Spanische Literaturwissenschaft. Maximilian Gröne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Maximilian Gröne
Издательство: Bookwire
Серия: bachelor-wissen
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300113
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alt=""/>Abb. 2.1

      Aristoteles (384–322 v. Chr.)

      Die nur zum Teil erhaltene PoetikPoetik des Aristoteles, die ungefähr um das Jahr 335 v. Chr. entstanden ist, zählt zu den bedeutsamsten kunsttheoretischen Texten der abendländischen Kultur. Sie steht an der Seite einer RhetorikRhetorik, verlässt aber deren auf die Redekunst zugeschnittene Betrachtung, um sich – nicht zuletzt anhand der Diskussion wichtiger Referenztexte – allgemeinen Fragen der zeitgenössischen literarischen GattungenGattungen zuzuwenden. Dazu zählen in erster Linie die EpikEpik, die tragische Dichtung und die KomödieKomödie (der der Komödie gewidmete Teil ist leider nicht überliefert). In Abwendung von Platon, der in dichtungskritischen Passagen seiner Schriften (vor allem Politeia, X 595a–602b) die Dichtung bezichtigt, der Wahrheit der ursprünglichen ‚Ideen‘ in ihrem verzerrten Abbild nicht zu entsprechen („die Dichter lügen“), und sie einer rigiden Staatsmoral unterwerfen möchte, führt Aristoteles die dichterische Schaffenskraft des Menschen auf ein geradezu anthropologisches Bedürfnis MimesisMimesis-Begriff zurück, nämlich den Drang zur Nachahmung (mimesisMimesis). Dem gemäß stelle die Dichtung nichts anderes dar als die Nachahmung gesellschaftlichen Handelns (praxis), d.h. eine Abbildung der vom Menschen erlebbaren Wirklichkeit. Dass hiermit aber keineswegs ein ungebrochener RealismusRealismus gemeint ist, verdeutlichen die weiteren Ausführungen: nicht die Wahrheit im Sinne von faktengetreuer Wiedergabe, sondern die Wahrscheinlichkeit im Sinne einer tief gründenden Einsicht in die menschliche Natur sei das Verdienst der Dichtung, die damit philosophische Qualitäten aufweise und die Aussagekraft der oftmals unwahrscheinlich wirkenden historischen Ereignisse (und damit der Geschichtsschreibung) hinter sich lasse.

      Hierarchie der GattungenGattungshierarchie Von grundlegender Bedeutung für das Literaturverständnis nahezu jeglicher Epoche ist die von Aristoteles thematisierteThema Verknüpfung der GattungswahlGattungen mit dem kulturellen und sozialen Prestige. So ordnet er der TragödieTragödie und dem EposEpos die Nachahmung edler Menschen zu, die es für das Publikum wiederum nachzuahmen gilt, während die schlechten Menschen in ihren Lastern von der KomödieKomödie aufgegriffen werden, die sie der Lächerlichkeit preisgeben und somit gewissermaßen abschreckend wirken soll. Für die angesehene GattungGattungen StändeklauselStändeklausel Tragödie forderte Aristoteles, dass nur Personen von herausragendem sozialen Rang mit einem tragischen Geschick konfrontiert werden dürften, da sich bei ihnen die Wendung von Glück in Unglück durch eine besonders beeindruckende ‚Fallhöhe‘ auszeichne (altura de la caída). Wenn also ihr Streben in einer ‚KatastropheKatastrophe‘ (also im tragischen Ausgang der Tragödie) ende, so erschüttere dies die Zuschauerschaft sehr viel mehr als das Unglück einer Figur aus einer niederen sozialen Schicht, die dem Elend von vornherein näher stehe. Eine solche emotionale Erschütterung sowie die durch sie bewirkte innere Reinigung (katharsisKatharsis, span. catarsis) galten ihm als wichtiges Ziel der Tragödie.

      Aufgabe 2.1 ? Welches über die Dichtung vermittelte Menschenbild lässt sich aus den zuletzt genannten Vorgaben ableiten?

      StilartenStilarten Diese Art der Übertragung sozialer Hierarchien in literarische GattungenGattungen gibt Aufschluss über ein wichtiges Kriterium der damaligen Beurteilung von Dichtung: die bei Aristoteles (und Horaz) geforderte ‚Angemessenheit‘ in der Behandlung eines vom Dichter gewählten Stoffes. Die Grundlage hierzu bildete die in den antiken RhetorikenRhetorik ausgearbeitete Lehre von den drei StilartenStilarten (lat. genera dicendi, span. tres géneros del decir), welche für öffentliche Reden je nach Anlass spezifische Leitlinien formulierten. Dabei handelte es sich zunächst einmal um Vorgaben, die eine Orientierung dafür boten, welches ThemaThema auf welche Art und Weise vor welchem Publikum bzw. zu welchem Anlass angemessen behandelt werden sollte. Daraus erwuchs ein variabel gehandhabtes System, welches jeder GattungGattungen bestimmte Themen, Zielsetzungen, FigurenFigur und eine eigene Stilart inklusive der geeigneten rhetorischenRhetorik FigurenFigur zuschrieb (Einteilung in hohen, mittleren und niederen StilStilarten). Eine wichtige Mittlerfunktion bei der Überlieferung und der Anpassung der antiken Dichtungslehre spielten unter anderem die römischen RhetorikerRhetorik Cicero (106–43 v. Chr.) und Quintilian (35–ca. 96 n. Chr.), letzter insbesondere vermittels seines Lehrwerks Institutio oratoria.

      

Abb. 2.2

      Quintilian (35–96 n. Chr.)

      Speziell für die Abfassung von TragödienTragödie empfahl die Aristotelische PoetikPoetik, die HandlungHandlung vom Ausgangspunkt des dramatischen KonfliktsKonflikt bis zu dessen Die drei ‚Aristotelischen Einheitenaristotelische Einheiten‘ Ende konsequent zu gestalten und dabei nicht durch übermäßige Länge und unübersichtliche NebenhandlungenHandlung vom zentralen Geschehen abzulenken (Einheit der HandlungHandlung). Um zugleich die Wahrscheinlichkeit des aufgeführten [bad img format] Zusatzmaterial zur Ars poetica des Horaz finden Sie unter www.bachelor-wissen.de Bühnengeschehens für die Zuschauer zu erhöhen, sollte sich die dargestellte HandlungHandlung höchstens auf den Zeitraum eines Sonnenumlaufs beschränken (Einheit der Zeit). Aus der letztgenannten Vorschrift folgerten spätere PoetikenPoetik, die HandlungHandlung solle sich auch nur an einem einzigen Ort zutragen, womit in der Regel ein und dieselbe Stadt gemeint war (Einheit des Ortes).

      Aufgabe 2.2 ? Welche Auffassung von Literatur steht hinter dem Bemühen, PoetikenPoetik zu verfassen?

      2.1.2 PoetikenPoetik des Siglo de OroSiglo de Oro

      Während des Mittelalters (la Edad Media) griffen PoetikPoetik und RhetorikRhetorik weitestgehend ineinander. Gerade in der universitären Ausbildung wurde die Dichtung der Unterweisung im richtigen Sprachgebrauch zugeordnet und innerhalb der sog. ‚sieben freien Künste‘ (lat. septem artes liberales) den Fächern Grammatik und RhetorikRhetorik unterstellt. Eine Verselbständigung erfolgte erst ab der RenaissanceRenaissance (Renacimiento) unter dem Einfluss der zuvor abgerissenen und nun wieder aufgegriffenen Aristoteles-Rezeption (erste lateinische Übersetzung durch den Italiener Lorenzo Valla, 1498). Dieser Neuansatz führte zu einer systematischeren Auseinandersetzung mit den dichterischen Formen, beispielsweise im 1592 erschienen Arte poética española des Juan Díaz Rengifo, der sein Werk in die drei Teile Poética, Métrica und ein Diccionario de rimas gliederte. Einen gemäßigten neo-aristotelischen Einfluss belegt etwa die Philosophia antigua poética des Alonso López Pinciano (1596). Mit ihr treten die ästhetisch-philosophischen Grundsatzüberlegungen gegenüber der handwerklichen Anleitung zum Anfertigen meisterlicher Verse, auf die sich noch der Arte poética konzentrierte, in den Vordergrund. In Francisco de Cascales Tablas poéticas (1617) schließlich wird die platonische Vorstellung von der göttlichen Inspiration des Dichters fassbar, wie sie bereits Horaz im Rahmen der antiken römischen PoetikenPoetik konzipiert hatte, ebenso eine Reflexion über die Funktion der unterschiedlichen GattungenGattungen und die Bezüge zwischen Literatur und den anderen Künsten.

      

Abb. 2.3

      Die septem artes liberales (Miniatur von 1180)

      HumanismusHumanismus: Erneuerung der Wissenschaften und der Künste aus dem Geist der Antike, eng verbunden mit der RenaissanceRenaissance Im Zentrum der PoetikenPoetik des Siglo de OroSiglo de Oro steht der Arte nuevo de hacer comediasComedia (1609) von Lope de Vega. Unter dezidierter Abwendung vom aristotelisch geprägten DramaDrama des HumanismusHumanismus orientierte Lope de Vega sich am Geschmack seines zeitgenössischen Theaterpublikums, dessen Bedürfnisse Vorrang gegenüber normpoetischen Bestimmungen erhielten. Daraus folgte ein deutlich flexiblerer Umgang mit den sog. drei Aristotelischen Einheitenaristotelische Einheiten: Die Einheit der Zeit sollte zwar innerhalb der Akte gewahrt werden, zwischen den Akten jedoch dürfen sich größere zeitliche Sprünge ereignen. Die Einheit der HandlungHandlung wird zumindest empfohlen. Neue Akzente setzen die Vermengung von Tragischem und Komischen, von edlem und niederem Stand sowie ein an der (natürlich: