Von einer solchen generellen Ausstattung mit Befugnissen ist die Delegation von einzelnen Entscheidungskomponenten im Einzelfall zu unterscheiden. Dies kann z.B. Fälle betreffen, in denen das „Ob“ und/oder der konkrete Zeitpunkt einer Ad-hoc-Veröffentlichung von dem Eintritt eines oder mehrerer Ereignisse abhängt, deren Eintritt offen ist. In solchen Konstellationen kann eine Delegation der Entscheidung über die Ad-hoc-Publizität bzw. die Bestimmung des konkreten Zeitpunkts der Veröffentlichung von dem Vorstand auf das Ad-hoc-Gremium sinnvoll sein.
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Neben den Aufgaben und Befugnissen des Ad-hoc-Gremiums ist die Frage des Vorsitzes sowie der Mitgliedschaft in der Geschäftsordnung zu regeln. Als ständige Mitglieder werden in dem Gremium regelmäßig die Compliance-, die Rechts- sowie die Kommunikations- und/oder die Investor-Relations-Abteilung fungieren. Zudem sollte auch die Finanzabteilung in dem Ad-hoc-Gremium, sei es als ständiges und ggf. stimmberechtigtes Mitglied vertreten sein oder im Einzelfall als sachverständiger Dritter hinzugezogen werden. Die Einbeziehung der Finanzabteilung ist nicht nur bei der stets wiederkehrenden Bewertung der Geschäftszahlen sinnvoll. Regelmäßig sind bei der Beurteilung der erheblichen Kursrelevanz anderweitiger Sachverhalte bilanzielle Auswirkungen ebenfalls in Betracht zu ziehen.
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Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein Vorstandsmitglied zugleich Mitglied des Ad-hoc- Gremiums sein sollte. Dies hat einerseits den Vorteil, dass der Auffassung der BaFin, nach der die Beteiligung mindestens eines ordentlichen Vorstandsmitglieds an der Entscheidung zur Selbstbefreiung erforderlich ist,[166] ohne weiteres Rechnung getragen werden kann. Andererseits erfordert die Befassung mit Ad-hoc-Themen, auch solchen, bei denen als Ergebnis eine Ad-hoc-Publizitätspflicht verneint wird, einen erheblichen Zeitaufwand und eine zeitliche Flexibilität, die in Bezug auf Vorstandsmitglieder nicht immer in dem erforderlichen Maß gegeben sein wird. Zumindest ein jederzeitiges Gastrecht kann jedoch für den Vorstandsvorsitzenden sowie das für die Compliance-Funktion zuständige Vorstandsmitglied in den Sitzungen des Ad-hoc-Gremiums sinnvoll sein.
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Des Weiteren ist in der Geschäftsordnung zu regeln, wie mit Sachverhalten zu verfahren ist, die von dem Ad-hoc-Gremium im Ergebnis als nicht ad-hoc-relevant beurteilt werden. Grundsätzlich wird in diesen Fällen eine abschließende Vorstandsbeschlussfassung vorzusehen sein, da die Entscheidung gegen eine Ad-hoc-Veröffentlichung aufgrund potenziell hoher Bußgeld- und zivilrechtlicher Haftungsrelevanz regelmäßig noch gewichtiger sein wird, als eine positive Beurteilung der Ad-hoc-Relevanz. Aus Praktikabilitätsgründen können hiervon allerdings solche Fälle ausgenommen werden, bei denen das Ad-hoc-Gremium einen Sachverhalt für offensichtlich nicht ad-hoc-relevant erachtet.
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Erstellt das Ad-hoc-Gremium ein Votum für den Gesamtvorstand, bietet sich an, einen entsprechenden Beschlussvorschlag in die vorgangsbezogene Vorstandsvorlage der Fachabteilung zu integrieren. Ist dies nicht oder nicht rechtzeitig möglich, hat das Ad-hoc-Gremium die Vorstandsentscheidung zur Ad-hoc-Publizität separat herbeizuführen.
