c) Tax Compliance und steuerliches Risikomanagement
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Nicht immer trennscharf ist auch die Abgrenzung des Tax Compliance-Begriffs zum Begriff des steuerlichen Risikomanagements.
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Ein steuerliches Risikomanagement ist integraler Bestandteil eines unternehmensweiten Risikomanagements[78] und umfasst deshalb gleichsam Bestandteile der Risikofrüherkennung- und Risikobewältigung wie auch Elemente des internen Kontrollsystems, soweit diese auf die Steuerdeklarations-, Steuerrechtsdurchsetzungs- und Steuergestaltungstätigkeiten ausgerichtet sind.[79] Zu einem steuerlichen Risikomanagement gehören darüber hinaus auch solche Maßnahmen, durch die sichergestellt werden soll, dass die steuerlichen Pflichten erfüllt werden, mithin Maßnahmen zur Tax Compliance. Denn die Funktion, gesetzestreues Handeln sicherzustellen, ist dem steuerlichen Risikomanagement ebenso inhärent wie dem unternehmensweiten Risikomanagement.[80] Insofern umfasst ein integriertes steuerliches Risikomanagement nicht nur die „Identifizierung, Bewertung und Steuerung steuerrechtlicher Risiken“[81], sondern ebenso auch Maßnahmen zur Vermeidung bzw. frühzeitigen Aufdeckung von Rechtsverletzungen; es dient somit letztlich der Sicherstellung von (steuerlicher) Gesetzestreue.
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Im Unterschied dazu wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass ein steuerliches Risikomanagement nicht notwendigerweise Sicherungsmaßnahmen zur Gesetzestreue beinhalten muss, da es lediglich zum Ziel habe, Steuerrisiken zu vermeiden.[82] Eine solche Abgrenzung erfordert jedoch entweder, dass die aus Verstößen gegen steuerliche Pflichten resultierenden Compliance-Risiken nicht als Steuerrisiken verstanden werden.[83] Oder diesem Begriffsverständnis liegt die Vorstellung zu Grunde, dass Tax Risk Management gleichbedeutend mit Tax Management sei.[84] Das steuerliche Risikomanagement, so wie es vorliegend verstanden wird, würde in diesem Fall aus dem Corporate Governance Kontext herausgelöst und auf Maßnahmen allein zur Optimierung der Steuerbelastung (relative Steuerbarwertminimierung bzw. Optimierung der Konzernsteuerquote) des betroffenen Steuersubjektes reduziert. Eine derart verengte Sichtweise zu einem Tax (Risk) Management wäre notwendigerweise mit einem rein quantitativ ausgerichteten steuerlichen Zielkonzept verknüpft und dürfte deshalb kaum Bedeutung in der Unternehmenswirklichkeit haben.
Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 1. Kapitel Definition und Zwecksetzung › II. Zwecksetzung der Tax Compliance
1. Ziel der Tax Compliance
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Die Einhaltung von Steuergesetzen bzw. die Erfüllung steuerlicher Pflichten: In dieser voranstehenden Begriffsdefinition kommt die Zielsetzung der Tax Compliance klar zum Ausdruck. In der bloßen Gesetzeskonformität wird vielfach jedoch nicht der eigentliche Wert gesehen, vielmehr zielen Maßnahmen zur Tax Compliance darauf ab, die negativen Folgen gesetzeswidriger Handlungen abzuschwächen oder gänzlich zu vermeiden. Die Verletzung steuerlicher Pflichten von Unternehmen kann sowohl steuerliche[85] als auch zivilrechtliche Haftungsrisiken auslösen. Neben Reputationsrisiken drohen zusätzlich insbesondere strafrechtliche und steuerordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen gegen die Organe und Mitarbeiter des Unternehmens. Ferner können entsprechende Verfehlungen auch eine Bebußung sowie eine Gewinnabschöpfung bei dem Unternehmen selbst zur Konsequenz haben.
