Inmitten der kommunikativen Ansätze bilden sich in den 1980er Jahren ebenfalls aufgabenorientierte Herangehensweisen an die Vermittlung von Fremdsprachen heraus. Besonders erwachsene Lerner finden ihre Interessen im fremdsprachlichen Unterricht schlecht vertreten. Sie erwarten, die Befähigung zum Gebrauch der Fremdsprache außerhalb des Klassenzimmers zu erwerben, müssen aber feststellen, dass die Aktivitäten, mit denen sie im Unterricht konfrontiert werden, sich zumeist stark von denjenigen Aufgaben unterscheiden, für die sie im alltäglichen Umgang mit der Fremdsprache gewappnet sein sollen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker v.-Ditfurth 2005: 2). Es bedarf neuer Ansätze und vor allem neuer Aufgaben, die sich an denen orientierten, die die Lerner auch außerhalb des Klassenzimmers in der Fremdsprache bewältigen müssen. Viele Publikationen befassen sich mit der Genese eines, dem Gegenstandsbereich Fremdsprachendidaktik angemessenen, Aufgabenbegriffes (vgl. Long 1985; Prabhu 1987; Nunan 1989), wohingegen spätere Veröffentlichungen sich mit einer praktikablen Methodik (vgl. Willis 1996, Skehan 1998, Nunan 2004, Willis und Willis 2005, Long 2015) beschäftigen. Die Charakteristika einer Aufgabe stellt Ellis (2003: 3) komprimiert zusammen und kombiniert dabei theoretische und methodische Ansätze:
1 Reichweite: Eine Aufgabe ist ein Arbeitsplan.
2 Perspektive: Eine Aufgabe legt ihren Schwerpunkt auf den Inhalt einer Äußerung, nicht auf eine sprachliche Form.
3 Authentizität: Eine Aufgabe ermöglicht eine realitätsbezogene Sprachverwendung.
4 Sprachliche Fertigkeiten: Eine Aufgabe kann sich auf alle sprachlichen Fertigkeiten beziehen, beinhaltet jedoch im Idealfall einen interaktiven Teil und einen oder mehrere Adressaten.
5 Kognitive Prozesse: Eine Aufgabe löst bei den Lernern kognitive Prozesse aus.
6 Ergebnisse: Eine Aufgabe hat ein klar definiertes kommunikatives Ergebnis. (vgl. ibid.)
An den aufgezeigten Eigenschaften einer Aufgabe im fremdsprachendidaktischen Kontext lassen sich auch Erkenntnisse bezüglich der Förderung von Mündlichkeit im Unterricht ableiten. Aufgaben zielen auf einen realweltlichen Sprachgebrauch ab und verknüpfen Form- und Inhaltsorientierung. Sie initiieren kognitive Prozesse und somit auch Kompetenzzuwachs, zudem haben sie zwar ein klar definiertes kommunikatives Ziel, jedoch ist dieses derart formuliert und offen gestaltet, dass es den Lernern, die sich durch ihre Heterogenität im Kompetenzstand kennzeichnen, ermöglicht wird, dieses individuell zu erreichen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker/Pant 2013: 37; Hallet 2012: 91-147). Abschließend zeichnet sich aufgabenorientierter Unterricht durch eine Abkehr von der häufig kritisierten Lehrerzentrierung aus (vgl. Taubenböck 2007). Dies wird in Kapitel 2.3.2 noch vertieft. Die Tendenz zur Aufgabenorientierung spiegelt sich auch in den aktuellen bildungspolitischen Richtlinien für die Gestaltung kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Ein in diesem Zusammenhang bedeutendes Dokument ist der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen, der vom Europarat im Jahr 2001 veröffentlicht wurde. Im folgenden Unterkapitel soll dieser daher näher betrachtet werden. Ziel ist es, zunächst einen kondensierten Einblick in die Gestaltung und Ausrichtung dieses Dokuments zu geben und dann konkret herauszustellen, welche Auswirkungen sich für die Förderung des Sprechens und das Verständnis von Sprechkompetenz ableiten lassen.
2.2 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen
Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen1 für Sprachen setzt sich zum Ziel, das Lehren, Lernen und Beurteilen von Sprachverwendung umfassend, transparent und kohärent zu gestalten (Europarat 2001: 14). Ihm liegt ein handlungsorientierter Ansatz zugrunde, der Sprachenlerner als sozial Handelnde begreift, die befähigt werden sollen, in realweltlichen Handlungsfeldern kommunikative Aufgaben zu bewältigen. Im Referenzrahmen selbst wird Sprachverwendung wie folgt definiert:
Sprachverwendung – und dies schließt auch das Lernen einer Sprache mit ein – umfasst die Handlungen von Menschen, die als Individuen und als gesellschaftlich Handelnde eine Vielzahl von Kompetenzen entwickeln, und zwar allgemeine, besonders aber kommunikative Sprachkompetenzen. Sie greifen in verschiedenen Kontexten und unter verschiedenen Bedingungen und Beschränkungen auf diese Kompetenzen zurück, wenn sie sprachliche Aktivitäten ausführen, an denen (wiederum) Sprachprozesse beteiligt sind, um Texte über bestimmte Themen aus verschiedenen Lebensbereichen (Domänen) zu produzieren und/oder zu rezipieren. Dabei setzen sie Strategien ein, die für die Ausführung dieser Aufgaben am geeignetsten erscheinen. Die Erfahrungen, die Teilnehmer in solchen kommunikativen Aktivitäten machen, können zur Verstärkung oder zur Veränderung der Kompetenzen führen. (Europarat 2001: 21)2
Der zentrale Aspekt dieser Definition ist der Kompetenzbegriff. Sprachverwendung wird als Zusammenspiel verschiedener Kompetenzen verstanden, Kompetenzen selbst definiert der GeR als „Summe des (deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fertigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, die es einem Menschen erlauben, Handlungen auszuführen“ (Europarat 2001: 21). Fremdsprachenlernen erschöpft sich nicht in der Verfügbarkeit sprachlichen Wissens und produktiver wie rezeptiver Fertigkeiten, sondern umfasst auch soziale und motivationale Faktoren.3
Eine wesentliche Grundlage für den Erwerb und Ausbau fremdsprachlicher Kompetenzen stellt der Kontext der Sprachverwendung dar, der sich wiederum in verschiedene Domänen aufgliedern lässt (vgl. Europarat 2011: 52). Im GeR wird explizit darauf verwiesen, dass die Benutzer des Dokuments Kenntnis über die Lebensbereiche und Situationen in denen die Lernenden die Zielsprache verwenden sollen, benötigen und entsprechend antizipieren sollen, welche sprachlichen, sozialen und kognitiven Anforderungen sich daraus ableiten lassen (ibid.). Es lassen sich dort auch vier beispielhafte Domänen finden (privat, öffentlich, beruflich, Bildung), die sich aber auch teilweise überlagern können und für die weitere situative Kategorien ausgeführt werden, die als Grundlage für Themenfelder und Aufgabenkonzeption nutzbar sind.
Auch was unter einer kommunikativen Aufgabe zu verstehen ist, wird im Referenzrahmen exemplifiziert.
(Kommunikative) Aufgabe wird definiert als jede zielgerichtete Handlung, die eine Person für notwendig hält, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Dies kann ein Problem sein, das es zu lösen gilt, aber auch eine Verpflichtung, der man nachkommen muss, oder irgendein anderes Ziel, das man sich gesetzt hat. Die Definition trifft auf eine Vielzahl von Handlungen zu, wie zum Beispiel: Einen Schrank umstellen, ein Buch schreiben, bei Vertragsverhandlungen bestimmte Bedingungen aushandeln, Karten spielen, im Restaurant eine Mahlzeit bestellen, einen fremdsprachlichen Text übersetzen oder in Gruppenarbeit eine Klassenzeitung erstellen. (Europarat 2001: 22)4
Der handlungsorientierte Charakter des GeR offenbart sich auch in dem dargelegten Verständnis (kommunikativer) Aufgaben, schließlich müssen sprachliche Strategien und Handlungen immer abhängig von der jeweiligen Situation bzw. Aufgabe geplant und durchgeführt werden. Es ist entsprechend möglich, dass Lernende auf vielfältige Weise, unter Einbeziehung ihrer individuellen Voraussetzungen, zu einer Aufgabenlösung gelangen.
Für den Kontext dieser Studie relevant ist, wie im GeR Sprechkompetenz spezifiert wird. Zunächst muss grob unterschieden werden zwischen mündlicher Produktion und mündlicher Interaktion. Während ersteres die Produktion von einem „gesprochenen Text, der von einem oder mehreren Zuhören empfangen wird“ (Europarat 2001: 63) meint, inkludiert zweiteres abwechselnd Rezeptions- und Produktionsstrategien, die das gemeinsame Aushandeln von Bedeutung zum Ziel haben (vgl. Europarat 2001: 78). Es wird also im Referenzrahmen zwischen monologischen und dialogischen Sprechsituationen unterschieden. Für beide Bereiche stehen wiederum Beispielskalen bereit, die es gestatten, sprachliches Handeln der Lernenden näher zu klassifizieren. Der Bereich mündliche Produktion gliedert sich in fünf Subkategorien (mündliche Produktion allgemein,