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Ein weiteres in der Geschäftsordnung zu klärendes Thema ist die Frage, wie mit Unstimmigkeiten innerhalb des Ad-hoc-Gremiums umzugehen ist. Obwohl qua seiner Funktion jedes Mitglied dem alleinigen Interesse verpflichtet ist, den gesetzeskonformen Umgang mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu gewährleisten, ist nicht auszuschließen, dass auch sachfremde Aspekte, wie etwa unzulässige Marketingerwägungen, bei der Beurteilung eine Rolle spielen können. Ein Vetorecht der Compliance-Funktion und ggf. zusätzlich der Rechtsabteilung erscheint vor diesem Hintergrund als sinnvoll. Grundsätzlich dürfte sich das Ad-hoc-Gremium jedoch um eine einvernehmliche Beschlussfassung bemühen. Ist eine solche im Einzelfall nicht möglich, sollte hierüber der Gesamtvorstand unter Darlegung der Gründe informiert werden.
II. Implementierung von Prozessen
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Grundvoraussetzung für eine angemessene Beurteilung potenziell ad-hoc- publizitätspflichtiger Sachverhalte ist deren rechtzeitige Kenntnisnahme durch das Ad-hoc-Gremium. Der Emittent muss hierfür durch die Implementierung geeigneter Prozesse Sorge tragen. Hierzu[167] sind die Fachabteilungen anzuweisen, potenziell erheblich kursrelevante Sachverhalte, inklusive der involvierten Mitarbeiter und Unternehmensexterner, an die Compliance-Funktion zur Aufnahme auf die Insiderliste zu melden. Die in dem Insiderverzeichnis geführten Personen müssen über die mit der Kenntnis von Insiderinformationen verbundenen rechtlichen Konsequenzen, d.h. über die Insiderverbote und die zu wahrende Vertraulichkeit informiert werden. Die BaFin hat hierzu ein Musterschreiben auf ihrer Internetseite zur Verfügung gestellt.[168] Vor dem Hintergrund der zuvor dargestellten herrschenden Auffassung,[169] die die Aufklärung des Insiders als Voraussetzung für eine wirksame Selbstbefreiung ansieht, kommt der vorgenannten Aufklärungspflicht auch im Rahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht erhebliche Bedeutung zu.
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F. Ausblick
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Das Inkrafttreten der Marktmissbrauchsverordnung stellt keine Revolution dar, sondern eine Evolution des bisher geltenden Rechts.[170] Im Hinblick auf die Fortentwicklung zu einem echten Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen war es ein richtiger Schritt des europäischen Gesetzgebers, das Instrument der Verordnung zu nutzen, um eine Vereinheitlichung der Marktmissbrauchsregeln auf europäischer Ebene zu schaffen und Aufsichtsarbitrage vorzubeugen.
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Trotz der nun in allen EU-Mitgliedstaaten geltenden MAR wird es richtigerweise auch künftig zu Auslegungen durch nationale Aufsichtsbehörden kommen. In Deutschland hat die BaFin bereits angekündigt, den Emittentenleitfaden aus 2013 zu aktualisieren und damit über die bestehenden FAQs zur MAR hinaus den Marktteilnehmern weiterhin Hinweise zur Verwaltungspraxis gewähren. Es steht zu erwarten, dass andere nationale Aufsichtsbehörden ähnlich verfahren werden.
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Zu Beginn des Jahres 2017 veröffentlichte die ESMA ihr Arbeitsprogramm für 2017.[171] Teil dieses Programms ist die Fokussierung der ESMA auf die Konvergenz im Bereich der Aufsicht der nationalen Aufsichtsbehörden. Eine der Prioritäten ist hierbei auch die Implementierung der MAR. ESMA kündigt an, durch Q&A, Guidelines und andere Maßnahmen die Aufsichtskonvergenz zu erhöhen. Daher sind weitere Entwicklungen zur Auslegung der MAR, u.a. befeuert durch das Wechselspiel, ESMA einerseits und nationale Aufsichtsbehörden andererseits, zu erwarten, die dann auch auf die deutsche Aufsichtspraxis ausstrahlen dürften.
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G. Zusammenfassung
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– | Bei der Beurteilung der Ad-hoc-Publizitätspflicht inklusive der Selbstbefreiungsvoraussetzungen sieht sich der Rechtsanwender mit unbestimmten Rechtsbegriffen, einer uneinheitlichen Rechtsprechung und zahlreichen Streitfragen konfrontiert. |
– | Auch wenn die MAR einige Fragen durch Übernahme der Grundsätze des EuGH in Bezug auf die potenzielle Ad-hoc-Relevanz von Zwischenschritten kodifiziert hat, bleibt die entscheidende Frage offen, welche Kriterien für die Beurteilung der erheblichen Kursrelevanz anzulegen sind. |
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Einem Probability Magnitude-Ansatz zur Bestimmung der erforderlichen
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