4. Gottesverehrung, Bilder und Ethik
Der Bezug des bisher Vorgetragenen zu dem Gesamtthema ‚Gott im Wort – Gott im Bild. Bilderlosigkeit als Bedingung des Monotheismus?‘ ist abschließend darzustellen. Ich halte zunächst nochmals fest, dass sowohl in Röm 1 als auch in den vorgestellten Texten des hellenistischen Judentums der Gegensatz ‚Verehrung vergänglicher Bilder von Menschen und Tieren – Verehrung des unvergänglichen Gottes‘ eingespannt ist in die aus jüdischer Sicht vorgetragene Polemik gegen die heidnische Religion und verbunden ist mit der Apologetik der eigenen Religion.1 Die grundsätzliche BilderlosigkeitBilderlosigkeit als Bedingung für die Reinheit der eigenen Religion ist hingegen bisher nicht angesprochen worden. Es mag von diesen Texten her so scheinen, als stelle das hellenistische Judentum oder auch das frühe Christentum eine bilderlose Religion dar. Der archäologische Befund und viele Hinweise in den Texten2 sprechen jedoch eindeutig gegen diese Annahme. Auch wird man überlegen müssen, ob es im Kontext des vorhandenen Bilderkultverbotes nicht Kompensationen gegeben hat, die bildhaften Elementen gleichzeitig einen Raum eröffneten.3
Anscheinend kann also auf die bildhaften Elemente in der Gottesverehrung nicht gut verzichtet werden. Das alttestamentliche Bilderverbot ist nicht expressis verbis im Neuen Testament aufgenommen und bekräftigt worden. Liegt es daran, dass die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus per se alle bildlichen Darstellungen Gottes erübrigt hat?4 Ist die Christusikone das einzige legitime Bild innerhalb der christlichen Religion? Ein reduktionistisches Verfahren ist durch die bewusste, apologetische Abgrenzung von der paganen, vor allem von der ägyptischen Umwelt vorangetrieben worden. Es implizierte deutliche Vorbehalte gegen bildliche Darstellungen. Diese standen dem Anspruch, die überlegene und vernünftigere Religion zu sein, im Wege.
Man muss allerdings fragen, ob Paulus und die ihn prägende Tradition in ihrer Wahrnehmung der Fremdreligionen nicht einem groben Missverständnis aufgesessen sind oder ob sie in ihrer Polemik dieser Verzeichnung einfach Raum gegeben bzw. sich an eine diesbezügliche Tradition (siehe SapSal) angeschlossen haben. Innerhalb der ägyptischen Religion wollen Bilder die Gottheit repräsentieren.5 Paulus hingegen spricht von einem absichtlichen, törichten und schlechten Tausch, den die Menschen eingegangen sind, indem sie Bilder von Menschen und Tieren an die Stelle der Gottheit gesetzt haben.
Jedoch beobachtet Röm 1,18–32 wohl zutreffend und Philo, Ebr 109f.6 beschreibt es geradezu diagnostizierend, dass Bilder eine Macht ausüben und Menschen so sehr in ihren Bann ziehen können, dass die angesprochene Differenz – Bilder repräsentieren die Gottheit und wollen sie nicht ersetzen – hinfällig werden mag. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass die religiöse Verehrung auf der Ebene des Geschöpflichen oder des Materiellen verbleibt und somit die höchsten geistigen Güter, Paulus spricht von der Ehre Gottes (Röm 1,23), von der Wahrheit Gottes (Röm 1,25) und von einer der Ordnung (φύσις) entsprechenden Ethik, verfehlt und nicht mehr an ihnen Orientierung sucht. Der Tausch (ἀλλάσσω, μεταλλάσσω) des Objekts der religiösen Verehrung, von dem Röm 1,22.25.26 sprechen, war von Seiten der hellenistischen Herrscher gewollt, denn er wurde ja mit einer Herrschaftsideologie verbunden und er wurde in rituellen Vollzügen geordnet. Mögen die Bilder – Vögel, Vierfüßler und kriechende Tiere – also ursprünglich Gottheiten repräsentiert haben, bei dem Bild eines sterblichen Menschen hingegen, dem Ehre erwiesen wird, ist in hellenistischer Zeit diese Repräsentanz für eine Gottheit allenfalls noch gebrochen gegeben, in späthellenistischer Zeit wird sie hinfällig. Der umgekehrte Tausch nämlich eines Menschen zur Vergöttlichung hin, den diese Herrscher nicht immer betrieben, dem sie aber nicht widerstanden haben, ist in der jüdisch-christlichen Literatur höchst kritisch reflektiert worden. Der grausame Tod göttlich verehrter Herrscher, etwa des Antiochus IV. Epiphanes oder des Herodes Agrippa I. wird in 2Makk 9,1–29 bzw. in Act 12,21–23 und Josephus, Ant 343–352 drastisch als Gottesgericht beschrieben. Insofern benennt Röm 1,23$Röm 1,23 mit ἀλλάσσω, μεταλλάσσω eine kritische Grenze für den Gebrauch der Bilder. Solche Bilder sind abzuweisen, die nicht auf die Ehre, Wahrheit und Ordnung Gottes hingeordnet sind, sondern ihrerseits andere Attribute an sich ziehen, an die dargestellten Geschöpfe binden und somit einen Tausch hinsichtlich der Verehrung einleiten.
