Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300571
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conservé et embelli une langue aussi obscure que le latin défunt“ (185). Früher, so schreibt der Vf., amüsierte man sich über die unnatürliche Sprache des Dorfpolizisten, den sogenannten style garde champêtre, heute lache niemand mehr. Man habe genug damit zu tun zu verstehen, was das Amt schreibt (vgl. 196). – Bei seiner Kritik an den Übersetzern hat der Vf. nicht die literarischen Übersetzer im Auge, sondern alles, was unter traductions utilitaires fällt. Viele Texte des täglichen Gebrauchs sind nämlich Übersetzungen und die meisten von diesen seien durch hastige Arbeit, impropriétés, gaucheries und faux-amis geprägt (vgl. 200):

      L’étrange langue des traducteurs ne leur appartient plus exclusivement. Les gaucheries, les longueurs et les faux-sens qu’on tolère chez eux passent sans filtrage dans la langue commune. (225)

      Dass der Vf. die Sprache der Presse als eine der Hauptschuldigen für die fortschreitende innere Zersetzung des Französischen ansieht, wird dem Leser schon in der ersten Hälfte des Buches mehr als deutlich.3 Dies wiege umso schwerer, als der Publizistik eine hohe Verantwortung in der gegenwärtigen Gesellschaft zukomme: Zeitungen und Magazine, so der Vf., seien schließlich die „forme principale de la culture écrite“ (237). Der sich daraus ergebenden Verpflichtung werde die Presse allerdings alles andere als gerecht:

      Le style journaliste n’est ni soutenu, ni familier, il est négligé. (238)

      Chaque page de journal, et souvent chaque colonne, ont des travers propres dont la somme fait de la lecture des périodiques un empoisonnement lent, mais général. (236)

      Am Rande geht der Vf. auch auf die gesprochene Sprache der Medien ein und kritisiert deren eigenartige Phonetik, etwa die Tendenz zur Sonorisierung von [s] und [k] vor Konsonant, also législatif [leʒizlatif], optimisme [ɔptimizm], technique [tɛgnik], oder aber die Aussprache fremder Eigennamen, die bei jedem Rundfunksprecher anders, aber bei praktisch keinem korrekt sei. H.J. Wolf beobachtete etwa zur gleichen Zeit die Aussprache von Bruxelles mit [ks], die man selbst in belgischen Medien hört (vgl. Wolf 21991, 170). Auch in der Sprache der Reklame diagnostiziert der Vf. Einflüsse des Angloamerikanischen, etwa in Wendungen wie buvez français, voyagez français, die wohl Ausdrücke wie Buy British kopieren (vgl. 256). Außerdem werde in der Werbebranche jedes Wort, jede Wendung, die sprachlich betrachtet ein schlechtes Gewissen hervorrufen, in Anführungszeichen gesetzt:

      Les guillemets sont l’antichambre et le purgatoire des sottises et des plates horreurs dont fourmillera demain le français de tous les jours. (126)

      Den Abschluss der Identifizierung der linguicides bildet eine Abrechnung mit dem Purismus. Der Vf. plädiert für die Aktivierung ungenutzter Ressourcen des Französischen, nicht dagegen für eine Wiederbelebung von Archaismen. Daher wirft er den Puristen Folgendes vor:

      Inventer enfin, c’est créer, et les puristes ne redoutent rien tant que la procréation. Ce sont les grands avorteurs. (267)

      Die Reihe sprachlicher Abtreibungen und Sterilisierungen seit dem 17. Jahrhundert führe dazu, dass das Französische heute wie Schneewittchen im Glassarg liege, das man von außen betrachten, aber nicht aufwecken wolle (vgl. 272). Amüsant zu lesen ist die nun folgende persönliche Abrechnung des Vf. mit prominenten französischen Sprachkritikern (vgl. 273f.), nämlich „Robert-la-Pudeur“, also Robert Le Bidois, „René-la-Haine“, also René Étiemble, und „Marcel-sans-Gêne“, also Marcel Cohen. Étiemble wirft der Vf. sprachgeschichtliche Ignoranz vor, Cohen vergleicht er mit einem inspecteur Michelin. Für ihn leiden Puristen wie Antipuristen an Hypertrophie der Urteilsfähigkeit. Alle praktizieren ein jugement moral, das heißt, irgendein Sprachgebrauch ist entweder gut oder schlecht, doch sie weigern sich anzuerkennen, dass das Französische an einer maladie sociale leide (vgl. 282). Im Anhang liefert der Vf. schließlich eine synoptische Darstellung der von ihm analysierten Sprachphänomene.

      Nach dieser fast 300 Seiten starken Anklage ist der Leser neugierig zu erfahren, wie der Vf. die Heilungschancen beurteilt. Seine These ist die folgende: Mehr Freiheit dort, wo Einschüchterung herrscht, gemeint sind die Schule und die Puristen, und mehr Feingefühl dort, wo Missbrauch herrscht, gemeint ist die Publizistik:

      Ma thèse est donc qu’en mettant la liberté là où il y avait la contrainte et en essayant de mettre de la décence là où il n’y avait que des abus, on rendra à la langue commune la vigueur qu’il lui faut pour résister aux attaques futures des linguicides, même assagis. (295)

      Der Vf. zieht eine gewisse sprachliche Anarchie der aktuellen Situation vor, denn die Bevormundung durch Schule und Puristen mache die Sprecher anfällig für die Nachahmung vermeintlicher Autoritäten wie Presse und Verwaltung (vgl. 296). Karikaturesk erscheint hingegen, was dem Vf. zur Eindämmung sprachlichen Missbrauchs konkret vorschwebt. So müssten innerhalb der Zeitungsredaktionen Geldbußen für sprachliche Nachlässigkeit eingeführt werden und in der Werbebranche der Gebrauch von alles entschuldigenden Anführungszeichen verboten werden (vgl. 300f.). Ernster zu nehmen ist dagegen die Forderung nach einem Umdenken im Schulwesen (vgl. 303ff.). Bereits der Grundschüler solle dazu ermuntert werden, sich spontan und frei auszudrücken, und zwar mündlich wie schriftlich, anstatt dass man ihn durch orthographische und schulgrammatische Unterweisung kommunikativ verunsichere und lähme. Es geht dem Vf. letztlich um eine Wiederbelebung des natürlichen, klaren Sprechens. Daraus ergebe sich das klare Schreiben von selbst (vgl. 314).

      3 Kritik

      Was ist nun von diesem Pamphlet im Ganzen zu halten? Jacques Olivier Grandjouan ist durchaus ein Linguist und verfügt über exzellente sprachhistorische Kenntnisse. Er zitiert Du Bellay, dessen Vorliebe für Wortneubildungen er teilt. Seine Glossen erinnern an den Stil Malherbes, ein fingierter Dialog mit einem Puristen gemahnt ebenfalls an prominente Vorbilder in der Sprachgeschichte. Die linguistischen Analysen des Vf. sind in der Sache stets nachvollziehbar. Dennoch wählt er für sein Buch den Essai-Stil und rechnet sich selbst nicht der Gruppe der Sprachwissenschaftler zu, wodurch der Text in der Mitte zwischen Laienlinguistik und wissenschaftlicher Prosa anzusiedeln ist. Der Vf. argumentiert aus seinem untrüglichen Sprachgefühl heraus – was er übrigens den Puristen vorwirft – und verzichtet auf sprachhistorische Nachweise seiner Monita. Mal verwendet er phonetische Transkriptionen, mal nicht. Mal verwendet er konventionelle linguistische Termini, dann bezeichnet er Verbalabstrakta als maçdar (78 u.ö.), also mit einem Terminus aus der arabischen Grammatik. Der Vf. beherrscht zahlreiche Fremdsprachen, darunter Arabisch und exotische Sprachen, und scheint eine enorme Übersetzungspraxis zu besitzen. Zweifellos kennt er alle Finessen des genuin französischen Wortschatzes. Auffällig ist, dass der Vf. an mehreren Stellen die Beeinträchtigung der Normaussprache durch phonetische Merkmale des Midi kritisiert. Sein Familienname Grandjouan deutet hingegen darauf hin, dass er selbst aus Südfrankreich stammt. Es handelt sich hierbei um eine Art linguistischer Selbstgeißelung, die man ansonsten vor allem aus Belgien kennt.

      Was kann man dem Vf. vorwerfen? Er ist zweifellos ein besserer Beobachter des Sprachgebrauchs als ein Entwickler konstruktiver Ideen zur Verbesserung des Ist-Zustandes des Französischen, die ihm vorschwebt. Die ihm eigene Metaphorik macht die Lektüre oft amüsant, doch die zentrale, das ganze Buch durchziehende Metapher der Sprache als kranker Organismus ist weder neu noch originell,4 ebensowenig der Rückgriff auf das Konzept des génie de la langue française. Die dem Vf. vorschwebende Instanz eines nationalen Sprachschiedsrichters erinnert stark an ihn selbst: „… un philologue compétant auquel la langue du temps sera aussi familière que la langue d’autrefois. J’aimerais penser qu’il saura aussi une ou deux langues étrangères et qu’il sera un peu linguiste“ (298). Was bleibt, ist die brillante Analyse der Sprache der französischen Presse und Publizistik. Der Linguist André Haudricourt lobte das Buch in seiner Kurzanzeige als eine der besten Einführungen in die Sozio- und Ethnolinguistik, was der Vf. gar nicht angestrebt hatte. Vielmehr handelt es sich um eine auch heute noch über weite Strecken äußerst lesenswerte Abhandlung über französische Stilistik: Dem Leser wird zum einen der Ist-Zustand der französischen Mediensprache bewusst gemacht, zum anderen erhält er Fingerzeige auf nachzuahmenden und zu vermeidenden Sprachgebrauch. Dass etwa Doppeldeutigkeiten