Schematische Darstellung Kommunikativer Kompetenz nach Celce-Murcia, Dörnyei & Thurrell (1995, S. 10)
2.3.4 Bachman und Palmers Modell des Kommunikativen Sprachgebrauchs
Ausgehend von den vorangegangenen theoretischen und empirischen Untersuchungen entwickelte Bachman 1990 ein neues Modell kommunikativer Kompetenz, welches von ihm und seinem Kollegen Palmer sechs Jahre später modifiziert wurde. Das revidierte Modell (1996) basiert auf den theoretischen Komponenten von kommunikativer Kompetenz im Kontext von Einstufung und Bewertung (assessment). Das Hauptanliegen der Autoren ist, einen Weg zu finden, an dem sich anhand der kommunikativen Leistung oder des Sprachgebrauchs in verschiedenen Testsituationen Rückschlüsse auf die qualitative sprachliche Fähigkeit der Lernenden ziehen lassen (Kost, 2004). Dieses Modell definiert Sprachgebrauch als komplexen und interaktiven Prozess, der einerseits von den individuellen Eigenarten der Gesprächsteilnehmenden abhängt, andererseits jedoch durch die Charakteristiken des Sprachgebrauchs und der spezifischen Testsituation bedingt wird. Bachman und Palmer präsentieren daher ein interaktives Bezugsmodell des Sprachgebrauchs, in dem die sprachliche Fähigkeit betrachtet werden kann. In diesem Konzept sind die wichtigsten Charakteristika des Sprachgebrauchs, das Sprachwissen, persönliche Eigenschaften und Wissen über das Gesprächsthema zusammen mit der strategischen Kompetenz und dem Affekt, den dieser auf das Sprachwissen hat, in einem inneren Kreis angesiedelt. In der Abbildung 3 kennzeichnen Doppelpfeile die gegenseitige Beeinflussung der strategischen Kompetenz mit den anderen Komponenten (Kost, 2004). Der innere Kreis wird noch von einem größeren, äußeren Kreis umschlossen, in dem die Charakteristika des Sprachgebrauchs oder der Testaufgaben beziehungsweise der Testsituation repräsentiert sind, die ihrerseits auch mit der strategischen Kompetenz interagieren (Kost, 2004).
Einige Komponenten des Sprachgebrauchs und der Leistung in Sprachtests nach Bachman & Palmer (1996), S. 63)
Die Illustration des Affekts, der in seinem eigenen Kreis alle Interaktionen der strategischen Kompetenz mit den anderen Komponenten beeinflusst, veranschaulicht deutlich, dass die Reaktion von Lernenden auf eine Aufgabe oder Situation stark von Affekten abhängt, die das Sprachwissen begünstigen oder einschränken können (Kost. 2004).
Nach Erkenntnis von Bachman und Palmer (1990) sind die entscheidenden Komponenten sprachlicher Fähigkeit strategische Kompetenz und Sprachwissen, welche sich wiederum aus organisatorischem und pragmatischem Wissen zusammensetzen. Organisatorisches Sprachwissen ist formales Sprachwissen unterteilt in grammatisches Wissen und Textwissen. Grammatisches Wissen befähigt die Lernenden, korrekten Satzaufbau zu erkennen und Sätze richtig zu formulieren. Textwissen hingegen ermöglicht die Kognition und die Produktion von gesprochenem oder geschriebenem Text. Pragmatisches Wissen bezieht sich auf die Fähigkeit, Diskurs selbst zu kreieren und interpretieren und besteht aus dem Wissen über pragmatische Konventionen (Funktionswissen) und aus soziolinguistischem Wissen.
Die verschiedenen Formen von Sprachwissen, individuelle und autonome Ausdrucksformen und kognitives Wissen sowie strategische Kompetenz und Affekt interagieren reziprok in Situationen, in denen Sprechende (oder Schreibende) eine kommunikative Aktion ausführen. Sie müssen deshalb vor allem auch in Testsettings bedacht werden.
Wie die graduelle Entwicklung des theoretischen Konstrukts kommunikativer Kompetenz zeigt, expandiert diese immer weiter mit dem linguistischen Bedarf sowie mit dem Verlangen nach einer wissenschaftlichen Gestaltung der Feststellung, Benennung und Beurteilung kommunikativer Kompetenz bei Lernenden.
2.3.5 Kommunikative Kompetenz gemäß der ACTFL Proficiency Leitlinien in den USA und des GER in Europa
In den USA wurden als Reaktion auf das Verlangen nach einheitlichen Standards, an denen das Sprachniveau und der Fortschritt der Lernenden zu beurteilen sind, bereits im Jahr 1986 zum ersten Mal die American Council on the Teaching of Foreign Languages (ACTFL) Provisional Proficiency Guidelines veröffentlicht. Diese Richtlinien bestehen aus Beschreibungen der unterschiedlichen Stufen der Sprachfähigkeiten (proficiency levels) für Sprechen, Hörverstehen, Leseverständnis, Schreiben und Kulturkenntnisse. Es war einer der ersten Versuche, Stufen funktionaler Kompetenzen im Bereich des Sprachenlernens zu definieren. Sie beschreiben wie Lernende Sprache in realen und unerprobten Situationen verwenden können. Seit 1986 sind die ACTFL-Leitlinien bereits dreimal (1999, 2001, 2012) überarbeitet worden, und die neueste Publikation beinhaltet einige Additionen im Bereich Hörverstehen und Leseverständnis sowie Revisionen für die Leitlinien im Bereich Sprechen und Schreiben, welche besser an die Anforderungen der heutigen Lebenswelt angepasst worden sind. Für alle Bereiche gibt es fünf wesentliche Niveaustufen (Distinguished, Superior, Advanced, Intermediate, Novice), von denen alle außer das Distinguished Level jeweils in die Stufen High, Mid und Low unterteilt sind. Die ACTFL-Leitlinien basieren dabei weder auf einer bestimmten Theorie oder einer spezifischen pädagogischen Methode, noch beschreiben sie wie ein Individuum Sprache lernt oder lernen sollte; sie sind ein Messinstrument für funktionalen Sprachgebrauch (ACTFL Proficiency Guidelines, 2012). Die fehlende theoretische Fundierung der Richtlinien war einer der Hauptkritikpunkte, als sie erstmals veröffentlicht wurden (Savignon, 1985), jedoch sind sie seitdem stark überarbeitet worden und spiegeln in den neueren Versionen viele Aspekte kommunikativer Kompetenz wider (Kost, 2004).
In Europa veröffentlichte der Europarat 2001 den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER), welcher aus umfangreichen Empfehlungen und Leitlinien für den Spracherwerb, den Sprachgebrauch und die Bewertung von Sprachkompetenz besteht und diese für die europäischen Länder transparent und vergleichbar machen soll. Der GER ist eine gemeinsame Basis für die Entwicklung von Curricula, Lehrwerken und Sprachstandsnachweisen und beschreibt verschiedene Kompetenzniveaus in Grund- (A), Mittel- (B) und Oberstufe (C). Die jeweiligen Niveaustufen werden wiederum in je eine höhere und eine niedrigere Stufe aufgefächert, sodass sich insgesamt sechs Niveaustufen ergeben: A1, A2, B1, B2, C1 und C2. In diesen Leitlinien werden die benötigten sprachlichen Kompetenzen von Lernenden umfassend definiert. Als übergeordnetes Ziel steht die Fähigkeit, Sprache für kommunikative Zwecke nutzen zu können. In Form von Kann-Beschreibungen wird ausgeführt, welche Kenntnisse und Fertigkeiten Lernende entwickeln müssen, um kommunikativ kompetent zu sein.
Laut dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER), „tragen alle menschlichen Kompetenzen zur Kommunikationsfähigkeit der Sprachverwendenden bei, sodass man sie alle als Aspekte der kommunikativen Kompetenz betrachten kann“ (S. 103). Jedoch wird zwischen linguistischen Kompetenzen und allgemeinen Kompetenzen, die sich weniger spezifisch auf Sprache beziehen, unterschieden. Zur Umsetzung kommunikativer Absichten setzen Lernende die allgemeinen Kompetenzen sowie eine spezifisch sprachbezogene kommunikative Kompetenz ein, welche laut dem GER aus drei Komponenten besteht: linguistischen, soziolinguistischen und pragmatischen Kompetenzen. Jede dieser Komponenten umfasst deklaratives Wissen sowie Fertigkeiten und prozedurales Wissen und wird durch die Subkomponenten und die Fähigkeit, diese angemessen anzuwenden, definiert (GER, 2001). Linguistische Kompetenzen sind das Wissen über Sprachressourcen und die Fähigkeit, diese erfolgreich einzusetzen, um strukturierte und korrekte Aussagen zu formulieren. Sie setzen sich zusammen aus „lexikalischen, phonologischen und syntaktischen Kenntnissen und Fertigkeiten und aus anderen Dimensionen des Sprachsystems, unabhängig von soziolinguistisch determinierter Variation und von ihrer pragmatischen Funktion im Sprachgebrauch“ (GER, 2001, S. 25). Soziolinguistische Kompetenzen sind durch die soziokulturellen Bedingungen der Sprachverwendung definiert und beziehen sich auf vorhandenes Wissen und einen korrekten und angemessenen Sprachgebrauch in einem sozialen Kontext. Zu ihr zählen Wissen über gesellschaftliche Konventionen, linguistische Kodierungen bestimmter Rituale sowie die Fähigkeit zur Verwendung von unterschiedlichen Sprachregistern,