a) Übersetzung
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Der englische Begriff „Tax“ wird ganz allgemein mit „Abgabe“,[38] zum Teil etwas konkreter auch mit „Steuern“[39] übersetzt oder auch als Besteuerung, Gebühr oder Taxe[40] verstanden.
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Mit dem zusammengesetzten Begriff Tax Compliance ist demnach die Einhaltung von Steuergesetzen gemeint[41] bzw. die Erfüllung steuerlicher Pflichten.[42] Verschiedentlich wird in diesem Zusammenhang auch von Steuerehrlichkeit sowie Steuermoral gesprochen.[43]
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Auch der Begriff Tax Compliance ist weitestgehend in die deutsche Rechtssprache aufgenommen worden, nur vereinzelt wird synonym der (teilübersetzte) Begriff der steuerlichen Compliance[44] verwendet.
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Durch den Begriff Tax Compliance erfolgt ersichtlich eine Begrenzung der Betrachtung auf ein bestimmtes Rechtsgebiet: das Steuerrecht. Wie nachfolgend begründet wird, liegt diesem Handbuch jedoch eine weite Begriffsauslegung zugrunde.
b) Der Steuerbegriff nach der Abgabenordnung und seine Erweiterung
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Nach der gesetzlichen Definition in § 3 Abs. 1 der Abgabenordnung sind unter dem Begriff der Steuern einmalige oder laufende Geldleistungen zu verstehen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlich Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.[45] Aufgrund der Beschränkung auf Geldleistungen unterfallen dem Steuerbegriff somit keine Sach- und Dienstleistungen.[46]
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Die Regelung des § 3 Abs. 3 S. 1 AO stellt klar, dass auch Einfuhr- und Ausfuhrabgaben („Zoll“) unter den gesetzlichen Steuerbegriff fallen; diese Abgaben werden deshalb nach gängiger Auslegung ebenfalls von dem Tax Compliance-Begriff erfasst.[47]
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Nach der hier vertretenen Ansicht fällt darüber hinaus auch das Sozialabgabenrecht (SGB IV) unter den Tax Compliance-Begriff. Aufgrund des Parallellaufs der Lohnsteuer und der Sozialabgaben – das nach § 266a Abs. 1 StGB strafbare Vorenthalten der Beiträge gegenüber der Einzugsstelle ist typisches Begleitdelikt zu Steuerhinterziehung –[48] macht in der Unternehmenspraxis eine Betrachtung lohnsteuerlicher Risiken ohne Einbeziehung der verknüpften sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen keinen Sinn.[49]
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Neben den steuerrechtlichen und sozialabgabenrechtlichen Vorschriften und Gesetzen[50] lassen sich zudem auch solche Rechnungslegungsnormen dem Begriff Tax Compliance zuordnen, die sich auf das sog. Tax Accounting[51] beziehen. Es handelt sich um Normen betreffend die Bilanzierung laufender und latenter Steuern nebst zugehörigen steuerlichen Anhangsangaben im Rahmen der Finanzberichterstattung.[52] Der Grund für die Erweiterung auch auf solche Normen außerhalb des Steuerrechts mag nicht unmittelbar ersichtlich sein. Fehler in der Anwendung von Tax Accounting Normen können jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Ertragsteuerposition des Unternehmens haben.[53] Daher ist auch diesem Risiko mit Maßnahmen zur Tax Compliance zu begegnen.[54]
c) Einordnung in die Corporate Compliance
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Das Verständnis, dass es sich bei dem Compliance-Begriff um eine Art Ober- beziehungsweise Sammelbegriff handelt, welcher auch die Tax Compliance mit erfasst, liegt auch den englisch-sprachigen Definitionen zu Grunde, die Tax Compliance als eine „subarea of compliance“[55]ansehen. Die Tax Compliance betrifft also nur einen Teilbereich der allgemeinen Compliance und ist darauf gerichtet, Steuergesetze (und im vorstehenden Sinne verknüpfte Regelungen) zu befolgen sowie haftungsrechtliche und steuerstrafrechtliche Risiken zu vermeiden.[56]
