Sokrates: Es ist ein altes Sprüchwort, Sohn des Hipponikos, daß das Schöne schwierig ist, zu lernen wie es sich verhält; und so ist auch dies von den Wörtern kein kleines Lehrstück. Hätte ich nun schon bei dem Prodikos seinen Vortrag für Fünfzig Drachmen gehört, den man, wie er behauptet, nur zu hören braucht um hierüber vollständig unterrichtet zu sein, dann sollte dir nichts im Wege stehen sogleich das Wahre über die Richtigkeit der Benennungen zu erfahren. Nun aber habe ich ihn nicht gehört, sondern nur den für Eine Drachme, also weiß ich nicht, wie es sich eigentlich mit dieser Sache verhält. Gemeinschaftlich jedoch mit dir und dem Kratylos sie zu untersuchen bin ich gern bereit. Daß er aber läugnet Hermogenes sei in Wahrheit dein Namen, damit merke ich beinahe daß er spöttelt. Denn er meint wohl gar du möchtest gern reich werden aber gar nicht wie vom Hermes abstammend, verfehltest du es immer. Allein, wie ich eben sagte, es ist schwer dergleichen zu wissen, gemeinschaftlich aber müssen wir es vornehmen und zusehen, ob es sich so wie du meinst verhält, oder wie Kratylos.
Hermogenes: Ich meines Teils, Sokrates, habe schon oft mit diesem und vielen Andern darüber gesprochen, und kann mich nicht überzeugen, daß es eine andere Richtigkeit der Worte gibt, als die sich auf Vertrag und Übereinkunft gründet. Denn mich dünkt, welchen Namen jemand einem Dinge beilegt, der ist auch der rechte, und wenn man wieder einen andern an die Stelle setzt und jenen nicht mehr gebraucht, so ist der letzte nicht minder richtig als der zuerst beigelegte, wie wir unsern Knechten andere Namen geben. Denn kein Name keines Dinges gehört ihm von Natur, sondern durch Anordnung und Gewohnheit derer, welche die Wörter zur Gewohnheit machen und gebrauchen. Ob es sich aber anderswie verhält, bin ich sehr bereit es zu lernen und zu hören nicht nur vom Kratylos, sondern auch von jedem Andern.
Sokrates: Vielleicht ist doch etwas in dem was du sagst, Hermogenes. Laß uns nur zusehen. Wie jemand festsetzt jedes zu nennen, das ist denn auch eines jeden Dinges Namen?
Hermogenes: So dünkt mich.
(385) Sokrates: Nenne es nun ein Einzelner so, oder auch der Staat?
Hermogenes: Das behaupte ich.
Sokrates: Wie nun, wenn ich irgend ein Ding benenne, wie was wir jetzt Mensch nennen, wenn ich das Pferd rufe, und was jetzt Pferd, Mensch: dann wird dasselbe Ding öffentlich und allgemein Mensch heißen, bei mir besonders aber Pferd, und das andere wiederum bei mir besonders Mensch, öffentlich aber Pferd. Meinst du es so?
Hermogenes: So dünkt es mich.
Sokrates: Wohlan sage mir dies. Nennst du etwas wahr reden, und etwas falsch?
Hermogenes: O ja.
Sokrates: Also wäre auch eine Rede wahr und eine andere falsch?
Hermogenes: Freilich.
Sokrates: Und nicht wahr, die von den Dingen aussagt was sie sind ist wahr, die aber, was sie nicht sind, ist falsch?
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Also findet dieses doch Statt, durch eine Rede aussagen was ist, und auch was nicht ist?
Hermogenes: Allerdings.
Sokrates: Die wahre Rede aber, ist die zwar ganz wahr, ihre Teile aber nicht wahr?
Hermogenes: Nein, sondern auch ihre Teile.
Sokrates: Und sind etwa nur die größeren Teile wahr, die kleineren aber nicht? oder alle?
Hermogenes: Alle, denke ich doch.
Sokrates: Und kannst du wohl einen kleineren Teil einer Rede sagen als ein Wort?
Hermogenes: Nein, dies ist das kleinste.
Sokrates: Also auch das Wort in einer wahren Rede wird gesagt?
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Und ist dann ein wahres, wie du behauptest?
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Und ist der Teil einer falschen Rede nicht falsch?
Hermogenes: Das behaupte ich.
Sokrates: Also kann man falsche Worte und wahre sagen, wenn auch solche Sätze und Reden.
Hermogenes: Wie anders!
Sokrates: Und soll noch, was Jeder als eines Dinges Namen angibt, auch eines jeden Namen sein?
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Etwa auch so viele Namen Einer sagt daß ein Ding habe, so viele hat es auch, und dann, wann er es sagt?
Hermogenes: Ich wenigstens, Sokrates, weiß von keiner andern Richtigkeit der Benennungen als von dieser, daß ich jedes Ding mit einem andern Namen benennen kann, den ich ihm beigelegt habe, und du wieder mit einem andern, den du. Und so sehe ich auch, daß für dieselbe Sache bisweilen einzelne Städte ihr eigenes eingeführtes Wort haben, und Hellenen ein anderes als andere Hellenen, und Hellenen auch wiederum andere als Barbaren.
Sokrates: Wohlan laß uns sehen, Hermogenes ob dir vorkommt, daß es auch mit den Dingen eben so steht, daß ihr Sein und (386) Wesen für jeden besonders ist, wie Protagoras meinte, wenn er sagt, der Mensch sei das Maß aller Dinge, daß also die Dinge, wie sie mir erscheinen, so auch für mich wirklich sind, und wiederum wie dir, so auch für dich? Oder dünkt dich daß sie in sich eine Beständigkeit ihres Wesens haben?
Hermogenes: Ich bin wohl sonst schon in der Verlegenheit auch dahin geraten, Sokrates, auf dasselbe, was auch Protagoras sagt; ganz und gar so glaube ich jedoch nicht, daß es sich verhalte.
Sokrates: Wie aber? bist du auch darauf schon geraten, daß du nicht glauben konntest, ein Mensch sei gar schlecht?
Hermogenes: Nein, beim Zeus, vielmehr ist mir schon oft begegnet, daß mir Menschen gar schlecht vorgekommen sind, und zwar recht viele.
Sokrates: Und wie? gar gut hast du noch nicht geglaubt, daß Menschen wären?
Hermogenes: Nur sehr wenige.
Sokrates: Also doch welche?
Hermogenes: O ja.
Sokrates: Wie aber meinst du es? etwa so, daß die gar guten auch gar vernünftig sind, und die gar schlechten auch gar unvernünftig!
Hermogenes: Ich meine es gerade so.
Sokrates: Können nun wohl, wenn Protagoras wahr redete, und dies die Wahrheit ist, daß für Jeden, wie ihm etwas erscheint, so es auch ist, alsdann Einige von uns vernünftig sein und Andere unvernünftig?
Hermogenes: Nicht füglich.
Sokrates: Auch dies, denke ich, glaubst du gar sehr, daß wenn es Vernunft und Unvernunft gibt, dann eben gar nicht möglich ist, daß Protagoras Recht habe. Denn es wäre ja in Wahrheit nicht Einer vernünftiger als der Andere, wenn was Jedem schiene auch für Jeden wahr wäre.
Hermogenes: Das ist richtig.
Sokrates: Aber auch nicht mit dem Euthydemos, denke ich, hältst du es, daß Allen Alles auf gleiche Weise zugleich und immer zukommt. Denn auch so können nicht Einige gut und Andere schlecht sein, wenn gleichermaßen Allen immer Tugend und Laster zukommt.
Hermogenes: