Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300571
Скачать книгу
und zwar eine Vielzahl, die strukturelle Übereinstimmungen und Handlungsbezüge aufweist (Spitzmüller/Warnke 2011, 187).

      Das DIMEAN-Modell nach Spitzmüller/Warnke (2011, 201) liefert einen methodischen Vorschlag, der den Zugang zu kollektiven Wissensbeständen über drei ineinander integrierte Ebenen (intratextuelle und transtextuelle Ebene sowie Ebene der Akteure) ermöglichen soll. Die Untersuchung der Argumentationsstruktur und Topoi (vgl. 4.1) wird im Modell als möglicher Teil der transtextuellen Analyseeinheit dargestellt.

      4.1 Strukturierende Diskurseinheiten auf transtextueller Ebene: Topoi und Argumente

      Wie oben bereits dargestellt wurde, dienen diskurslinguistische Untersuchungen der Aufdeckung kollektiver Wissensbestände in einem bestimmten thematischen Gebiet. Wenn dieses Wissen verbalisiert wird, dann, so sagt Hermanns (2012, 56),

      […] [werden] Schemata des Denkens greifbar […]. Sie erscheinen dann in Form von »Topoi«. Topoi – früher nannte man sie (noch nicht abschätzig) »Gemeinplätze« (»loci communes«) – sind die allgemein bekannten, sozusagen allgemein gebräuchlichen Gedanken. Sie sind daher auch »gewohnheitsmäßige Gedanken«, wie ich sie hier nennen möchte, also eingeübte, automatisierte und routinemäßige Gedanken, die man, weil sie eingeschliffen sind, im Denken (und im Sprechen) immer wieder wiederholt. Insgesamt ergeben die auf einen Gegenstand bezogenen Topoi den Stereotyp des Gegenstandes.

      Dieser auf Aristoteles zurückgehende Topos-Begriff im Sinne sprachlich explizierter, kollektiv verankerter, normativer oder faktischer Schemata (vgl. Wengeler 2003, 177ff.), kann im vorliegenden Kontext auf den Bereich verbalisierter Spracheinstellungen angewandt werden. Aus diskurslinguistischer Sicht können Topoi dabei als inhaltliche „Oberprämisse[n] einer Argumentation“ verstanden werden, d.h. durch die Verwendung bestimmter Topoi werden „eigene Diskurswelten“ durch die Akteure thematisch konstituiert (id., 256).5 Die Argumente selbst gehen dann in einem weiteren Schritt aus den Topoi hervor und haben den Zweck „[…] Strittiges mit Hilfe von sprachlichen Äußerungen, die außer Frage stehende Fakten und Normen/Werte des gemeinsamen Sprachspiels repräsentieren, wieder in Geltendes zu überführen“ (Kienpointner 1983, 70). Dem ist ergänzend hinzuzufügen, dass der Alltagssprache entstammende argumentative Muster in der Regel nicht formallogisch aufgebaut sind, sondern vielmehr auf Schemata beruhen, die vor allem dazu dienen, Plausibilität zu vermitteln (vgl. id., 74; Spitzmüller 2005, 271).

      In der Argumentationstheorie wurden bis heute verschiedene Typologien beschrieben, die es erlauben, Argumente nach formalen und/oder inhaltlichen Aspekten zu kategorisieren (vgl. z.B. Kienpointner 1983; Kopperschmidt 1989; Perelman/Olbrechts-Tyteca 2004; Ottmers 2007). Da diese hier nicht im Detail erläutert werden können, werden für die im Anschluss stehende Analyse (vgl. 5) nur die wichtigsten Differenzierungskriterien erläutert. Grundlegend kann bei Argumenten zwischen kontextabstrakten und kontextspezifischen Argumenten unterschieden werden, die dann wiederum deskriptiv oder normativ ausgerichtet sein können (vgl. Kienpointner 1983, 87f.; Wengeler 2003, 271; Ottmers 2007, 92). Ferner können unterschiedliche Schritte der Argumentation nach ihren Funktionen unterschieden werden, die der Stützung oder Widerlegung einer Aussage dienen, also pro- oder kontra-argumentativ eingesetzt werden können (vgl. Ottmers 2007, 74).

      Das bekannteste Argumentationsschema, basierend auf dem prototypischem Dreischritt aus Argument (= D/Daten), Schlussregel (= SR) und Konklusion (K) geht auf Toulmin (vgl. 1958, 99) zurück. Nach diesem Muster wird eine strittige Aussage (K) durch Argumente (D) begründet und durch eine Schlussregel (SR) gerechtfertigt. Eine Erweiterung des Schemas kann durch zusätzliche Stützungen (S) der Schlussregel oder einschränkende Ausnahmebedingungen (AB) erfolgen, jedoch wird eine Argumentation, wenn sie explizit geäußert wird, in der Regel als unvollständiger Schluss (Enthymem) hervorgebracht, sodass meistens nur das Argument selbst und die Konklusion sichtbar sind.

