SPOTTLICHTER. Wolfram Hirche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfram Hirche
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658272
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Mit Zahn. Siehe G. Grass. Es bleibt also noch Hoffnung bis zum Anruf um zehn im nächsten Oktober. An den Finanzen wird nicht scheitern!

      Dezember 2014

      Im Wald: Handke!

      Kaum dem späten Urlaubsflieger entstiegen, neulich, Anfang Oktober, durchweicht vom Nieselregen und den politischen Protesten der Fridays for Future und Extinction Rebellion, springt den arglosen Heimkehrer schon der Handke Peter an! Gerade verteidigt man noch das Politische im Privaten, den eigenen, peinlich hohen Carbon-Footprint, schon dröhnt der doppelte Nobelpreis für Literatur 2018 | 2019 aus allen Medien! Politik? Literatur? Der Streit droht ehrbare Feuilletonredaktionen zu sprengen. Na gut, der Österreicher war schon 2014 von dem Germanisten Carlos Spoerhase zu den zwanzig heißesten Kandidaten gezählt worden, allerdings weit hinter Frauen wie Margaret Atwood und Joyce Carol Oates – von den Männern ganz zu schweigen. Punkteliste: Viel zu wenig Punkte für »Spannung« und »Erfindungsgabe« bei P. H. – verweigert er doch seit Jahrzehnten einen ordentlichen Plot! Dabei hatte Spoerhase damals immerhin dreizehn bekannte deutsche Literaturkritiker um ihre Punkte gebeten. Erst als der fidele Thomas Gottschalk im Dezember 2017 im neuen Literarischen Quartett mit großer Bewunderung von der »Obstdiebin« schwärmte, Handkes sogenanntem »letztem Epos«, ahnten die Leser, dass mit dem Mann aus Chaville bei Paris noch zu rechnen war. Der andere, der TV-Mann aus Kalifornien, früher mal Ministrant in Kulmbach, hatte offenbar ein Näschen für die mystisch-religiöse Dimension des Autors Handke, der in die serbisch-orthodoxe Kirche eingetreten ist. Und für sein unendlich geduldiges Schwammerlsuchen im Sprachwald.

      Natürlich bremste Handkes Engagement für Serbien und Milosevic die Nobel-Chancen, denn er hatte dem vermutlich Verantwortlichen für Massenmorde, der 2006 in U-Haft starb, noch an seinem Grab eine »Kummerrede« gehalten, wie er das nannte, der Dichter. Er schwächte seinen Serbien-Trip später ab, habe nur gegen die gängige Journalistensprache gekämpft, gegen die Vorverurteilung des Serben. Übrigens als »Dichter« will P. H. keinesfalls bezeichnet werden, sondern als Schriftsteller, als jemand, der mit immer frisch gespitztem Blei die Welt ergründet. Vor allem auch die eigene Innenwelt, was nicht jeder gern mitmacht, weil das ja irgendwann doch fad wird. Maximal fünfzig Seiten, so meinte einst Helmut Karasek im alten Literarischen Quartett, habe er »Mein Jahr in der Niemandsbucht« noch schmerzfrei lesen können.

      Handke hat seinen Kritikern jetzt erklärt, er komme von Homer. Die Götter aber, das hätte er dann doch wissen müssen, strafen schwer den allzu Glücklichen! Dass er die Journalisten verflucht hat, macht’s nicht besser, denn Hermes steht hinter ihnen. Handke bleibt nur, den N-Preis abzulehnen oder endlich einen richtig spannenden Thriller zu schreiben, als Opfergabe, um die Götter Homers zu versöhnen. Er weiß das. Er hat ihre Botschaft im stillen Wald längst empfangen.

      November 2019

2021-11-21-13-25-33-01 Dichterleben

      Nobel-Skat

      Wieder den ersehnten Anruf aus Stockholm nicht bekommen? Vom Sekretär der Akademie nicht nach IBAN und BIC gefragt worden? Schmerzhaft wird man daran erinnert, wenn am 10. Oktober der Literaturnobelpreisträger bekannt gegeben wird, und die Überweisung von acht Millionen schwedischen Kronen (ca. 867.000 Euro) auch dieses Jahr ausbleibt. Uns wurden die geheimen NSA-Protokolle einer Skatrunde zugespielt, die GG einige Wochen vor seinem Tod mit zwei anderen Großen im Münchner Schelling-Salon einberufen hatte, mit Martin Walser (MW) und Peter Handke (PH). Man muss vielleicht noch wissen, dass Nobelpreisgewinner vorschlagsberechtigt sind für einen neuen Kandidaten, den die Schwedische Akademie benennt.

      GG: Ich weiß schon, was ihr denkt.

      MW: Natürlich weißt du.

