Zur Veranschaulichung der steuerlichen Wirkungsweise von Art 3 Abs 1 führt die OECD in Tz 26.7 MK-E zu Art 1 folgendes Beispiel an:
Staat A und Staat B haben ein DBA vereinbart, welches eine dem Art 3 Abs 1 entsprechende Vorschrift enthält. Eine in Staat B steuerlich ansässige Ges (B-Corp) qualifiziert nach den Rechtswertungen in Staat A als steuerlich intransparent. Folglich unterstellt Staat A, dass die durch B-Corp von einem in Staat A ansässigen Schuldner bezogenen Zinseinkünfte in Staat B vollumfänglich der Besteuerung unterliegen. Nach nationalem Steuerrecht von Staat B wird die B-Corp hingegen als transparenter Rechtsträger angesehen, mit der Folge, dass die in Rede stehenden Zinseinkünfte nicht der B-Corp, sondern den dahinter stehenden Personen zugerechnet werden. Einer der Gesellschafter der B-Corp ist in Staat B, der andere jedoch in einem Drittstaat ansässig, mit welchem weder Staat A noch Staat B ein DBA abgeschlossen haben. Die Anwendung von Art 3 Abs 1 hat eine Beschränkung des Abkommensschutzes zur Folge, da Staat A für Zwecke des Art 11 OECD-MA nur insoweit zu einer Quellensteuerreduktion verpflichtet ist, als die Zinseinkünfte dem Gesellschafter B zuzuordnen sind.
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Wie das nachstehende Bsp zeigt, kann Art 3 Abs 1 auch zu einer Erweiterung des Abkommensschutzes führen, wenn der Ansässigkeitsstaat des hybriden Rechtsträgers die fraglichen Einkünfte nach seinem lokalen Recht der Besteuerung unterwirft.
Beispiel:[55]
Ein Investmentfonds wird in seinem Errichtungsstaat als steuerlich intransparent beurteilt. Nach den Rechtswertungen des Quellenstaats und auch des Ansässigkeitsstaats der Investoren qualifiziert er für steuerliche Zwecke hingegen als transparent. Zwischen Quellenstaat und Ansässigkeitsstaat des Fonds besteht ein DBA, welches eine dem Art 3 Abs 1 entsprechende Vorschrift enthält. Die Anwendung von Art 3 Abs 1 hat nun zur Folge, dass auch in einem Drittstaat ansässige Investoren unter Rückgriff auf das zwischen Quellenstaat und Ansässigkeitsstaat des Fonds bestehende DBA eine Quellensteuerreduktion im Quellenstaat beanspruchen können.
2. Abs 2
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Die Bestimmung des Art 3 Abs 2 ist vor dem Hintergrund des BEPS-Aktionspunkts 6 zu sehen, welcher die Vermeidung von Abkommensmissbrauch zum Ziel hat. Angesprochen sind insb Konstellationen des Treaty-Shopping, also Situationen, in denen die Einschaltung bestimmter Rechtsträger ausschließlich für Zwecke der Erlangung von Abkommensvorteilen erfolgt.[56] Technisch nimmt Art 3 Abs 2 Bezug auf die Methodenartikel der Art 23A und 23B OECD-MA und modifiziert deren Anwendung entsprechend.[57]
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Konkret bestimmt Art 3 Abs 2, dass der Ansässigkeitsstaat nicht dazu verpflichtet ist, eine Steuerbefreiung, -ermäßigung oder –anrechnung zu gewähren, soweit der andere Vertragsstaat (Quellenstaat) die in Rede stehenden Einkünfte nur deshalb besteuern darf, weil es sich auch um Einkünfte einer in diesem Staat ansässigen Person handelt. Im Ergebnis kommt es daher zu einer Versagung der Abkommensvorteile durch den Ansässigkeitsstaat, sofern der andere Staat die fraglichen Einkünfte weder in seiner Eigenschaft als Quellenstaat, noch als Betriebsstättenstaat der Besteuerung unterwirft.
