Le genre de la comédie-ballet se serait […] offert opportunément pour incarner cette conception nouvelle du rôle de la dramaturgie comique, qui aurait à partir de là tourné le dos à l’esthétique du ridicule pour s’accommoder de la folie des hommes et la transcender en fantaisie débridée à la faveur des divertissements fantasques du ballet de cour.3
1.5 Zeitgenössische Reaktionen auf und poetologische Reflexionen über die Ballettkomödie
Zeitgenössische Äußerungen zum Fortschrittscharakter der Ballettkomödie sind im Gegensatz zu den meisten Lobeshymnen der Literaturkritiker heutigen Datums eher rar, weil noch wenig Sensibilität und Bewusstsein im Hinblick auf die Anerkennung der Ballettkomödie als eigenes Genre herrschte. Die Berichterstattungen des königlichen Sekretärs André Félibien sprechen neben diversen Artikeln zeitgenössischer gazettes in der Regel jedoch positiv von diesem Gesamtkunstwerk. Dementsprechend wurde beispielsweise die nach heutigem Empfinden schwierig zu erfassende Handlungseinheit der Ballettkomödie George Dandin von Félibien begeistert aufgenommen, obschon sie eine eigenständige Pastorale enthält:
[I]l est certain qu’elle [la pièce, Anm. S.W.] est composée de parties si diversifiées & si agreables qu’on peut dire qu’il n’en a guere paru sur le Theatre de plus capable de satisfaire tout ensemble l’oreille & les yeux des spectateurs. […] Quoy qu’il semble que ce soit deux Comedies que l’on jouë en mesme temps, dont l’une soit en prose & l’autre en vers, elles sont pourtant si bien unies à un mesme sujet qu’elles ne font qu’une mesme piece & ne representent qu’une seule action.1
Die Kombination aus Prosa- und Versdichtung scheint keinen negativen Einfluss auf die Wahrnehmung der Aufführung als Gesamtkunstwerk zu haben, denn das Zitat zeugt von einer empfundenen Eintracht seitens des Hofsekretärs. Ferner liest man in der gazette vom 12. Oktober 1669 einen Kommentar zur Premiere von Monsieur de Pourceaugnac, welcher bereits eine Sensibilität für die gattungstypologischen Eigenarten erkennen lässt, allerdings weder den Autor noch den Komödientitel erwähnt:
[Leurs Majestez] eurent celui d’une nouvelle Comédie, par la Troupe du Roy, entremeslée d’Entrées de Balet, & de Musique, le tout si bien concerté, qu’il ne se peut rien voir de plus agréable. L’Ouverture s’en fit par un délicieux Concert, suivi d’une Sérénade, de Voix, d’Instrumens, & de Danses: & dans le 4e Intermède, il parut grand nombre de Masques, qui par leurs Chansons, & leurs Danses, plurent grandement aux Spectateurs. La Décoration de la Scène, estoit, pareillement, si superbe, que la magnificence n’éclata pas moins en ce Divertissement, que la galanterie.2
Die Zeichenpluralität höfischer Feste, die mit Blick auf den Aufführungskontext der Ballettkomödie eine zentrale Rolle spielt, erschwert die Destillierung und Abgrenzung des Genres von rein karnevalesken Veranstaltungen. Das Zitat erweckt eher den Eindruck einer heterogenen Darbietung als einer durchstrukturierten Ballettkomödie. Die zeitgenössischen Unsicherheiten bei der Bewertung der Gattung rühren überwiegend daher, dass dem existierenden Signifikat kein entsprechender, offiziell gültiger Signifikant zuzuordnen ist; überdies sind Unsicherheiten bezüglich der Autorenschaft gegeben, die sich aus dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Künstler ergeben. Die Beschreibung verweist des Weiteren ausschließlich auf die Intermezzi, die Komödienhandlung bleibt unerwähnt. So vage das zeitgenössische Empfinden für die Kennzeichnung des Gattungsgefüges ist, so einmütig zeigt sich die Begeisterung für die künstlerische Performance sowie die Wahrnehmung der Einträchtigkeit. Das Streben nach Einheit entspricht der poetologischen Intention des molièreschen Dodekamerons, das den goût der Zeit trifft und über den plaire seitens der Zuschauer als willkommenes Echo auf den Autor zurückstrahlt.
Neben Zeitzeugenberichten interessieren unter gattungspoetologischem Aspekt gängige Wörterbücher und Regelpoetiken des 17. Jahrhunderts, die im besten Fall Definitionen und ästhetisches Verstehen der Zeit liefern oder auch aufgrund von Desiderata aufschlussreich sein können. Allgemein lässt sich zu den theoretischen Abhandlungen der Komödie anführen, dass sie in jener Zeit lediglich peripher betrachtet werden.3 Von Molière gibt es überdies, wie erwähnt, keine ausgeführte Poetik zu seinem dramatischen Werk, ja er belustigt sich sogar in der préface zu Les Précieuses ridicules über die poetologischen Bestrebungen seiner Zeitgenossen:
[S]i l’on m’avait donné du temps, […] j’aurais pris toutes les précautions, que Messieurs les Auteurs, à présent mes confrères, ont coutume de prendre en semblables occasions. […] [J]’aurais tâché de faire une belle et docte Préface, et je ne manque point de Livres, qui m’auraient fourni tout ce qu’on peut dire de savant sur la Tragédie, et la Comédie, l’Étymologie de toutes deux, leur origine, leur définition, et le reste. (PR, 4)
Molières poetologische Intentionen sind meist nur kurzen Widmungsbriefen zu einzelnen Stücken, knappen Vorwörtern zu seinen Komödien oder metapoetischen Zitaten in seinem Primärwerk zu entnehmen. Unter Berücksichtigung der fehlenden Gattungsbezeichnung verwundert es zudem nicht, wenn Theoretiker und Kritiker in ihren Traktaten, im Gegensatz zu seinen anderen Komödien, den Ballettkomödien per definitionem keine Existenz einräumen.
Es gibt diverse Gründe, der Ballettkomödie die Anerkennung als eigenständige Gattung ab ovo streitig zu machen. Da wären die Bezeichnungsproblematik aufgrund der Hybridität der Gattung, die oft dazu führte, die Komödie ohne die Intermezzi zu beurteilen oder vice versa, der Auftragscharakter und die damit verbundene Institutionalisierung der Stücke, die häufig durch ihre vorgegebenen Rahmenbedingungen die Originalität der Künstler infrage stellte, das Zusammenwirken verschiedener Künstler und Kunstformen wie auch die damit einhergehende Autorenschaftsfrage, die Sujetheterogenität der Ballettkomödien sowie der Rahmen der königlichen Feste, in denen sie zwar eine Glanznummer waren, aber nicht alleinig für das Divertissement sorgten. Demgemäß lassen sich in den federführenden Wörterbüchern von César P. Richelet und Antoine Furetière aus jener Zeit keine Einträge zu den comédies-ballets oder zu anderen vergleichbaren, sich auf diese Kreation beziehenden Bezeichnungen finden.4 Dieser Mangel ist selbstverständlich hinderlich für die Erforschung einer Gattungsrezeption durch zeitgenössische Kritiker, sodass man nach weniger expliziten, aber trotzdem verbindlichen Hinweisen zur Eigentümlichkeit der Gattung suchen muss. Zu diesem Zweck können Abbé d’Aubignacs La pratique du théâtre von 1657 und Nicolas Boileau Despréaux’ Art poétique von 1674 herangezogen werden, spiegeln diese theoretischen Schriften doch wie keine anderen Werke das poetologische Verständnis des classicisme français wider. In diesen Traktaten können Hinweise auf geltende Regeln für die Komödie gesucht werden, die auch für die Ballettkomödie von Bedeutung sind.
Die klassische Ästhetik ist von einem „caractère anti-baroque“5 beeinflusst und setzt sich aus Rationalismus6, Harmoniebestrebungen durch Maßhaltung und Symmetrie, Schönheit sowie der Imitation der menschlichen Natur und antiker Vorbilder zusammen. Als Regelwerk der klassischen Literatur fasst die doctrine classique diese Ästhetik konkret zusammen. Sie beinhaltet für die Dramatik die Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung sowie die beiden Kriterien vraisemblance und bienséance. Die vraisemblance orientiert sich am aristotelischen Mimesis-Begriff. Roger de Piles sieht in der vraisemblance ein starkes Wirklichkeitsprinzip gegeben, ja spricht er diesem Konzept sogar eine Übersteigerung des Wahrheitsanspruches zu, denn: „[C]e beau vraisemblable […] paroît souvent plus vrai que la vérité-même […].“7 Der Begriff zeugt zudem von einem strukturellen Anspruch, indem er eine Kohärenz