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Zugleich soll sich der Begriff Tax Compliance wiederum nicht auf das (steuer-)gesetzeskonforme Verhalten einer natürlichen Person beziehen, sondern als „integraler Bestandteil“[57] zur Corporate Compliance verstanden werden.[58] Die Tax Compliance fügt sich daher begrifflich problemlos in die Definition von Corporate Compliance ein, sodass das Voranstehende auch für die Tax Compliance gilt: Auch mit dem Terminus Tax Compliance soll nicht die bloße Notwendigkeit der Einhaltung von steuerlichen Geboten und Verboten zum Ausdruck gebracht werden, sondern die Anforderung aus der Perspektive des Unternehmens, durch geeignete Prozesse systematisch und dauerhaft sicherzustellen, dass die steuerlichen Pflichten von der Geschäftsführung und den Mitarbeitern beachtet und befolgt werden.[59]
a) Tax Compliance und Steuerdeklaration
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Für den Begriff der Tax Compliance hat sich noch keine einheitliche Definition herausgebildet; Aspekte der allgemeinen Compliance, die unter diesem Terminus zusammengefasst werden können, werden erst in jüngerer Zeit verstärkt in der Literatur diskutiert.[60] Das Begriffsverständnis variiert daher, je nach Sichtweise desjenigen, der den Begriff der Tax Compliance benutzt.[61]
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So wird der Begriff der Tax Compliance in Praxis und Schrifttum oft auch mit einem eher administrativ-operativ ausgerichteten Verständnis gebraucht, welches auf dem klassischen Aufgabenspektrum von Unternehmenssteuerabteilungen aufsetzt[62] Dieses Aufgabenspektrum umfasst die Tätigkeiten in den drei Bereichen Steuerdeklaration, Steuerdurchsetzung und Steuergestaltung.[63] Zu dem Aufgabengebiet der Steuerdeklaration gehören insbesondere die Arbeiten zur Erstellung und Abgabe von Steuererklärungen/-anmeldungen, zur Erfüllung steuerlicher Dokumentationsanforderungen, zur Prüfung von Steuerbescheiden, zur Überwachung der rechtzeitigen Zahlung bzw. Geltendmachung von Steuerverbindlichkeiten/-ansprüchen sowie die Betreuung von steuerlichen Betriebsprüfungen.[64] Alle diese Tätigkeiten werden verschiedentlich unter dem Schlagwort Tax Compliance zusammengefasst. Auf diese Weise verwendet, steht dieser Begriff dann lediglich für den Steuererklärungsprozess[65] oder etwas weiter gefasst für den Besteuerungsprozesses[66] und die sich daraus für das Unternehmen ergebenden Aufgaben und Pflichten.[67] Die voranstehend getroffene Definition geht eindeutig über dieses Begriffsverständnis hinaus.
b) Das Begriffsverständnis der Finanzverwaltung
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Die Finanzverwaltung verwendet den Begriff „Tax Compliance“ aus ihrer eigenen, öffentlich-rechtlichen Sicht.[68] Auch nach dem Verständnis der Finanzverwaltung[69] steht Tax Compliance zunächst für „die Einhaltung und Erfüllung steuerlicher Pflichten“,[70] mithin für das steuerliche Wohlverhalten der Steuerpflichtigen. Darüber hinaus verbindet die Finanzverwaltung mit dem Begriff der Tax Compliance jedoch noch ein strategisches Interesse: Der Steuerpflichtige soll zu einer verbesserten Einhaltung der Steuergesetze motiviert werden.[71] Dies soll den Kontrollbedarf für den einzelnen Steuerfall nachhaltig senken, die Effizienz des Verwaltungshandelns erhöhen sowie die Effektivität des Gesetzesvollzuges steigern.[72]
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Um dieses Ziel zu erreichen, folgt die Finanzverwaltung der Kooperationsmaxime.[73] Ausgehend von der Annahme, dass niemand gerne Steuern zahlt und nur wenige aus eigenem Antrieb mitwirken, sollen kooperativen Steuerpflichtigen Vorteile gewährt und für den Fall der Nichtkooperation eine nachteilige Behandlung angedroht werden.[74]