“ rekurriert. Das Weglassen des Ortes der Eintragung dürfte vielmehr daran liegen, dass die meisten Vertragsstaaten die Geschäftsleitung und den Gründungsort als Anknüpfungsmerkmale einer unbeschränkten Steuerpflicht nutzen. Insofern wurde der Text lediglich gestrafft und an die Besonderheiten des MLI angepasst.
a) Grundsätzliches
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Art 4 folgt dem üblichen Aufbau der sachenrechtlichen Normen des MLI. Abs 1 stellt die BEPS Maßnahme dar. Abs 1 S 1 regelt den Fall, dass eine andere als eine natürliche Person nach einem DBA als in mehr als einem Vertragsstaat als ansässig gilt. Bei einer solchen Doppelansässigkeit sieht Art 4 Abs 1 S 1 vor, dass die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten sich bemühen werden, sich durch Verständigung auf einen Ansässigkeitsstaat für Zwecke des DBA zu einigen. Die Einigung soll dabei unter Berücksichtigung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung, des Gründungsortes sowie sonstiger maßgeblicher Faktoren erfolgen.[20]
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Ohne eine Verständigung nach Art 4 Abs 1 S 1 hat eine doppelt ansässige Person nach Abs 1 S 2 grds keinen Anspruch auf Steuererleichterungen und –befreiungen, die im jeweiligen unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommen vorgesehen sind bzw nur in dem Umfang und in der Weise wie von den zuständigen Behörden der Vertragsstaaten vereinbart. Nach Abs 3 Buchst e kann sich ein Vertragsstaat eine Alternativformulierung zu Abs 1 S 2 vorbehalten.[21]
b) Anwendungsbereich
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Die Regelung des Abs 1 gilt nur für andere als natürliche Personen. Art 2, der die Auslegung von Ausdrücken im MLI regelt, sieht dafür keine eigene Definition vor. Er verweist in Abs 2 vorrangig auf den Regelungszusammenhang im MLI, dann nachrangig auf das einschlägige unter das Übereinkommen fallende Steuerabkommen. Diese folgen in der Regel der Begrifflichkeit von Art 3 Abs 1 Buchst a OECD-MA. Gemeint sind damit Ges und andere Personenvereinigungen, unabhängig davon, ob sie juristische Personen sind oder nicht.[22]
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Voraussetzung für die Anwendung der Bestimmung nach Art 4 Abs 1 ist, dass eine Ansässigkeit in mehr als einem Vertragsstaat besteht. Dies ist nach den Vorschriften des jeweiligen DBA, das die Ansässigkeit regelt, zu bestimmen. Das OECD-MA stellt nach Art 4 Abs 1 OECD-MA für die Ansässigkeitsbestimmung auf das nationale Recht der Anwenderstaaten und dessen Anknüpfungsmerkmale der persönlichen Steuerpflicht ab,[23] sodass zB eine juristische Person,