SPOTTLICHTER. Wolfram Hirche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfram Hirche
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658272
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am Baumhaus den bestellten Roman aus und hebt ab, fiept.

      Das alles ist nicht Science-Fiction, das ist technisch ausgereift, rechtlich weitgehend abgeklärt, Luftverkehrsverordnung, Lärmschutz-Abstandsregelung, Nachbarrechte usw., für ein paar Euro bekommt man ja so ein Flugteil im Fachhandel. Jetzt liegt das Buch aber auf dem Baumhaus. Guter Rat ist billig. Sie rufen einfach Robbie zu sich. Den Roboter vom letzten Weihnachtsbaumpaket. Geschenk der erwachsenen Söhne. Ihre Tochter legt ihm frische Akkus ein. Die Leiter zum Baumhaus ist längst morsch. Kein Mensch kommt da mehr hoch.

      Sie flüstern in seinen Minimembrantrichter die Worte »Baum, klettern, Buch holen«, und schon wackelt er los und krallt sich mit seinen spitzen Greiffingerchen und Zehen in den glatten Stamm der Buche, verschwindet affenartig zwischen Ästen und Baumhaus, greift sich das Buch, mehr können Sie nicht erkennen, dann passiert nichts mehr. Es wird Abend.

      Amadrohn ist inzwischen über der Buche aufgestiegen, Ihr Handy hat gepiepst und gemeldet »Der neue Walser ist geliefert« – Sie hatten zwar Stephen King bestellt, »Joyland«, aber Buch ist Buch und so genau muss man’s schließlich auch nicht immer nehmen.

      Robbie kommt aber nicht mehr herunter. Die Drohne kreist noch einmal über dem Haus und dreht dann ab, Sie werden unruhig. Der Hausroboter sollte das Buch längst haben. Wahrscheinlich werden Sie Ihren Kollegen beim nächsten Meeting erzählen, was passiert ist und jeder kann eine andere kleine Geschichte von seinem Robbie oder der Drohne beisteuern. Ihren haben Sie vom Balkon aus mit dem Fernglas gesehen, wie er in den Roman vertieft auf dem Baumhaus saß und las und über (dann doch) S. King eingeschlafen ist und erst am nächsten Tag das Buch auf den Gartenstuhl gelegt hat – das ist doch ganz normal, er ist eben Walser-Fan. Die Kollegen werden Ihnen noch ganz andere Storys erzählen. In Bälde.

      April 2015

      Promischau bei Settembrini

      23. April. Welttag des Buches. Anna K., etwas blass noch, der finstere Rodion Raskolnikow und Murau sitzen zusammen beim Cappuccino in der Ewigen Stadt. Settembrini hat geladen, ins Café Greco Antico, kurzfristig angereist aus Davos. Gambetti holt eben noch illustre Gäste von der Stazione Termini – den Prinzen von Dänemark etwa und einen schlanken Herrn aus der Mancha, der zusammen mit Robert Jordan anreisen wollte aus Spanien, noch blutverschmiert, möglicherweise. Letzteren wollte der Gastgeber nicht unbedingt dabei haben, weil er fürchtet, dass der ihn als Weichei verachtet wegen dieses Duells mit Naphta. Wie auch immer, die ersten Korken knallen schon, Murau hält nervös Ausschau nach der Bovary und bereut insgeheim, Schloss Wolfsegg verschenkt zu haben. Die Immobilienpreise sind enorm gestiegen, die Karenina möchte endlich ihren Sohn sehen, aber Settembrini hat zu viel versprochen, wieder mal. Wie jedes Jahr treffen sie sich hier, um Shakespeares Todestag zu begehen, um Cervantes zu gedenken, und auf das Leben des Buchs schlechthin anzustoßen. Aber es wird nicht einfacher. Wie bei echten Klassentreffen gehen sich einige auf die Nerven. K. findet gar nicht erst den Eingang ins Kaffeehaus und irrt vor den Fenstern herum. Die Karenina will ihm endlich helfen. Aber Emma lehnt entschieden ab – sie hält nichts von dem »neurotischen Landvermesser«. Gambetti wäre ihr schon lieber. Aber Murau widerspricht heftig. Doch bevor er zu einem seiner gefürchteten Langsätze ausholen kann, schneidet Ludovico Settembrini ihm das Wort ab und meint, dass man Österreich nun endlich aufs Maul schlagen müsse, worin ihm Murau sicher zustimmen wolle – doch ehe der Diskurs ins Politische kippt, betreten die hohen Herren aus Spanien und Dänemark den Raum, zusammen mit dem schüchternen Gambetti. Emma fliegt zu Muraus Überraschung sogleich Hamlet an die Brust, der (inzwischen) reifere Damen schätzt. Settembrini stellt erleichtert fest, dass Jordan sich direkt in die USA eingeschifft hat, und hebt das Glas, um, wie er sagt, eine kleine improvisierte Rede auf das echte Buch aus Papier zu halten – nicht etwa das mit elektrischen Impulsen. Er beginnt mit der Geschichte, als er neulich in der Bahn saß und ein älterer Herr ihm gegenüber versuchte, im E-Book zu lesen. Er hatte eine verteufelte Ähnlichkeit mit Moses Herzog aus Chikago und war verzweifelt, weil der Akku leer war. Kein Saft mehr!! Ob er nicht ein Ladegerät für ihn habe, soll er Settembrini gefragt haben – ausgerechnet! Dieser reicht ihm wortlos die neue Übersetzung von »Schuld und Sühne« – es ist Welttag des Buches, auf Ihr Wohl, schenken wir uns mal wieder was Echtes!