JudenJuden und HeidenHeiden – Aspekte der Verhältnisbestimmung in den paulinischen Briefen
Ein Gespräch mit Krister StendahlStendahl, Krister*
* Zuerst erschienen: Friedrich Wilhelm Horn, Juden und Heiden. Aspekte der Verhältnisbestimmung in den paulinischen Briefen. Ein Gespräch mit Krister Stendahl, in: M. Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive, WUNT 182, Tübingen 2005, 17–39, © Mohr Siebeck Tübingen.
Die unter dem ihr nicht zugetragenen, sondern von ihr selbst gewählten Motto new perspective on Paul vorgetragene Paulusauslegungnew perspective on Paul1 empfing zu Beginn der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihren entscheidenden Anstoß durch den schwedischen Neutestamentler Krister Stendahl2, der von 1954 bis 1984 an der Harvard Divinity School in den USA lehrte und 1984 Bischof der lutherischen Kirche in Stockholm wurde.3 Ein erstmals 1960 in Schweden veröffentlichter Beitrag, der 1961 in einer englischen Fassung erschien, mehrfach wieder abgedruckt und in den folgenden Jahren in verschiedenen Vortragsreihen ausgebaut wurde, trug einen programmatischen Titel, der der new perspective on Paul bis heute eine geradezu polemische Note eingetragen hat: The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West.4 Doch nicht diese anregende und vielfach diskutierte knappe Skizze soll hier der Ausgangspunkt des eigenen Beitrags sein, sondern die als Essay titulierte Studie Paul among Jews and Gentiles, die den größten aller in dem gleichnamigen Buch versammelten Beiträge darstellt. Zeitlich gehen auch diese Darlegungen zurück in die frühen 60er-Jahre. Es handelt sich um Vorlesungen an verschiedenen Universitäten aus den Jahren 1963 und 1964 (vgl. die Angaben im Klappentext).5
Krister Stendahl hält der vorwiegend europäischen bzw. deutschen Exegese vor, dass sie seit Martin Luther, ja letztlich sogar seit Augustin über viele Jahrhunderte hindurch am Hauptthema des paulinischen Denkens vorbeigegangen sei: „It will be my contention in these chapters that the main lines of Pauline interpretation … have for many centuries been out of touch with one of the most basic of the questions and concerns that shaped Paul’s thinking in the first place: the relation between Jews and Gentiles.“6 Die RechtfertigungslehreRechtfertigungslehre, die innerhalb der protestantischen Theologie im Anschluss an den Römerbrief ins Zentrum gerückt worden sei, sei auf ihren Beitrag zur Anthropologie und individuellen Hamartologie reduziert worden. In Wahrheit aber gilt: die Rechtfertigungslehre „was hammered out by Paul for the very specific and limited purpose of defending the rights of Gentile converts to be full and genuine heirs to the promises of God to Israel“ (2; vgl auch 27). Die Rechtfertigungslehre sei folglich dem Thema der universalen Mission, ihren Bedingungen und Möglichkeiten, unterzuordnen, nicht aber umgekehrt. Rechtfertigungsaussagen erscheinen bei Paulus, so Krister Stendahl, daher fast ausschließlich in solchen Kontexten, die vom Verhältnis Juden – Heiden handeln (26).