      PH: Ein Gespräch auf diesem Niveau …

      GG: Ihr denkt, ich habe ihn gar nicht verdient, den Preis, damals, 1999. Noch heute denkt ihr das Tag für Tag. Ihr denkt im Grunde nichts anderes.

      MW: Günter, wenn einer ihn je verdient hat, dann; ich sag: je, je!

      PH: Ich war mit Patrick Modiano Pilze suchen im Bois, gestern. Ein sehr guter Mann.

      GG: Kannst du doch gar nicht ordentlich zubereiten.

      MW: Ob der Goethe kochen konnte?

      PH: Er hatte es mehr mit dem Trinken.

      GG: Jedenfalls hatte er schon früh keine Zähne mehr zum Beißen, war übrigens bei mir schon zu niedrig, der Preis, 1999, was ich längst monieren wollte.

      PH: Ach! Natürlich!

      GG: Unter dem Kaufwert von 1901. Finanzkrise. Die Schweden haben alles verzockt. Ich habe dem Österling immer gesagt, Anders, diese Aktien sind zu riskant, legt das Vermögen besser an, ich sag euch, wie – aber …

      MW: Aber sie hören nie auf dich. Österling ist längst tot, soviel ich weiß, übrigens. Und diese Krise …

      PH: Musst du nicht sagen: »haben nicht auf dich gehört«, machst du dich mit dem dramatischen Präsens nicht zu billig, Martin?

      MW: Ich möchte den Günter ja gerade in die Gegenwart holen!

      GG: Also, womit soll ich dich 2016 vorschlagen, Martin, »Ehen in Philippsburg«, dieses Spießerpanorama?

      PH: Vielleicht seine »Verteidigung der Kindheit«.

      GG: Du willst ihn fertigmachen. Du selbst kommst nicht dran, weil sie die Jelinek genommen haben. Und dir fehlt Substanz.

      MW: Oh, das sitzt! Schlag seine »Hornissen« vor. Peter Handke mit den »Hornissen« als großem Debüt des 20. Jahrhunderts!

      GG: Ich spiele den Grand mit vieren. Wer kommt?

      PH: Du hast sie nie gelesen. Schluss, ich muss das nicht länger haben. Mit euch.

      MW: Halt! Du kommst raus, Hosen runter! Bis Februar muss der Vorschlag sitzen, alle Nominierungen.

      GG: Ich schreibe nichts Großes mehr, es ist genug.

      PH: Herz Bube.

      MW: Also, wen schlägst du vor, Günter?

      GG: Vielleicht den, der es schon ‘99 war.

      (Hier bricht die Aufzeichnung wegen tumultartiger Szenen ab.)

      Oktober 2015

      Kriegs-Beifang

      Der Dichter mag dabei noch gar nichts Schlimmes denken, das Schlimme kommt ja dennoch über ihn. Er bummelt durch Bücher, geht eben mal Milch holen oder feilt an einer Ballade – schon wirft der Krieg ihn mit Gewalt aus seinem Leben. Bei Goethe (43, ein Sohn) jedenfalls war das 1792 so, als sein Herzog, Freund und Sponsor ihn an die Front nach Frankreich rief (alles sah nach schnellem Sieg aus und endete im Desaster). Oder bei Alfred Döblin, der (hundertvierundzwanzig Jahre später) als Arzt und Dichter zerfetzte Beine absägen durfte, eiternde Wunden versorgen. Oder bei Heimito von Doderer, der ab 1916 als russischer Gefangener vier Jahre in sibirischen Lagern zubrachte und dort den Entschluss fasste, Schriftsteller zu werden.

      Fontane (50, sechs Kinder von mindestens zwei Frauen) hingegen, dessen zweihundertsten Geburtstag wir heuer feiern (am 30.12.), packte der Übermut: Er suchte den Krieg, reiste ihm im September 1870 hinterher und wurde vor der Geburtskirche von Jeanne d’Arc im Hundertseelenort Domrémy verhaftet. Er hatte noch, notiert er später, seinen Revolver »derart in der Reisedecke versteckt, dass ich ihn in Gefechtsstellung bringen konnte« – es nutzte nichts, au contraire! Man schrieb den 5. Oktober. Sedan war zwar längst »gefallen«, wie das so heißt, aber der Krieg noch in vollem Gange. Der Journalist T. F. wurde auf das Château der Insel d’Oléron nahe der Atlantikküste verschleppt und als Spion um ein Haar standrechtlich erschossen. Nur das Eingreifen Bismarcks und sein gutes Französisch (Achtung, Gymnasiasten! Fremdsprache kann Leben retten!) bewahrten Fontane vor der Exekution und bescherten uns Lesern sämtliche Romane von »Vor dem Sturm« bis »Der Stechlin«, die der Dichter bei ungutem