Sokrates: Und meinst du, daß Jedermann ein Gesetzgeber ist, oder nur der die Kunst inne hat?
Hermogenes: Der die Kunst inne hat.
Sokrates: Also, o Hermogenes, kommt es nicht Jedem zu, Worte einzuführen, sondern nur einem besonderen Wortbildner. Und dieser ist, wie es scheint, der Gesetzgeber, von allen Künstlern unter den Menschen der seltenste.
(389) Hermogenes: So scheint es.
Sokrates: Wohl, so betrachte nun weiter, worauf der Gesetzgeber wohl sieht, indem er die Worte bestimmt. Mache es dir nur aus dem vorigen klar. Worauf wohl der Tischer; wenn er die Weberlade macht? Nicht auf so etwas, dessen Natur und Wesen eben dies ist, das Gewebe zu schlagen?
Hermogenes: Freilich.
Sokrates: Und wie wenn ihm die Lade währender Arbeit noch zerbricht, wird er eine andere wieder machen indem er auf die zerbrochene sieht, oder wieder auf jenes selbige Bild, nach welchem er auch die zerbrochene gemacht hatte?
Hermogenes: Auf jenes dünkt mich.
Sokrates: Jenes also könnten wir mit Recht die wahre Weberlade nennen, das was sie wirklich ist.
Hermogenes: Das meine ich auch.
Sokrates: Also wenn für dichtes Zeug oder für klares, für leinenes oder für wollenes, oder wofür sonst eine Weberlade zu machen ist: so müßten diese insgesamt das Bild der Weberlade in sich haben, wie sie aber nun für jedes insbesondere am besten geeignet wäre, diese Eigenschaft müßte ebenfalls in jedes Werk hineingelegt werden.
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Und mit allen anderen Werkzeugen auf die nämliche Weise. Das seiner Natur nach jedem angemessene Werkzeug muß man ausgefunden haben, und dann in dem niederlegen, woraus das Werk so gemacht werden soll, nicht wie es Jedem einfällt, sondern wie es die Natur mit sich bringt. Denn wie für ein jedes insbesondere der Bohrer geartet sein muß, diese Art muß man wissen in das Eisen hineinzulegen.
Hermogenes: Allerdings.
Sokrates: Also die für jedes von Natur geeignete Weberlade in das Holz?
Hermogenes: So ist es.
Denn von Natur gehört wie wir sahen jeder Art von Gewebe seine besondere Weberlade, und so in allen andern Dingen?
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Also, Bester, muß wohl auch den für jedes seiner Art nach gearteten Namen jener Gesetzgeber wissen in den Tönen und Silben niederzulegen, und so indem er auf jenes sieht, was das Wort wirklich ist, alle Worte machen und bilden, wenn er ein tüchtiger Bildner der Wörter sein will. Wenn aber nicht jeder solche Gesetzgeber das Wort in dieselben Silben niederlegt, das muß uns nicht irren. Denn auch nicht jeder Schmied, der zu demselben Zweck dasselbe Werkzeug macht, legt dasselbe Bild in dasselbe Eisen hinein. Dennoch so lange er nur dieselbe Gestalt wiedergibt, wenn auch in anderem Eisen, ist doch das Werkzeug eben so gut und richtig gemacht, mag es einer hier oder unter den Barbaren gemacht haben. Nicht wahr?
Hermogenes: Allerdings.
(390) Sokrates: Eben so wirst du auch dafür halten, daß unser Gesetzgeber, der hiesige wie der unter den Barbaren, so lange er nur die Idee des Wortes, wie sie jedem insbesondere zukommt, wiedergibt, in was für Silben es auch sei, alsdann der hiesige kein schlechterer Gesetzgeber ist, als einer irgendwo anders?
Hermogenes: Freilich.
Sokrates: Wer wird nun aber erkennen, ob das gehörige Bild der Weberlade in irgend einem Holze liegt? Der sie gemacht hat, der Tischer, oder der sie gebrauchen soll, der Weber?
