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Dem Wortlaut von Art 3 Abs 1 nach ist es ausreichend, wenn das betreffende Rechtsgebilde lediglich teilweise transparent ist und neben dem steuerlich transparenten noch über einen steuerlich relevanten Bereich verfügt. Insoweit besteht Übereinstimmung mit Art 1 Abs 7 DBA-USA, der in diesem Fall ebenfalls eine gesonderte Prüfung für jeden Einkunftsposten verlangt.[37] Praktisch relevant wird dies bei bestimmten Trusts, welche bezüglich ihrer laufenden auszuschüttenden Einkünfte als transparent gelten, nachdem diese auch ohne tatsächliche Ausschüttung von den Begünstigten zu besteuern sind. IÜ besteht jedoch steuerliche Intransparenz.[38] Die Frage, ob eine dt KGaA jedenfalls insoweit als steuerlich transparent gilt, als der auf die direkten Einlagen der persönlich haftenden Gesellschafter zu verteilende Gewinn betroffen ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.[39] Auch die OECD scheint die Besonderheit einer KGaA erkannt zu haben, indem sie diese Konstellation in ihrem MK-E explizit als Bsp der teilweisen steuerlichen Transparenz aufführt.[40]
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Schließlich lässt es Art 3 Abs 1 tatbestandlich genügen, wenn der Rechtsträger bzw das Gebilde nach dem Steuerrecht jedenfalls eines der beiden Vertragsstaaten als transparent einzustufen ist. Die Kategorie hybrider Rechtsträger stellt somit nur einen möglichen Unterfall dar. Die Vorschrift ist vielmehr auch anwendbar, wenn beide Vertragsstaaten von einem transparenten Rechtsträger ausgehen. Umgekehrt ist der Anwendungsbereich von Art 3 Abs 1 jedoch nicht eröffnet, wenn das betroffene Rechtssubjekt übereinstimmend als intransparent angesehen wird.[41]
cc) Einkünftebezug durch oder über ein transparentes Gebilde
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Der Wortlaut des Art 3 Abs 1 verlangt, dass Einkünfte durch oder über den Rechtsträger oder das Gebilde bezogen werden. Einerseits ist damit die Konstellation angesprochen, dass der Rechtsträger oder das Gebilde nach dem Recht des beurteilenden Vertragsstaats selbst als Steuersubjekt qualifiziert („durch“). Erfolgt dagegen eine direkte Zurechnung an die dahinterstehenden Personen, so werden die fraglichen Einkünfte über den Rechtsträger oder das Gebilde bezogen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift dann nicht eröffnet ist, wenn Einkunftszahlungen durch den Rechtsträger oder das Gebilde selbst erfolgen.[42] IÜ ist der Begriff der „Einkünfte“ auch nach Auffassung der OECD weit zu verstehen. Erfasst sind mithin sämtlich Einkunftsarten iSv Abschnitt III des Musterabkommens (Art 6-21 OECD-MA).[43]
dd) Behandlung als Einkünfte einer ansässigen Person
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Ferner müssen die durch oder über das Rechtsgebilde bezogenen Einkünfte durch den Vertragsstaat, der nicht Quellenstaat ist, als solche einer ansässigen Person qualifiziert werden. Entscheidungserheblich ist ausschließlich die innerstaatliche Perspektive dieses Vertragsstaats, wobei die Einkünfte nach den Vorschriften zur unbeschränkten Steuerpflicht entweder dem Rechtsträger selbst oder aber den dahinterstehenden Personen zugerechnet werden müssen. Ausdrücklich nicht gefordert wird hingegen eine tatsächliche Besteuerung der Einkünfte im Ansässigkeitsstaat, eine sachliche Steuerbefreiung wäre demnach unschädlich.[44]
c) Rechtsfolge
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Werden die vorstehend aufgeführten Voraussetzungen erfüllt, bestimmt Art 3 Abs 1 im Wege einer Fiktion, dass die an den Rechtsträger gezahlten Einkünfte als von einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person bezogen gelten. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die relevanten Einkünfte dieser Person für Zwecke der Anwendung der einschlägigen Abkommensnorm zugerechnet werden. Sie bezieht dadurch Einkünfte gem Art 6, 13 oder 17 OECD-MA, erzielt Unternehmensgewinne iSd Art 7, 8 oder 9 OECD-MA bzw erhält Dividenden- oder Zinszahlungen für Zwecke der Art 10 oder 11 OECD-MA.[45]
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In der Konsequenz (und nur dann) ist der Quellenstaat zur Gewährung der Abkommensvorteile verpflichtet. Der subjektive Qualifikationskonflikt wird folglich im Wege einer Qualifikationsverkettung aufgelöst, nachdem der Quellenstaat unabhängig von der Einkünftezurechnung nach seinem nationalen Recht an die Zurechnungsentscheidung des anderen Vertragsstaats gebunden ist.[46] Wird der Rechtsträger im Vertragsstaat seiner Ansässigkeit als intransparent eingeordnet, so gilt er selbst als Bezieher der Einkünfte und kann die für Gesellschaften geltenden Abkommensvorteile beanspruchen. Anderenfalls sind die dahinterstehenden Beteiligten als Einkünftebezieher anzusehen, soweit sie nach dem Recht ihres Ansässigkeitsstaats als Steuersubjekte und der Rechtsträger als transparent eingestuft werden. In letzterem Fall sind auch nur sie und nicht der dazwischengeschaltete Rechtsträger zur Geltendmachung der Abkommensvorteile berechtigt.[47] IÜ ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Einkünftebezieher die relevanten sachlichen und persönlichen Voraussetzungen der in Frage stehenden Abkommensnorm erfüllen.[48]
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Obgleich Art 3 Abs 1 eine verbindliche Einordnungsentscheidung hinsichtlich der abkommensrechtlichen Zuordnung von Einkünften trifft, ist damit noch keine Aussage zur tatsächlichen Zurechnung (Nutzungsberechtigung) dieser Einkünfte verbunden. Letztere Entscheidung obliegt alleine dem Quellenstaat.[49] So bleibt es dem Quellenstaat bspw in Treuhandkonstellationen unbenommen zu unterstellen, dass die in Rede stehenden Einkünfte nicht dem Treuhänder als (scheinbar) abkommensrechtlich Berechtigten, sondern vielmehr dem Treugeber zuzurechnen sind.[50]
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Davon abgesehen weist das Kriterium der Nutzungsberechtigung in der Praxis Relevanz auf, wenn es um die Prüfung des Unmittelbarkeitserfordernisses iRd konkreten DBA-Dividendenartikels geht. Entspr der Vorschrift des Art 10 Abs 2 Buchst a OECD-MA ist daher in vielen DBAs geregelt, dass die Inanspruchnahme reduzierter Quellensteuersätze eine unmittelbare Beteiligung der nutzungsberechtigten Gesellschaft am ausschüttenden Rechtsträger erfordert.
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Obgleich die Details dieser Streitfrage gegenwärtig noch nicht abschließend geklärt sind,[51] dürfte aus dt Sicht ein Konsens dahingehend zu bestehen, dass das Kriterium der Unmittelbarkeit jedenfalls dann nicht erfüllt ist, wenn die relevante Beteiligung an der ausschüttenden Gesellschaft über eine andere Kapitalgesellschaft lediglich mittelbar gehalten wird.[52] Andererseits wird gefordert, die mittelbare Beteiligung über eine (hybride) Personengesellschaft genügen zu lassen, zumal eine andere Auslegung (bezogen auf den Fall des Art 1 Abs 7 DBA-USA) dem Sinn und Zweck der Abkommensnorm letztlich zuwiderlaufen würde. Insoweit wird angemerkt, dass der nach Art 1 Abs 7 DBA-USA abkommensberechtigte Ansässige und der Nutzungsberechtigte im Einzelfall auseinanderfallen können.[53] Schließlich soll als Nutzungsberechtigter in solchen Fällen nicht die Gesellschaft selbst, sondern der an ihr beteiligte Gesellschafter qualifizieren, wenn die unmittelbar beteiligte Gesellschaft lediglich rechtsmissbräuchlich dazwischengeschaltet wurde.[54]
d)