Paulusstudien. Friedrich W. Horn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich W. Horn
Издательство: Bookwire
Серия: NET - Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000492
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Lukas geschilderten Ereignissen durchaus zuzuordnen sind. Beide in Röm 15,30f. vor Beginn der Jerusalemreise angesprochenen Themen – die Angst vor den „Ungläubigen“, d.h. der jüdischen Gemeinde in Judäa, und die Sorge um die Annahme der Kollekte durch die Judenchristen in Jerusalem – werden nach dem Bericht aus Act 20f. den Untergrund der Ereignisse um die Festnahme in Jerusalem darstellen. Allein die Vorgänge um TrophimusTrophimos, einen Christen aus der Provinz Asia und nach Act 20,4 ein Mitglied der Kollektendelegation3, stellen eine Begebenheit dar, welche nach den Ausführungen des Römerbriefs nicht voraussehbar war.4

      2.1.1 Die Aussagen in Röm 15,22–33$Röm 15,22–33

      Die Absicht der letzten JerusalemreiseJerusalemreise Röm 15 zufolge ist es, die KollekteKollekte, die Paulus in Makedonien und Achaia für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem (Röm 15,26) gesammelt hat, zu überbringen. Zu dieser Kollekte unter den heidenchristlichen Gemeinden hat Paulus sich nach Gal 2,10 auf dem Apostelkonvent verpflichtet. Er hat diese Sammlung in Galatien durchgeführt (1 Kor 16,1) und in Korinth angeordnet (1 Kor 16,2). 2 Kor 8 und 9 sind von Hans Dieter Betz, einem Vorschlag Günther Bornkamms folgend1, mit gewichtigen Argumenten als zwei ursprünglich selbstständige Schreiben angesehen worden, nämlich 2 Kor 8 als Fragment eines Verwaltungsbriefes an die Korinther, 2 Kor 9 als Fragment eines solchen Schreibens an die Achaier, in denen die Kollektenthematik für diese Gemeinden dargelegt wird.2 In Röm 15,26 erwähnt Paulus ausschließlich die geplante Übergabe der Kollekten der Gemeinden in Achaia und in Makedonien. Über das Schicksal der in Galatien gesammelten Kollekte erfahren wir in 1 Kor 16, in 2 Kor 8–9 und in Röm 15 nichts.3 Es verwundert in zweifacher Hinsicht, dass Paulus nach Röm 15,28 selbst die Kollekte überbringen will. Einerseits blickt Paulus von Korinth aus, wo er den Röm diktiert, bereits auf sein nächstes Missionsziel Spanien (Röm 15,24), das er, nachdem er Rom besucht hat, ansteuern möchte. Für diese Planung ist die Jerusalemreise eine langfristige Unterbrechung bzw. ein Umweg. Andererseits hatte Paulus wenige Jahre zuvor in 1 Kor 16,3f. die Überbringung der Kollekte durch eine von ihm mit Empfehlungsbriefen ausgestattete Delegation vorgesehen, der er nicht unbedingt angehören wollte. Aber bereits nach 2 Kor 8,19f. spricht er die Absicht aus, die Kollekte gemeinsam mit Titus zu überbringen. Was begründet jetzt, wenige Jahre später, seine Teilnahme an dieser Delegation? Weshalb lohnt die Mühe jetzt und zur Zeit der Abfassung des 1 Kor noch nicht? Schließlich ist zu bedenken, dass die Überbringung der Kollekte unter einem gewissen zeitlichen Druck zu stehen scheint. Nach 2 Kor 9,5 sendet Paulus Boten nach Achaia voraus, deren Aufgabe es ist, die Kollekte bis zur Ankunft des Paulus zum Abschluss zu bringen. Nach Act 20,16 fährt Paulus auf dem Weg nach Jerusalem an Ephesus vorbei, um keine Zeit zu verlieren. Was begründet diese Hast? Seit dem Apostelkonzil und dem auf ihm gefassten Beschluss über die Kollekte sind gut sieben Jahre vergangen. Wird die Gabe des Paulus, deren Einsammlung nicht nur in Galatien, sondern wohl auch in Korinth zwischenzeitlich zum Erliegen gekommen ist4, noch als das anerkannt werden, als was sie ursprünglich angesehen$Röm 15,22–33 war?

      2.1.2 Die Aussagen in Act 20,1–21,14$Apg 20,1–21,14

      Die Absicht der letzten Jerusalemreise nach Act 20,1–21,14 bleibt relativ unbestimmt1, auf jeden Fall wird die KollekteKollekte nicht erwähnt.2 Dies verwundert, wenn Lukas wirklich, wie Dietrich-Alex Koch erwogen hat, in diesem Textkomplex einen Bericht der KollektendelegationKollektendelegation verarbeitet hat.3 Es muss noch mehr verwundern, wenn Lukas wirklich, wie Martin Hengel dargelegt hat, Augenzeuge des letzten Jerusalembesuches des Paulus gewesen wäre.4 In Act 20,3 wird erstmals die Absicht, in die Provinz Syrien auf dem Seeweg zu reisen, erwähnt. Wegen der feindlichen Einstellung der örtlichen Juden nimmt Paulus, in Begleitung einer Delegation, allerdings zunächst den Landweg und geht erst in Philippi an Bord. Nach Act 20,16 will Paulus in der Provinz Asia keine Zeit verlieren, um am Pfingstfest in Jerusalem zu sein, was ihn jedoch nicht hindert, sich in Milet mit den ephesinischen Presbytern zu treffen. Wer Röm 15 gelesen hat, fragt sich unwillkürlich, weshalb Lukas jegliche Erwähnung der Kollekte im Zusammenhang seiner Schilderung der letzten Jerusalemreise vermeidet, obwohl Act 24,17 eine Kenntnis des Vorgangs andeutet. Gerd Lüdemann hielt, ebenso wie viele andere Exegeten der Apostelgeschichte, nur eine Schlussfolgerung für möglich: „Lukas meidet in Apg 21$Apg 20,1–21,14 absichtlich das Kollektenthema, weil die von ihm benutzte Quelle von einem Scheitern ihrer Übergabe bzw. von ihrer Ablehnung berichtete.“5 Auf jeden Fall wird man, gerade weil die Kollektenthematik in der Apostelgeschichte ausgeblendet wird, die wenigen Aussagen aus Röm 15,30f.$Röm 15,30f.6 sehr viel gründlicher lesen müssen, um die Ereignisse in Jerusalem verstehen zu können. Welchen Ausdruck und welche sprachliche Form finden die von Paulus ausgesprochene Sorge um die Annahme der Kollekte und die Angst vor der jüdischen Gemeinde, und wie ist sie begründet?

      2.2 Die Aufforderung zur Fürbitte und die Situation des Paulus

      Übergeordnet ist die Aufforderung an die römischen Christen, zusammen mit Paulus für ihn zu kämpfen vor Gott durch Gebete. Ulrich Wilckens nennt diese Bitte angesichts der Situation, in der Paulus sich befindet, einen kirchenpolitisch-diplomatischen Akt.1 Der Inhalt der Gebete soll sein, dass Paulus vor den Ungläubigen errettet und dass die Kollekte angenommen werde.2 Die Aufforderung zum Gebet wird begründet und motiviert διὰ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ διὰ τῆς ἀγάπης τοῦ πνεύματος. Dieser Satzteil hat in der Verbindung von stellvertretendem Gemeindegebet und Wissen um den Beistand des Geistes bzw. den Beistand Jesu Christi eine gewisse Nähe zu Phil 1,19$Phil 1,19. Paulus spricht hier die Erwartung aus, dass die Gefangenschaftssituation sich wenden wird zum Heil διὰ τῆς̤ ὑμῶν δεήσεως καὶ ἐπιχορηγίας τοῦ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ. Auch ist an die Verbindung von Gemeindegebet, Gabe des Geistes und Freimut zum Zeugnis in Act 4,29–31 bzw. an den Beistand des Geistes bei den Bekennern vor feindlichen Behörden (Mk 13,11; Mt 10,20) und an die Errettung aus Todesnot durch das Gemeindegebet (2 Kor 1,10f.3) zu erinnern. Es scheint sich hierbei um einen relativ festen Motivbereich zu handeln, auf den im Angesicht äußerster Bedrängnis zurückgegriffen wird; in Phil 1,19 und 2 Kor 1,11 in Todesbedrängnis. In Phil 1,20–24 wird das erwartete Heil, die Christusgemeinschaft, durch den Tod, speziell wohl erst im Tod des Märtyrers, erreicht.4 Ob das Bewusstsein, die Jerusalemreise als MärtyrerreiseMärtyrerreise anzutreten, für Paulus in Röm 15,30f. vorauszusetzen ist, mag einstweilen noch offen bleiben. Der in Röm 15,30f. verwendete Motivbereich steht hierzu in großer Nähe und hält auf jeden Fall fest, dass diese Reise in die Situation äußerster Bedrohung führen wird.5

      Es ist nun den beiden Gebetsinhalten nachzugehen, in denen die römische Gemeinde sich mit Paulus zusammenschließen soll. Möglicherweise kommt in der zuerst genannten Bitte, vor den Ungläubigen in Judäa gerettet zu werden, auch eine stärkere Gewichtung, d.h. eine deutlichere Sorge gegenüber der zweiten Bitte um die Annahme der Kollekte zum Ausdruck.6 In ihr thematisiert Paulus ja sein persönliches Schicksal angesichts der Reise nach Jerusalem, von Klaus Haacker mit einem „Himmelfahrtskommando“7 verglichen. Das Verb ῥύεσθαι wird von Paulus ausschließlich in solchen Zusammenhängen gebraucht, wo es, wie in Röm 15,31, um Errettung aus Todesgefahr (2 Kor 1,10; Röm 7,24; auch 2 Thess 3,2) oder um eschatologische Rettung (Röm 11,30; 1 Thess 1,10) geht. Dieses ῥύεσθαι ἀπὸ τῶν ἀπειθούντων bezieht sich auf die Juden (vgl. das Verb ἀπειθεῖν exklusiv in Bezug auf die Juden auch in Röm 10,21 [Jes 65,2LXX], 11,31; in Bezug auf Juden und Heiden in Röm 2,8; vgl. auch 11,32). Die lokale Bestimmung ἐν τῇ Ἰουδαίᾳ lässt zudem an keine andere Gruppe denken. Allerdings ist der Unterschied zu der zweiten lokalen Bestimmung in Röm 15,31 εἰς Ἰερουσαλήμ nicht zu missachten. Die Gegnerschaft in der jüdischen Gemeinde erstreckt sich auf ganz Judäa (solcher Sprachgebrauch in extensivem Sinn auch in Gal 1,22; 2 Kor 1,16; 1 Thess 2,14) und ist nicht auf Jerusalem begrenzt.

      Was begründet diese Feindschaft? Haacker hat in der jüdischen Nachstellung, die in Act 20,3 erwähnt wird und die sodann zur Umstellung des Reisewegs nach Jerusalem führt, den konkreten Anlass für die Fürbitte in Röm 15,30f.$Röm 15,30f. gesehen.8 Doch ist nicht sicher,