bb) Herausgabeverlangen nach § 95 StPO
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Gegenüber einem Durchsuchungsbeschluss zur Suche nach Beweismitteln ist das Herausgabeverlangen durch die Staatsanwaltschaft/Bußgeld- und Strafsachenstelle nach § 95 StPO das mildere Mittel, das vor Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten stets geprüft werden muss.[36] Voraussetzung ist allerdings, dass das gesuchte Beweismittel genau bezeichnet werden kann. In der Praxis ist insbesondere Banken ein Durchsuchungsbeschluss nach § 103 StPO mit Abwendungsbefugnis lieber, weil sie dann gegenüber ihren Kunden eine stärkere Zwangslage zur Herausgabe der Unterlagen darstellen können. Durch die Abwendungsbefugnis kann die Durchsuchung vermieden werden, wenn der Adressat des Beschlusses die darin ebenfalls genau bezeichneten Beweismittel herausgibt. Dennoch bleibt auch hier die Ermittlungsbehörde Herr des Verfahrens. Die Steuerfahndung kann dennoch durchsuchen, wenn sie Erkenntnisse oder eine konkrete Vermutung hat, dass nicht alle im Beschluss bezeichneten Beweismittel herausgegeben wurden.
cc) Durchsuchung und Beschlagnahme
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Das strafprozessuale Standardverfahren dürfte die Beantragung und der Vollzug von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen gegen den Beschuldigten (nach § 102 StPO) und gegen unverdächtige Dritte (Zeugen, nach § 103 StPO) sein. Antragsbefugt ist nicht die Steuerfahndung, sondern nur die Staatsanwaltschaft oder die Bußgeld- und Strafsachenstelle der Finanzbehörde.
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Voraussetzung und Vollzug werden unten unter 4.2.2. dargestellt. Als Mittel der Erkenntnisgewinnung bleibt dieser strafprozessuale Eingriff unerlässlich, weil immerhin im höchstpersönlichen Bereich der Wohnung und auch am Körper des Beschuldigten nach Beweismitteln gesucht wird. Gleichzeitig ist es das Instrument mit der höchsten Eingriffstiefe der staatlichen Ermittlungsorgane, die nur noch durch eine mögliche Untersuchungshaft übertroffen werden kann. Diese kommt in Betracht, wenn nicht alle Beweismittel gefunden wurden und die Gefahr einer Verdunkelung durch den Beschuldigten (oder seine Fluchtgefahr) besteht.
dd) Sicherstellung elektronischer Daten
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Das Ziel der Sicherstellung der elektronischen Daten gewinnt bei den Durchsuchungsmaßnahmen immer mehr an Bedeutung, weil zunehmend Beweismittel nicht mehr auf Papier, sondern nur als elektronische Dateien vorliegen. Es ist dies ein Generationenproblem. Je mehr die sog. Digital Natives, die mit Computer und Internet aufgewachsen sind, verantwortliche Positionen in der Wirtschaft einnehmen und in die Gefahr der Begehung von Steuerdelikten kommen, desto mehr wird sich die forensische Arbeit der strafrechtlichen Ermittlungsbehörden verändern müssen. Dieser Veränderungsprozess ist bereits in vollem Gang.
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Gesucht werden einmal bewusst erzeugte elektronische Informationen, also das elektronische Pendant zur früheren Papier-Aktennotiz oder sonstigen Vermerken. Den früheren Kalendern mit den echten Tageseinnahmen entspricht heute die Excel-Tabelle mit demselben Inhalt.
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Wichtig sind aber auch die unbewusst erzeugten Spuren und Beweismittel, die die speziell geschulten IT-Fahnder an den verschiedensten Stellen finden. Niemand kann sich heute mehr im Wirtschaftsleben effektiv bewegen, ohne vielfältigste elektronische Spuren zu hinterlassen. Dies ist den Beteiligten nur zum Teil bewusst. Informationen sind zu finden …
– | auf den verschiedensten PCs (Stand-alone, Notebook, Tablet) des Beschuldigten im Haus und im Büro, auch vermeintlich gelöschte Dateien können meist wieder lesbar gemacht werden; |
– | auf den PCs finden sich auch digitale Spuren über das Surf-Verhalten im Internet mit vielfältigen Hinweisen auf die Aktivitäten des Beschuldigten; |
– | das allgegenwärtige Smartphone ist eine Datenquelle ersten Ranges mit seinen Kontakten, Anruflisten, Bildern und der Historie des Internetzugangs; |
– | darüber hinaus lässt sich mit einem speziellen Gerichtsbeschluss herausfinden, wann das Smartphone in welcher Zelle des Mobilfunknetzes eingeloggt war, so dass Erkenntnisse über die Aufenthaltsorte des Beschuldigten gewonnen werden können (zumindest, wenn er sein Smartphone nicht verliehen hat); |
– | das Navigationssystem im Auto speichert über viele Monate zurück die Fahrten und Ziele im In- und Ausland, auch z.B. bei Fahrten zu Schweizer Banken etc.; die Häufigkeit von solchen Besuchen kann ein wertvolles Indiz sein; |
– | wer Kreditkarten benutzt, hinterlässt viele Hinweise über sein Nutzerverhalten, aus dem sich Rückschlüsse über die Bewegungen des Beschuldigten ziehen lassen. |
2. Grenzüberschreitende Informationen
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In der Wirtschaft ist die Globalisierung ein allgegenwärtiges Stichwort. Deutsche Unternehmen verfolgen immer stärker Interessen im Ausland. Ausländische Unternehmen engagieren sich in stetig steigendem Umfang im Inland. Beides macht Informationen aus dem Ausland notwendig, um zu einer zutreffenden Besteuerung zu kommen. Lange Zeit hinkten die Verwaltungen hinterher, wenn es um Ermittlungen im Ausland ging. Bis heute haben diese den Anschein des außergewöhnlichen, der jedoch angesichts ihrer Häufigkeit nicht mehr gerechtfertigt ist. In den letzten zehn Jahren fand geradezu eine Explosion der Ermittlungsmöglichkeiten im Ausland statt und das trotz immer noch spürbarer Hindernisse im Verwaltungsapparat (insbesondere zeitraubender Amtswege, Genehmigungsvorbehalten und -prozeduren). Informationen aus dem Ausland können im Wege der Amtshilfe oder Rechtshilfe beschafft werden. Unter Amtshilfe versteht man die Informationsbeschaffung durch die Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Verwaltungswege, während Rechtshilfe dasselbe im Steuerstrafverfahren bedeutet, allerdings auf justiziellem oder polizeilichem Weg. Verschiedentlich gibt es Überschneidungen wie etwa bei den TIEA, nach denen Informationen sowohl für das Besteuerungs- wie das Strafverfahren übermittelt werden können.
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Insgesamt ist das Gebiet durch die Vielzahl der Möglichkeiten ein ausgesprochenes Spezialgebiet geworden, das an dieser Stelle nur im groben Überblick dargestellt werden kann.
a) Internationale Amtshilfe
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Im steuerlichen Bereich kommt insbesondere die Amtshilfe zur Informationsgewinnung aus dem Ausland in Betracht, die verschiedene Möglichkeiten kennt:
– | zwischenstaatliche Amtshilfe durch Informationsaustausch, innerhalb und außerhalb der EU; |
– | Informationsaustausch auf Grund bilateraler Abkommen (TIEA), abgeschlossen mit den sog. Oasenstaaten; |
– | Informationsaustausch auf Grund von Doppelbesteuerungsabkommen, auch als sog. Gruppenanfragen; |
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