Ein besonderes Highlight der Konferenz bildete die Postersession am Nachmittag des ersten Tages, in deren Rahmen sechs Dissertations- und Postdoc- wie zwei Master-Projekte zu unterschiedlichen variations- und textlinguistischen Aspekten präsentiert wurden, jeweils eingeleitet durch eine kurze mündliche Präsentation (Beitragende: Gerda Baumgartner, Simona Devito, Fabian Fleißner, Virginie Gremaud, Stefan Hartmann, Nesrin Limani, Friedrich Markewitz, Nicolas Wiedmer). Dank des traumhaften Wetters fand die Postersession im Freien, vor der wunderbaren Kulisse des Lago Maggiore statt.
Wie das beste Poster wurde auch die beste Präsentation mit einem CSF Award gewürdigt:
Preisträger für den besten Nachwuchsvortrag: Daniel Mischa Helsper von der Universität Trier (Thema: Textsortenbasierte Grammatikdidaktik am Beispiel der Adverbialien),
Preisträgerin für das beste Poster: Gerda Baumgartner von der Universität Freiburg im Üechtland (Thema: Variabler Genusgebrauch bei Rufnamen in Dialekten der Deutschschweiz).
Die Tagung wich in vielen Aspekten erfolgreich von üblichen Veranstaltungsformaten der Linguistik ab. Besonders positiv wirkten die durch die Programmstruktur bewusst großzügig eingeräumten Spielräume für Diskussionen. Zusätzlich zu einer sich sofort an jeden individuellen Vortrag anschließenden kurzen Diskussion gab es nach einem Block von zwei Vorträgen noch einmal eine längere Diskussionseinheit, in der insbesondere interdisziplinäre Aspekte der gehörten Inhalte zur Sprache kamen. Neben dieser programmbezogenen Besonderheit trugen aber gerade das gemeinsame Wohnen in geschichtsträchtigem Ambiente, wie das gemeinsame Essen und Leben im Tagungszentrum auf dem Monte Verità zu einem persönlichen Kennenlernen und einer Intensivierung des interdisziplinären Austauschs bei, was gerade für eine Nachwuchskonferenz sicher eine einmalige und besonders wertvolle Erfahrung darstellt. So gab es auch Raum und Muße für vielfältige Gespräche zwischen den NachwuchswisenschaftlerInnen, aber auch zwischen ihnen und den eingeladenen und schon etablierten Hauptvortragenden.
Wunderbarerweise wird die in mehrfacher Hinsicht sehr erfolgreiche Veranstaltung fortgeführt: Die Konferenz stellte den Auftakt einer neuen, von Mateusz Maselko initiierten Reihe zu VARIATIONist Linguistics meets … dar (für weitere Informationen s. Homepage des Begründers www.unige.ch/lettres/alman/de/enseignants/linguistique/maselko/konferenzen). Schon in der ersten Hälfte 2018 fand, wiederum auf dem einzigartigen Monte Verità, eine Folgeveranstaltung statt, die diesmal internationale WissenschaftlerInnen auf den Gebieten der Variations- und Kontaktlinguistik versammelte (s. Webseite der Tagung www.unige.ch/ascona2018).
Tagungsplakat (© UNIGE) und ausgewählte Tagungsbilder (© S. M. M. und A. T.): (von links oben) Gruppenfoto (Veranstalterin K. Adamzik in der zweiten Reihe von unten links), Konferenzzentrum und Bauhaushotel Monte Verità, Konferenzraum Eranos, Postersession auf der Terrasse, Preisträgerin für das beste Poster G. Baumgartner und Preisträger für den besten Vortrag D. M. Helsper jeweils mit Ch. Cometta (Congressi Stefano Franscini) und M. Maselko (Veranstalter)
I Theoretische Perspektiven auf Variation(sforschung)
Derselbe Text, aber anders
Was können Variations- und Textlinguistik von- und miteinander lernen?
Kirsten Adamzik
Gliederung:
1 Einleitung
2 Variations- und Textlinguistik vs. Systemlinguistik?
3 Die Notwendigkeit von Abstraktionen3.1 Abstraktionen auf verschiedenen Sprachebenen3.2 Wissenschaftshistorisches: Texteme und Allotexte, emische und etische Texte
4 Virtuelle Einheiten auf der Textebene
5 Fazit
1 Einleitung
Den folgenden Ausführungen sei ein sehr bekannter Text vorangestellt, allerdings in anderer als der gewohnten Variante. Es handelt sich um Goethes Erlkönig:
[1] Kurzfassung1
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Is Papa mit Kind.
Kommt böser Mann,
Quatscht Papa an,
Ob er den Bubi nicht haben kann.
Papa verneint,
Bubi weint.
Am nächsten Morgen große Not:
Papa lebendig, Bubi tot.
Solche Abwandlungen sind seit jeher übliche Arten des Umgangs mit vor allem literarischen Texten und unter Bezeichnungen wie Parodie, Travestie, Pastiche usw. bekannt. Diese Untertypen unterscheiden sich u. a. danach, ob der Inhalt des Ausgangstextes mehr oder weniger erhalten oder wenigstens wiedererkennbar ist oder aber wesentliche Merkmale der Form und eventuell sogar einzelne wörtliche Bestandteile mit dem Original übereinstimmen, der Inhalt aber gänzlich abweicht. Hierfür stehe das Beispiel [2], das eine Variation zum selben Originaltext darstellt.
[2] Der Grünkohlverderber
Wer hat denn so spät noch zur Mitternacht
Den Kessel mit Grünkohl aufs Feuer gebracht?
Es ist der Meister der Küchenkunst,
Er werkelt geschäftig im Grünkohldunst!
Er kocht ein gar köstliches Grünkohlgericht
Und sieht wohl den Grünkohlverderber noch nicht.
Der Grünkohlverderber, mit Paprika,
Mit Curry und Minze, ist nämlich schon da!
„Oh Meister, oh Meister, komm geh mit mir!
Gar schöne Gewürze, die kauf ich dir.
[…]“ […]
„Jetzt würz ich den Grünkohl, ihm fehlt noch Gehalt
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!“
Dann geht er zum Kessel und fasst ihn an,
Jetzt hat er dem Grünkohl was angetan!
Dem Meister grauset‘s, er betet zu Gott,
Und blickt ganz entsetzt auf den Grünkohlpott,
Er rühret und rühret in seiner Not,
Der Kohl war mal grün und jetzt ist er – rot!2
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