Der Verweis auf den Geist ‚des Sohnes‘ ist in dieser Argumentation allerdings nur ein Hilfsgedanke, um die Verlässlichkeit der Sohnesstellung der Glaubenden nicht allein über die Anrede ἀββὰ ὁ πατήρ, in der sich ja ohnehin schon die Sohnschaft dokumentiert, sondern eben in dem zusätzlichen Verweis auf den diesen Gebetsruf bewirkenden Einfluss des Geistes des Sohnes zu bekräftigen. In Röm 8,15 vernachlässigt Paulus diesen Hilfsgedanken völlig, um von dem Geist der Sohnschaft im Gegensatz zum Geist der Knechtschaft zu sprechen. Insofern aber ist Gal 4,6$Gal 4,6b kein Beleg für eine von Paulus vorausgesetzte klare Zuordnung von Kyrios und Pneuma. Wohl aber zeigt selbst dieser Hilfsgedanke, dass Paulus die Gemeinschaft von erhöhtem Kyrios und den Glaubenden auf Gott zurückführt, der den Geist seines Sohnes in die Herzen sendet. Es ist nicht der Kyrios Christos, welcher den Gebetsruf pneumatisch aus sich heraussetzt und den Glaubenden übereignet. Der begriffsgeschichtlich benannte theologische Vorbehalt gegenüber einer direkten Zuordnung von Kyrios und Pneuma greift also auch hier.
2.7 „Denn ich weiß, dass dieses mir zum Heil gereichen wird durch euer Gebet und die Unterstüzung des Geistes Jesu Christi“ (Phil 1,19$Phil 1,19)
In der Gefangenschaftssituation weiß sich der Apostel getragen διὰ τῆς ὑμῶν δεήσεως καὶ ἐπιχορηγίας τοῦ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ. In diesem Chiasmus ist also διὰ τῆς ὑμῶν ausschließlich auf δεήσεως zu beziehen, nicht aber auch auf ἐπιχορηγίας. Paulus spricht somit zunächst das Fürbittengebet der Gemeinde an. In der zweiten Hälfte des Chiasmus ist die Zuordnung der einzelnen Glieder strittig. Handelt es sich bei τοῦ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ gleichfalls um einen Gen. subj. zu ἐπιχορηγίας oder ist der Genitiv τοῦ πνεύματος wie in Gal 3,5 (ὁ οὖν ἐπιχορηγῶν ὑμῖν τὸ πνεῦμα) als Gen. obj. aufzunehmen? Der Chiasmus legt den Gen. subj. nahe und lässt bei Ἰησοῦ Χριστοῦ an einen zusätzlichen Genitiv der Zugehörigkeit denken.1 Neben dem Fürbittengebet der Gemeinde ist, auffälligerweise ihm nachgeordnet, die Ausstattung und Unterstützung durch den Geist angesprochen, und zwar des Geistes Jesu Christi.
Der hier angezogene Motivbereich lässt einerseits an die Verbindung von Gemeindegebet, Gabe des heiligen Geistes und Freimut zur Rede in Bedrängnis denken (vgl. Apg 4,29–31), andererseits an die Zusage, dass der heilige Geist stellvertretend für die Bekenner das Zeugnis vor den feindlichen Behörden ablegt (Mk 3,11; Mt 10,20). Handelt es sich bei diesem Motivbereich aber immer um den heiligen Geist bzw. den Geist Gottes, so ist zu fragen, weshalb Paulus hier den Geist Jesu Christi bemüht? Die Hoffnung des Apostels in der Gefangenschaftssituation zielt, was seine persönliche Situation angeht, auf eine Verherrlichung Christi an seinem Leib (1,20–24). Die Christusgemeinschaft im vollen Sinn setzt mit dem Tod, möglicherweise ist hier im Speziellen an den Tod des Märtyrers gedacht, ein.2 Gegenwärtig erfährt der Apostel die Unterstützung des Geistes als der Kraft, die von dem erhöhten Herrn ausgeht.3 In dieser pneumatischen Gemeinschaft mit dem erhöhten Kyrios bleibt die Differenz von Kyrios und Pneuma gewahrt, insofern die Vereinigung mit dem Kyrios erst im zukünftigen Tod in einem vollen Umfang geschenkt wird. In Röm 15,30 wird der aus Phil 1,19$Phil 1,19 bekannte Motivbereich nochmals verwendet. Wiederum in der Situation äußerster Bedrohung ermahnt Paulus durch die Autorität des Kyrios Jesus Christus und durch die Liebe des Geistes zur Fürbitte. Kyrios und Pneuma sind wohl einander zugeordnet, aber es ist ihre Differenz doch gewahrt.
3. Ergebnisse und Folgerungen
Die wenigen Zuordnungen von Kyrios und Pneuma in den paulinischen Briefen lassen sich nicht von einem spezifischen religionsgeschichtlichen Hintergrund,1 von einer bestimmten individuellen (BekehrungserlebnisBekehrungserlebnis2) oder gemeindlichen Erfahrung (KultmystikKultmystik), einer geprägten alttestamentlich-jüdischen Tradition, auch nicht von einer von Paulus bereits in ihren Umrissen bedachten theologischen Entscheidung erklären.3 Sie sind auch begrifflich noch nicht fixiert, insofern neben Kyrios auch Sohn, Jesus Christus, Christus und letzter Adam genannt werden. Allerdings bricht Paulus einen ausschließlich theologisch bestimmten Geistbegriff vorsichtig christologisch auf und zeigt eine Tendenz an, in der das Wirken des erhöhten Kyrios mit dem Wirken des Geistes zusammenfallen kann, was konsequenterweise gelegentlich von ‚dem Geist des Herrn‘ sprechen lässt. Hieraus dürfen keine vollständige Identität der Wirkweise, wohl aber spezifische Zuordnungen abgeleitet werden.4
Möglicherweise sind die heidenchristlichen Gemeinden in dieser Hinsicht Paulus vorangegangen und haben deutlicher im Sinne einer Geist-ChristologieGeist-Christologie gedacht.5 Mit einem gewissen Recht werden die Scheideformel Röm 8,9c und die Adam-Spekulation hinter 1Kor 15,45b auf den pneumatischen Enthusiasmus in Korinth zurückgeführt. Die Analyse paulinischer Tauftexte macht wahrscheinlich, dass innerhalb des pneumatischen EnthusiasmusEnthusiasmus die TaufeTaufe als der Ort verstanden wurde, diesem pneumatischen Christus übereignet zu werden.6 Paulus hat einerseits diese Aussagen übernommen, wenn auch mit einer gewichtigen Korrektur: nicht der präexistente, auch nicht der irdische Kyrios, sondern der auferweckte und erhöhte Herr ist von Gott in diese Funktion, lebenspendender Geist zu sein, eingesetzt worden.7 Andererseits aber bietet das Verständnis des Sakraments einen wichtigen Impuls für die positive Zuordnung von Kyrios und Pneuma.8 Die Taufe übereignet den Geist (2Kor 1,21f) und überführt die Glaubenden in den Christusleib (1Kor 12,13; Gal 3,27). Der Abendmahlskelch gilt als geistliches Getränk (1Kor 10,4; 12,13) und ist zugleich Blut Christi (11,25).
Ab der Korintherkorrespondenz sind Korrespondenzformulierungen belegt. Sie beziehen sich auf Wirkungen, die gleichzeitig vom Pneuma und vom Kyrios ausgesagt werden (vgl. 1Kor 6,11 mit Gal 2,7; 1Kor 12,9 mit Röm 6,23; 1Kor 12,3 mit 2Kor 2,17; 2Kor 3,6 mit 1Kor 15,22 u.ö.) und auf Glaubensaussagen, die sich auf den Kyrios und das Pneuma gleichermaßen beziehen (vgl. Röm 8,26f mit Röm 8,34; Phil 4,1 mit Phil 1,27; Phil 3,1 mit Röm 14,17; 1Kor 1,9 mit 2Kor 13,13; 1Kor 1,2 mit Röm 15,16; Phil 4,7 mit Röm 14,17 u.ö.). Vor allem sind natürlich die InexistenzInexistenz-Aussagen zu bedenken, die ein Sein der Glaubenden im Kyrios (Röm 8,10; 1Kor 1,30) und im Geist (Gal 5,25; Röm 8,10) aussagen.9 Motivgeschichtlich kann man diese strukturellen Gemeinsamkeiten und funktionalen Übereinstimmungen zwischen Kyrios und Geist als Varianten der Tätigkeit von Mittelwesen zwischen Gott und Mensch verstehen.10
Die analysierten Texte haben gezeigt, dass die Explikation des Heilsgeschehens Paulus in 1Kor 15,45b, 2Kor 3,17f; Gal 4,6 und Phil 1,19 dahin bringt, die Wirkung des Kyrios und diejenige des Pneuma zueinander in Beziehung zu setzen, was auch in dem Begriff ‚der Geist des Herrn‘ zum Ausdruck kommt. Es geht hierbei nie um seinsmäßige Aussagen,11 sondern jeweils um das Wirken des Geistes bzw. des Kyrios, nämlich um die lebenschaffende Kraft, um die Gewährung der Freiheit, um die Sohnschaft und die Ermöglichung des Gebets, um die Unterstützung in der Notlage. Das Wirken des Geistes wird vom Wirken des Kyrios her verstanden.12 Paulus ist jedoch nicht den Weg gegangen, KyriosKyrios und PneumaPneuma ineinander aufgehen zu lassen.13 Dem standen etwa der personale Vorbehalt des christologischen Rekurses auf das Heilsgeschehen am Kreuz und des Ausblicks auf Christus als Richter (1Kor 1,8; 2Kor 5,10) entgegen.14 Auch die binitarischen (1Kor 6,11; Röm 15,30) und trinitarischen Aussagen (1Kor 12,4–6; 2Kor 13,13) halten an einer Differenz von Kyrios und Pneuma fest.
Die letzte Jerusalemreise des Paulus*
* Zuerst erschienen: Friedrich Wilhelm Horn, „Die letzte Jerusalemreise des Paulus“, in: Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, BZNW 106, Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2001, S. 15–35.
1 Einleitung
Die