      Um auf die Kategorisierung der den Argumenten übergeordneten Topoi zurückzukommen, so orientiert sich die folgende Analyse an der Typologie alltagssprachlicher Argumentationsmuster nach Kienpointner (vgl. 1996, 246), die u.a. von Ottmers resümiert (vgl. 2007, 93) und von Wengeler (2003, 273ff.) diskurslinguistisch adaptiert wurde. Die Typologie unterscheidet zwei Großklassen argumentativer Verfahren: Eine erste Klasse, die alle alltagslogischen Schlussregeln umfasst, wobei unterschieden wird, ob diese deduktiv abzuleiten oder induktiv zu erschließen sind. Die deduktiven Muster lassen sich weiter in Einordnungs-, Vergleichs-, Gegensatz- und Kausalschemata unterteilen. Das induktiv argumentierende Verfahren arbeitet mit Beispielargumentationen. Der zweiten Großklasse sind konventionalisierte Schlussverfahren zuzuordnen, zu denen die Kategorien des Autoritäts- und Analogiearguments sowie illustrative Beispielargumente gehören. Darüber hinaus sind weitere Techniken der Argumentation relevant – bei Textkorpora in Form verbaler Strategien – wie z.B. das Verwenden einer indirekten Ausdrucksweise, die Herstellung von Gemeinsamkeit oder das argumentum ad personam (Kienpointner 1982, 146ff.).

Typologie alltagssprachlicher Argumentationsschemata (AS)
AS, die SR benutzen AS, die SR etablieren AS, die weder SR benutzen noch etablieren
Einordnungsschemata Vergleichsschemata Gegensatzschemata Kausalschemata induktive Beispielargumentation illustrative Beispielargumentation Analogieargument Autoritätsargument

      Abb. 1: Typologie alltagssprachlicher Argumentationsmuster (gekürzt adaptiert nach Wengeler 2003, 273).

      4.2 Sprachnormierungskriterien als Fundament sprachpflegerischer Topoi

      Für eine sprachkontrastiv angelegte Untersuchung von metasprachlichen Daten stellt sich mithin die Frage, ob im sprachnormativen Diskurs der ausgewählten Sprachgemeinschaften unterschiedliche Sprachnormen und verschiedene Repräsentationen von Sprachnormenbewusstsein auftreten (vgl. Settekorn 1990, 1) oder ob es umgekehrt topische Muster gibt, die auf äquivalenten Normierungskriterien beruhen. Um die transtextuell-thematischen Diskursstrukturen dahingehend zu prüfen, muss eine qualitative textbasierte Untersuchung erfolgen, die ein Verständnis des normativen Diskurses als Sammlung „kohärente[r] Textgebilde“ voraussetzt, „in denen ein Autor oder eine Gruppe von Autoren [im vorliegenden Fall Akteure der laienlinguistischen Sprachpflege, Erg. VN] sprachliche Aussagen macht, deren Intention es ist, auf die Änderung einer sprachlichen Gegebenheit zu zielen“, d.h. dass es „[…] sich dabei also stets um persuasive Texte handelt“ (Schmitt 1990, 28).

      Was weiter die im normativen Diskurs ausgehandelten Sprachnormen anbelangt, so bezeichnet Gloy (2008, 396) diese als „Objekte und die Ergebnisse bestimmter Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse“, die „[i]ntensional sind […] über das Merkmal einer (heteronomen) Verpflichtung […], die als Vorschrift oder als Regel oder als Gebot der Vernunft gegeben sein kann“. Sprachnormen zielen damit auf eine rechtmäßige, richtige und zweckmäßige Verwendung von Sprache ab, wobei ihre Anwendung dabei auf sprachliche Objekte unterschiedlichen Komplexitätsgrades erfolgt (vgl. ibid.). Der Geltungsanspruch sprachlicher Normen orientiert sich jedoch nicht nur an objektiven innersprachlichen Kriterien, sondern auch an pragmatischen oder soziologischen Kriterien, was dazu führt, dass die Verbindlichkeit von Sprachnormen von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen verschieden definiert wird (vgl. ibid.). Der Gegenstandsbereich der Sprachnormen umfasst somit also „alle ‚(versuchten) normativen Handlungen‘ […] zu denen man jede, auch die von Einzelpersonen vorgetragene Normformulierung, metasprachliche Urteile […] und die gesamte Sprachkritik […] zählen kann“ (id., 397).

      Die diskursive Aushandlung von Sprachnormen liegt in Deutschland und Frankreich in einem spätestens seit Ausbildung der europäischen Nationalstaaten traditionellen Streben nach dem Erhalt „der idealen Gestalt der Standardsprache“ (Schweickard 2005, 177) begründet und orientiert sich dabei an motivationalen Gesichtspunkten, die von ästhetischen Beweggründen, über bestimmte ideologische