Vitus Seibel führt mit dem Engels-Bild in der Ordenssatzung der Jesuiten aus, was zölibatäre Keuschheit im Erleben und Verhalten heißen kann: „Vielleicht ergibt sich aus der Aufgabe, die wir Engeln zuschreiben, ein Hinweis, der weit über einen Orden mit Gelübden hinaus in die richtige Richtung führen könnte. Die Engel stehen vor Gott, und sie werden zu den Menschen gesandt. Wenn wir also unser Dasein begreifen als eine Haltung, die sich immer wieder auf Gott ausrichtet, geben wir ihm die Ehre. Und wenn wir unser Dasein begreifen als eine Sendung zu den Mitmenschen, dann darf die damit verbundene Lauterkeit uns begleiten, bei aller Verschiedenheit der konkreten Lebensentwürfe. Es ist eine Reinheit der Absichten und eine Reinheit im Tun“.15
Und zum Schluss: Das Ziel, das ein zölibatär lebender Priester für sich anstrebt, ist hoffentlich nicht die Ästhetisierung des vollkommenen, selbstentfalteten Menschen. Er muss seine Scharten, Runzeln und Narben kennen und seine persönlichen Verletzungen in öffentlichen und institutionellen Kämpfen auch im eigenen Bistum oder seiner Ordensgemeinschaft. Die Kantigkeit von in ihrer Art sehr verschiedenen Priester-Gestalten scheint mir mehr willkommen als ein irgendeinem Ideal angenäherter Kirchenbeamten-Typ: immer ausgeglichen, matt und mittelmäßig vor lauter Balance, halbstarr und milde vor lauter integrierter Sexualität und Aggressionsbewusstheit, stets bemüht, bewusst echt und voller Verständnis für alles und jeden. Diese Vision entspricht keiner Grundannahme des christlichen Menschenbildes und auch nicht der von Ignatius.
1Einen guten Überblick und grundlegende Informationen bieten K. Fröhlich-Geldorf / M. Rönnau-Böse, Resilienz. Stuttgart 32014.
2K. Baumann / A. Büssing, Zölibat und geistliche Trockenheit. Empirische Befunde und Deutungsempfehlungen zur Unterscheidung, in: A. Büssing / T. Dienberg (Hrsg.), Geistliche Trockenheit – empirisch, theologisch, in der Begleitung. Münster 2019, 105–122.
3Ignatius von Loyola, Satzungen der Gesellschaft Jesu, Nr. 547, in: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Übers. v. P. Knauer SJ. Würzburg 1998, 739.
4V. Seibel, Architektur einer Gemeinschaft. Impulse aus den Satzungen der Jesuiten. Würzburg 2013, 49.
5MHSJ, FD, 229–231, zit. n. R. Garcia-Mateo, Ignatius von Loyola vor seiner Bekehrung. Die Bedeutung der Jugendzeit für seine Spiritualität, in: GuL 61 (1988), 242–257, hier: 252f.
6MHSJ, FN I. Bd. 76, zit. n. R. Garcia-Mateo, Ignatius von Loyola und die Frauen, in: GuL 67 (1994), 264–275, hier: 266.
7J. Martínez de Toda / M. Villarreal de Loyola, ¿presunta hija de Íñigo de Loyola? (Los Loyola de La Rioja del s. XVI), in: AHSJ 75 (2006), 325–60.
8F. Cassingena-Trévedy, „Und sie erkannten, dass sie nackt waren“. Über die Sexualität in ihrem kirchlichen Kontext, in: GuL 95 (2021), 150–158, hier: 152.
9E. Frick, Spiritualität und Geschlechtlichkeit, in: K. Hilpert (Hrsg.), Zukunftshorizonte katholischer Sexualethik. Freiburg i.Br. 2011, 229–246.
10 Ebd., 239f.
11 R. Marsh, Id quod volo: The Erotic Grace of the Second Week, in: The Way 45/4 (2006), 7–19.
12 S. auch: A. Walker, Geistliche Übungen und Sexualität, in: GuL 84 (2011), 408–415. Der Beitrag erschien im Original unter dem Titel The Spiritual Exercises and Sexuality, in: The Way 47 (2008), 201–210.
13 Christopher Chapman stellt den Unterschied zwischen Perfektionsstreben und spirituellem Wachsen hin zu immer größerer Fruchtbarkeit überzeugend dar und beschreibt, wie die ignatianischen Exerzitien spirituelles Wachstum fördern (vgl. C. Chapman, Striving for perfection or growing into fruitfulness?, in: The Way, 57/3 [2018], 7–17).
14 Ignatius von Loyola, Satzungen der Gesellschaft Jesu, Nr. 101, in: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, 617 [s. Anm. 3].
15 V. Seibel, Architektur einer Gemeinschaft, 49f. [s. Anm. 4].
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