SPOTTLICHTER. Wolfram Hirche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfram Hirche
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658272
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groß geworden war, herrschte Finanzbedarf. Fontane reiste bereits Ostern ‘71 wieder auf den (inzwischen befriedeten) Kriegsschauplatz und ließ seinen nächsten Bericht folgen: »Tage der Okkupation«.

      Dieser ‘70 | ‘71er-Krieg übrigens, bei dem es vordergründig um die spanische Thronfolge ging, und den Bismarck | Moltke mit der »Emser Depesche« genau kalkuliert und Napoleon III. begonnen hatten, kostete 138.900 Franzosen und 49.380 Deutsche das Leben, brachte den Deutschen kurzfristig Elsass-Lothringen und die »Erbfeindschaft« Frankreichs ein, sowie (auch) in deren Folge den Ersten Weltkrieg. Wer möchte, kann in den Ferien die hübsche Badeinsel d’Oléron besuchen, den feinen Sandstrand und das Château. Der Eintritt ist frei.

      Juni 2019

      Gefährliche Gedichte

      Marx, welchen meinen Sie? Also, wir haben hier Professor Reinhard Marx im Angebot, den Münchner Chefkatholiken, der sich geschickt durch Talkshows schlängelt und Marx Karl, den alten Ökonomen, der für alles eine Lösung hat. Aber Karl Marx, den Lyriker? Und geht es schließlich hier um Lyrik heute! Also bitte, Zitat: »Nimmer kann ich ruhig treiben, | Was die Seele stark erfaßt, | Nimmer still behaglich bleiben, | Und ich stürme ohne Rast.« Romantische Schule, um 1837. Dem Engländer Stedman Jones haben wir's zu danken, dass er in seiner Marx-Biografie soeben diese vergessene Poesie ausgegraben hat. Von wegen »stürme ohne Rast«. Vater Heinrich Marx, ein gestrenger Rechtsanwalt, dem Karl unvorsichtigerweise seine Poesie geschickt hatte, war schwer beunruhigt. Er drang auf eine juristische Staatskarriere und starb, noch ehe »Karl«, wie Jones ihn familiär nennt, beruflich Fuß fasste. Was ihm genau genommen sowieso nie recht gelang. (Übrigens auch bei Reinhard Marx könnte man streng fragen: Ist Kardinal wirklich ein ernsthafter Beruf? Aber lassen wir das.) Eine Journalistenkarriere, ein Staatsamt, auch eine philosophische Professur – Karl scheiterte am strengen Berufsverbot der Karlsbader Beschlüsse (1819). Zensur, Ausweisung und Exil. 1841 wurden noch Karls Gedichte »wilde Lieder« publiziert, danach ging in Deutschland nichts mehr.

      Kaum waren Karls politische Ideen einige siebzig Jahre später an die Macht gelangt, wurden in seinem Namen auch Lyriker »gesäubert« und verfolgt, Mandelstam, Brodsky und viele andere. Verteidiger seiner Ideen versuchten, diese gegenüber der Politpraxis abzugrenzen, bis in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts schwere Vorwürfe von Frankreichs jungen Philosophen auf Karl geworfen wurden: Sein ganzer Ansatz sei totalitär und führe direkt ins Verderben des Gulag. Östlich des Rheins hingegen wuchsen wieder Marx-Statuen aus dem Boden. Aber ja, klingt nicht aus Karls Lyrik (und, etwas weiter gedacht, aus jeder Lyrik: schlechthin!) dieses Rigide, Totale!? Wird hier nicht alles Private erfasst und einem Kontrollwunsch unterworfen? Die absolute Liebe fordernd zum Beispiel, keinen Widerspruch duldend? Vor allem, wenn er seine Verlobte Jenny von Westphalen andichtet, ja, da ist Karl echt radikal-totalitär!

      Genau hier kommt jetzt der Metternich-Adlatus Markus Söder ins Spiel: Er hat schon lange vor Corona scharf erkannt, dass es höchste Zeit ist für ein neues »Karlsbad«! Psychiatriegesetz, vorbeugende Polizei – Festnahmen, zeitlich unbegrenzt! Das Kruzifixsymbol in jede bayerische Amtsstube, das wird aber nicht genügen! Das wird man doch konsequent weiter spinnen können, man nennt es harmlos »retro«: bei jeder Einschulung, bei jeder Heirat: das Kruzifix, ein tolles Präsent vom Landesvater handsigniert! Und wer's zurückweist, der Undankbare, wird halt ein kleines bisserl registriert: Ein verdächtiger Gefährder! Selber schuld! – Wo bitte bleiben eigentlich Söders Gedichte?

      Juni 2018

      Stille Wasser

      Während draußen Sodom herrscht oder Gomorrha, in der Dichterstube ist Stille. Der Diskurs der Geschlechter mag noch so hohe Wogen werfen, Filmregisseure grapschen und vergewaltigen, Chor- und Ballettleiter bedrohen und verführen Minderjährige, Musikhochschulen kannste sowieso vergessen, die Theater sind Dorados für Tyrannen, in olympischen Trainingscamps werden Sportlerinnen nicht nur gedopt, sondern oft auch sexuell genötigt – nur der Dichter entzieht sich dem zuchtlosen Treiben, huldigt Buch um Buch dem Alterseros, wie Martin Walser, oder wirft sich auf vergangene Schlachtfelder, wie Ralf Rothmann und Arno Geiger. Manch einer betreibt sieben Tage gründlich Nabelschau wie Simon Strauss, der Sohn von Botho, der das ja auch glänzend beherrschte.

      Sofern er als Seismograf feinster gesellschaftlicher Schwingungen dienen soll, der Dichter, so kann man, freilich vergeblich, an Michael Crichtons »Enthüllung« aus den Neunzigern denken, der das Nötigungsthema längst aufgespießt hat. In seinem Schmöker dreht er diesen Spieß männlich-auflagenträchtig um, Frau bedrängt Mann – aber dass Chefinnen wirklich ihren untergeordneten Manager oder Buchhalter zum Sex erpressen, ist bisher in all dem Trubel kaum gerichtskundig geworden. Ja, der beidseitig erwünschte und heiß ersehnte Kuss in der Arbeit, vor dem jetzt in Schlagzeilen gewarnt wird, müsste geradezu staatlich prämiert werden – denn wo sonst sollen sich die arbeitsbesessenen Nerds beiderlei Geschlechts denn heute noch einvernehmlich näherkommen und die Menschheit mehren, wenn nicht im Büro, in dem sie den meisten Kaffee ihres Lebens trinken und das Bruttosozialprodukt hochschrauben?

      Prüft man das Leben der Dichter und nicht ihr Schreiben oder Schweigen freilich mal so ganz sine ira et studio, also altsprachlich trocken, ja, wie halten sie’s denn mit den Frauen, dann stößt man auf alle Lebens- und Liebesmodelle, die sich nur denken lassen: Da ist der umtriebige Frank Wedekind, der ganz en passant Strindbergs Gattin schwängert, der Bertold Brecht, der seine Jugendliebe (samt Kind) schlicht »aus den Augen verliert«, der schüchterne J. W. Goethe, der sein Blumenmädchen fünfmal schwängert, bevor er es ehelicht, der tief-seriöse Münchner Hausgott, der sechs Kinder zeugt mit seiner Gattin und doch nie ganz den Verdacht loswird, das alles sei nur feines Tarnnetz über seinen aschenbachschen Trieben. Und selbst der noble Russe Vladimir Nabokov, der fast alle seine Werke »für Vera« widmete, seiner großen Liebe, bedrängte im Berlin der Dreißigerjahre ein Dienstmädchen heftig – in all ihren Texten ist vom Kampf der Geschlechter, wie er jetzt ans Tageslicht kommt, kaum die Rede. Null Selbsterkenntnis, die Herren! Also: einfach mal ein »Sommer ohne Männer«? Gibt es auch schon als Roman, kam aus N. Y. vor etwa sechs Jahren. Nicht besonders erfolgreich.

      März 2018

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