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Angesprochen sind aus praktischer Sicht insb Situationen, die auf die Ausnutzung von Qualifikationskonflikten auf Grund des Einsatzes hybrider Rechtsträger abzielen. Ein Bsp hierfür sind sog „C.V./B.V.-Strukturen“, welche traditionell sehr häufig bei US-Inbound-Investitionen anzutreffen sind. Der grundsätzliche Aufbau einer solchen Struktur lässt sich wie folgt skizzieren:
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Das wesentliche Charakteristikum dieser Strukturen besteht in der Ausnutzung eines Qualifikationskonfliktes infolge des Einsatzes eines hybriden Rechtsträgers („reverse hybrid“). Auf Grund der konkreten vertraglichen Ausgestaltung qualifiziert die niederländische C.V. aus Sicht der Niederlande zwar als Personengesellschaft, durch die USA erfolgt hingegen eine Einordnung als Kapitalgesellschaft. Infolgedessen weist die Niederlande den operativen Gewinn der dt Target GmbH im Ergebnis direkt dem US-amerikanischen Gesellschafter (US-Corp) zu, was letztlich eine Vermeidung von niederländischer Quellensteuer nach sich zieht. Zudem erfolgt auf Ebene der C.V. mangels gewerblicher Tätigkeit regelmäßig keine Besteuerung der Zinseinkünfte aus dem an die B.V. ausgereichten Darlehen. Infolge der US-amerikanischen Qualifikation der C.V. als intransparentem Rechtsträger erfolgt der steuerliche Zugriff in den USA dagegen nicht direkt, sondern erst iRe späteren Gewinnausschüttung. Als weiteren erwünschten Effekt brachte die Struktur einen doppelten Abzug der Finanzierungsaufwendungen („double dip“) mit sich, da diese iRd allgemeinen Vorschriften sowohl in den USA als auch in Deutschland steuerlich abzugsfähig waren. Durch eine mögliche Anwendung von Art 3 Abs 2 würde derartigen Strukturen künftig die Substanz entzogen, nachdem die USA als Ansässigkeitsstaat nicht mehr zu einer Gewährung von Abkommensvorteilen verpflichtet wäre.
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Ungeachtet dieser unerwünschten Situationen des „Treaty-Shopping“ verweist die OECD iRv BEPS-Aktionspunkt 6 gleichzeitig auf die ökonomische Bedeutung von bestimmten Investmentvehikeln (sog „non collective investment vehicles“ bzw „non-CIV funds“) und sieht Anpassungsbedarf im Hinblick auf deren Abkommensberechtigung. Es ist demnach sicherzustellen, dass „non-CIV funds“ in angemessenen Sachverhaltskonstellationen die Inanspruchnahme etwaiger Abkommensvorteile zugesprochen wird. Etwas anderes soll indes gelten, wenn die Zwischenschaltung dieser Investmentvehikel – wie oben beschrieben – dazu führt, dass den dahinterstehenden Investoren Abkommensvorteile zugesprochen werden, die ihnen bei Direktbezug der Einkünfte nicht zustünden.[58]
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Vor diesem Hintergrund unterbreitete die OECD in ihrem Abschlussbericht zu BEPS-Aktionspunkt 6 den Entwurf einer Ermessensvorschrift, wonach ein sonst als „nicht qualifizierte“ Person einzustufender Ansässiger eines Vertragsstaats in Ausnahmefällen dennoch Abkommensvorteile zu gewähren sind. Dies soll dann der Fall sein, wenn auf Basis der objektiven Umstände des konkreten Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Errichtung, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung dieser Person und die ausgeübten geschäftlichen Aktivitäten nicht in erster Linie auf die Gewährung der besagten Abkommensvorteile gerichtet war. Die betreffende Person hat demnach gegenüber der zuständigen Behörde des betroffenen Vertragsstaats glaubhaft nachzuweisen, dass andere als steuerliche Gründe ausschlaggebend für die Zwischenschaltung des betreffenden Rechtsträgers waren.[59]
3. Abs