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Insofern ist es anerkanntes Ziel der allgemeinen Corporate Compliance, im Unternehmen den Haftungsgrund selbst zu vermeiden und das Haftungsrecht somit „umzustülpen“; die klassische Abfolge von Gesetzesverstoß und darauffolgender Sanktionierung durch zum Beispiel Schadensersatzansprüche soll durchbrochen werden.[86] In gleicher Weise verhält es sich bei der Tax Compliance. Hier stehen insoweit die Sanktionen des Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrechts im Fokus.
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Gleichwohl ist es nicht der Anspruch von Tax Compliance-Bemühungen, grundsätzlich alle Gesetzesverstöße zu verhindern. Ein solches Ziel wäre unrealistisch. Schon aufgrund der Komplexität des deutschen Steuerrechts und der Vielzahl von Geschäftsvorfällen, die in den Steuererklärungen eines Unternehmens abzubilden sind, lassen sich Arbeitsfehler nie in Gänze ausschließen. Ziel ist es vielmehr, durch ein angemessenes Tax Compliance-System Gesetzesverstöße/Fehler auf ein Minimum zu reduzieren und damit verbunden das Risiko steuerstrafrechtlicher bzw. bußgeldrechtlicher Sanktionen signifikant abzusenken.[87]
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Dies bedeutet zuallererst sicherzustellen, dass keine objektiv falschen Steuererklärungen abgegeben werden. In dieser Hinsicht bezwecken Tax Compliance-Maßnahmen die Qualitätssicherung. Während die Minimierung der Steuerlast unter Beachtung der geltenden Steuergesetze der Grundgedanke der Steueroptimierung ist, soll durch die Qualitätssicherung alles vermieden werden, was ein „Zuviel“ an Steuern auslöst, um die Steuerlast so niedrig wie möglich zu halten.[88] Sowohl die Steueroptimierung als auch die Qualitätssicherung folgen somit letztlich dem Motiv der Steuerersparnis. Problematisch wird es, wenn die Steueroptimierung die Grenzen des gesetzlich Zulässigen überschreitet.[89] Es ist daher auch Aufgabe der Tax Compliance sicherzustellen, dass Maßnahmen zur Steueroptimierung die Grenze zum Gestaltungsmissbrauch nicht überschreiten. Ein angemessenes Tax Compliance-System ermöglicht daher, dass unter Beachtung der maßgeblichen steuerlichen Pflichten durch Maßnahmen zur Steueroptimierung eine möglichst geringe Steuerbelastung erreicht wird, ohne dass dabei steuerstraf- bzw. ordnungswidrigkeitsrechtliche Tatbestände verwirklicht werden.[90]
2. Funktion der Tax Compliance
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Wir bereits ausgeführt, gibt es nicht nur über den Wortsinn und die Zuordnung der (Tax) Compliance zu einem bestimmten Fachgebiet unterschiedliche Ansichten, sondern auch über die Funktionsweise.
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Der Compliance wird zunächst eine repressive Funktion beigemessen.[91] Repressiv wirken Compliance-Maßnahmen insofern, als Regelverstöße aufgedeckt, verfolgt und geahndet werden sollen. Ähnlich wie im Polizei – und Ordnungsrecht sind neben den repressiven Maßnahmen jedoch auch präventive Maßnahmen zu berücksichtigen. Anders als die repressiven Maßnahmen zielen die präventiven Maßnahmen nicht auf eine Strafverfolgung, sondern auf die Verhinderung von Gesetzesverstößen.
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In dieser Hinsicht hat Compliance dann eine präventive (Schutz-)Funktion: Durch vorbeugende organisatorische Maßnahmen sollen Gesetzes-/Regelverstöße vermieden werden.[92] Allerdings ist diesbezüglich vor einer sog. „Schön-Wetter-Compliance“ zu warnen, die sich in präventiven Maßnahmen erschöpft und die schwierigen Maßnahmen interner Untersuchungen sowie Disziplinarmaßnahmen ausblendet.[93]
3. Anforderungen an die Tax Compliance