Hermogenes: Wohl eher, o Sokrates, der sie gebrauchen soll.
Sokrates: Wer ist es nun der des Kitharenmachers Werk gebrauchen soll, und ist er nicht auch der, welcher am besten bei der Verfertigung die Aufsicht führen, und die verfertigten auch am besten beurteilen würde, ob sie gut gearbeitet sind oder nicht?
Hermogenes: Gewiß.
Sokrates: Aber wer?
Hermogenes: Der Kitharenspieler.
Sokrates: Und wer das Werk des Schiffbauers?
Hermogenes: Der Steuermann.
Sokrates: Wer aber könnte am besten über dieses Geschäft des Gesetzgebers die Aufsicht führen und seine Arbeit beurteilen, hier sowohl als unter den Barbaren? Nicht der, der sie auch gebrauchen soll?
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Ist das nun nicht der, welcher zu fragen versteht?
Hermogenes: Allerdings.
Sokrates: Und derselbe doch auch zu antworten?
Hermogenes: Ja.
Sokrates: Und der zu fragen und zu antworten versteht, nennst du den anders als Dialektiker?
Hermogenes: Nein, sondern so.
Sokrates: Des Zimmermanns Geschäft also wäre ein Steuerruder zu machen unter Aufsicht des Steuermannes, wenn das Ruder gut werden soll.
Hermogenes: Richtig.
Sokrates: Des Gesetzgebers aber, wie es scheint, auch Wörter, wobei er zum Aufseher hätte einen dialektischen Mann, wenn er die Wörter gut bilden soll.
Hermogenes: Offenbar.
Sokrates: Also mag es doch wohl nichts so geringes sein, wie du glaubst, Hermogenes, Worte zu bilden und Benennungen festzusetzen, auch nicht schlechter Leute Sache oder des ersten besten; sondern Kratylos hat Recht, wenn er sagt, die Benennungen kämen den Dingen von Natur zu, und nicht jeder sei ein Meister im Wortbilden, sondern nur der, welcher auf die einem jeden von Natur eigene Benennung achtend, ihre Art und Eigenschaft in die Buchstaben und Silben hineinzulegen versteht.
Hermogenes: Ich weiß freilich nicht, Sokrates, wie ich dem, was du sagst, widersprechen soll. Es mag aber wohl nicht leicht sein, auf diese Art so schnell überzeugt zu werden, (391) allein ich glaube, so würde ich leichter überzeugt werden, wenn du mir zeigtest, worin denn jene natürliche Richtigkeit der Benennungen bestehen soll.
Sokrates: Ich du guter Hermogenes, weiß ja von gar keiner, sondern du hast vergessen was ich nur eben noch sagte, daß ich es nicht wüßte, aber es wohl mit dir untersuchen wollte. Nun aber ist durch unsere Untersuchung dir und mir soviel schon klar gegen das vorige, daß das Wort von Natur eine gewisse Richtigkeit hat, und daß nicht Jeder versteht es irgend einem Dinge gehörig beizulegen. Oder nicht?
Hermogenes: Gewiß.
Sokrates: Also nächstdem müssen wir untersuchen, wenn du es zu wissen begehrst, was nun eigentlich die Richtigkeit desselben sei.
Hermogenes: Freilich begehre ich es zu wissen.
Sokrates: So überlege denn!
Hermogenes: Wie soll ich es überlegen?
Sokrates: Die richtigste Überlegung, Freund, ist die man mit den Sachverständigen anstellt, denen man Geld dafür zahlt, und noch Dank dazu weiß. Dies sind aber die Sophisten, denen auch dein Bruder Kallias soviel Geld eingebracht, daß er nun wohl für weise gilt. Da du nun nicht im Besitz des väterlichen Vermögens bist, so mußt du deinem Bruder schön tun, und ihn bitten,