      April 2012

      Fontane ins Netz

      Die Schneeziege, korrekt oreanus americanus, leidet, und das stimmt uns alle sehr nachdenklich, seit fünf Jahren unter einem Geburtenrückgang von fünfundsiebzig Prozent! Kanadische Forscher, die den Ziegen seit vielen Jahren in aufreibenden Feldstudien nachsteigen, schwanken, ob dies am räuberischen Puma liegt oder an anderen Stressfaktoren. Die Weibchen, und das darf jetzt bitte kein Vorwurf sein, gebären eben auch erst sehr spät. Nämlich mit fünf Jahren und auch dann nur jeweils ein einziges Zicklein.

      »Ein weites Feld« hätte Theodor Fontane dazu vermutlich bemerkt. Der Autor (1819–1898), der sich in einem gut erhaltenen Brief an seine Frau als »Sonntagsschriftsteller« bezeichnete, bei dem es »nur dröppelt« und keineswegs »strömt«, hätte derlei Forschungsergebnis im Berlin der 1860er-Jahre, wenn es denn zu ihm vorgedrungen wäre, sicher mit Skepsis kommentiert: Wozu das alles?

      Das Faktum, dass sich eine Forschergruppe jahrelang in den Bergen herumtreibt, um aus dem Kot der weiblichen Ziegen prüfend und wertend Stresshormone zu gewinnen und Rückschlüsse auf deren Gebärlust zu ziehen, zeigt uns wieder einmal, welche Mühen der Forscher auf sich nimmt, um den Ur-Geheimnissen von Mutter Natur auf die Schliche zu kommen. Beiprodukt übrigens: Die Ziegenforscher weisen es als Mythos zurück, dass Adler mit ihren Schwingen die kleinen Kitze von den Klippen in die Tiefe stürzen. Möglicherweise entdecken wir hier eine dieser »Wandersagen« – ähnlich jenen, die den Yeti umkreisen oder die Riesenspinne in der Yuccapalme. Klar, dass sich die Wege von Natur- und Geisteswissenschaft hier trennen.

      Letztere stürzt sich, während die Ziegen dahinkümmern, derweil wieder vehement auf Fontane und hinein in sein Schreib-Gebirge. Bedeutende deutsche Autoren aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben wir ja leider nicht allzu viele, weshalb die Forschung ihren Fokus auf das Vorhandene lenkt. Da lockt immerhin der Textauswurf des durchaus schreibfreudigen, »dröppelnden« Dichters T. F.: Mehr als zehntausend seiner Original-Handschriften und zwölftausend Blatt Kopien verschollener Originaltexte will das Potsdamer Fontane-Archiv jetzt für das Internet »aufbereiten« und ins Netz stellen. Die Fontane-Forschung soll befruchtet und beflügelt werden! Sie wird sicher viele Pro- und Habilitationen hervorbringen. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie der künftige junge Fontane-Doktorand sich behände und gämsengleich zwischen vergilbten Texten bewegt, ihnen am Rande des Abgrunds – pardon – Proben entnimmt, diese prüft und bewertet.

      Wer die Schneeziege in den eisigen Höhen der Rocky Mountains erforschen will, so heißt es, der muss unbedingt schwindelfrei sein. Aber auch der Germanist muss zäh dran bleiben am Objekt seiner Wünsche, die Quellen korrekt zitieren, und: Er darf auf keinen Fall schwindeln! Wir werden noch davon hören.

      Februar 2015

      Häschtäglich Täsch

      Häschtäg oder häschtäsch schwirrte es plötzlich Ende des letzten Jahres ständig aus dem Fernseher durchs Zimmer, egal wo man saß oder sah, wie eine Motte, aus Jauch, Will oder Maischberger oder war es jäschkläsch, egal, einige Male konnte man mit der Hand danach schnappen, aber es wich geschickt aus. Ich hatte es noch nie gehört oder gesehen. Andere, die total PC-affin sind, händeln das Wörtchen sicher schon seit Jahren, mag sein, aber unsere Welt klafft ja längst himmelweit auseinander, Parallelwelten! Oder das war wieder eines dieser Worte und Dinge, die plötzlich auftauchen und meist genauso schnell wieder verschwinden. Sicher irgendwas Manipuliertes, das in die Werkstatt zurückgerufen und umgerüstet werden muss, Anfang des Jahres, spätestens, häschtäg, Gesundheit!

      Die Franzosen mit ihrer Commission générale de terminologie et de néologie, die ja seit Jahrzehnten alles Angloamerikanische bekämpfen, als wäre es der Todesterror schlechthin, haben unverzüglich qua Amtsblatt »Hashtag« durch das Wort »mot-dièse« ersetzt – unter großem Gelächter im Internet. Wir Deutsche pflegen gegenüber Fremdwörtern eher eine Willkommenskultur. Wenn man am Kiosk an der