Doch verdeutlicht das erzählerische Arrangement ebenso deutlich, dass eine Metapher derartige ambivalente Figurenbeziehung allenfalls temporär verdichten und einlagern kann. Indem der Erzähler besonders ihre explosive Nähe (ensamt, bî) und labile Architektur problematisiert,10 potenziert sich die Spannung widerstreitender Affekte – bis sie schließlich gewaltvoll aus dem Herzen hervorbricht. Je länger die Kämpfer einander Widerstand leisten, desto größer wächst ihr Wunsch zu wissen, wer der andere sei (V. 7374f.). Anfangs eingelagert im Herzen, bricht solche Latenz des Nichtwissens schließlich auf. Zwei Schleifen dehnen daraufhin den Zweikampf – man kämpft vom Morgen bis zum Mittag und pausiert, nimmt den Kampf vom Nachmittag bis zur Nacht auf und pausiert erneut11 –, bis die Aggression versiegt (V. 7365). Am zweiten Zweikampftag fühlen sich die Ritter im wahrsten Sinne des Wortes ›überlastet‹. Und dies nicht nur durch die gleichrangige Kampfkraft des Gegenübers, sondern ebenso durch die latente Sorge, einander als Feinde begegnen zu müssen, wie Gawein gesteht:
wir sîn in gelîchen sorgen.
mîn herce ist leides uberladen,
daz ich ûf iuwern schaden
iemer sol gedenchen.
(V. 7454–7457)
Als beide ihre Namen aufdecken (nicht nur Gawein [V. 7471], sondern auch Iwein weiß sich überraschend unkompliziert zu nennen [V. 7483]), muss die Feindschaft das Herz verlassen, wie der Erzähler herausstreicht (V. 7491–7494). Doch wuchern die strukturellen Verflechtungen des latenten Wettkampfs weiter fort, wird die Herzmetapher von Nähe und Trennung fortgeführt. Von wessen Herz ist eigentlich die Rede – Iweins, Gaweins oder, verstanden als eine Art übergreifender Modellrede, beider? Der Erzählerexkurs lässt dies in der Schwebe;12 zwar spricht Gawein von gemeinsam geteilter Sorge, doch nur von seinem Herzen (min herce). Auch die Handlungen der Kämpfer werden stets nur im Plural geschildert, »so dass ein vages Bild des Kampfes entsteht«.13
Auf Handlungsebene sind die latenten Paradoxien des Kampfes trotzdem keineswegs getilgt. Im Kampf hatten sich die Gegner ihre absolute Gleichrangigkeit bewiesen, doch ein Gerichtskampf verlangt Entscheidung – aller Freundschaftsgesten zum Trotz.14 Und so bietet Iwein wortreich seine Unterwerfung an: Da Gawein ihm stets zuvor Ehre erwiesen habe, wolle nun er sich freiwillig zu Dienst verpflichten (V. 7523–7566). Gawein aber hält dagegen: Ein derart großmütiges Freundschaftsangebot könne er nicht annehmen, vielmehr wolle er sich als sigelôse[n] ergeben (V. 7567–7578). Iwein legt nach und insistiert – selbst wenn Gawein ein gänzlich Fremder wäre, sei es an ihm, sich zu unterwerfen (V. 7579–7587)! –, was Gawein abermals verweigert (V. 7588–7590). Vom Kampf mit Lanzen und Schwert wechseln beide zum strît mit Worten. Noch bevor König Artus den Ausgang des Gerichtskampfes festsetzen kann, verfangen sich Gawein und Iwein wieder in paradoxen Stricken von affektiver Zuneigung und symbolischer Konkurrenz, wem scham und êre zuzuschieben seien.15 Wieder werden dadurch soziale Bezüge durch schwierige Negationen vervielfältigt: hie was zorn âne haz (V. 7642).16 Trotz solcher Beteuerung aber spiegelt das Wortgefecht zwischen Iwein und Gawein, wie das Wissen um Nähe nur neuerlich befeuert. Und wie in zahlreichen Zweikämpfen zieht auch Hartmanns Freundschaftskampf noch in seinem Nachgefecht auffällig lange Schleifen, wie der Erzähler hervorhebt: sus werte under in zwein / âne lôsen lange zît / dirre friuntlîche strît (V. 7590–7592). Betrachtet die Iwein-Forschung den Kampf gemeinhin als beendet,17 könnte man also geradezu umgekehrt sagen: Sobald sich die Freund-Feinde erkennen, wächst der Streit über den regulierenden Rahmen des rituellen Waffengangs hinaus.
Die ausgeprägten Metakommentare der gesamten Passage unterstreichen, dass es dem Roman gezielt auf diese Schleifenkonstruktion von Innerem und Äußerem, erzählter Interaktion und Wettkampfkommunikation ankommt. Hartmann nutzt dabei das mehrfache Strukturierungspotential der Herzmetapher zwischen religiöser und körperlicher Semantik, um konträre Emotionen in räumliches Nebeneinander zu überführen (in Hartmanns Worten: minne bî hazze zu lagern, V. 7019 und 7024). Oder formal zugespitzt: Einschluss wird möglich, der doch Differenz garantiert; Subordination im Innenraum und Koordination im Nebeneinander werden kombinierbar.
Die Mikropoetologie der Herzmetapher eröffnet einen besonderen Zugang zur Wettkampfstruktur des Iwein, weil sie eine besondere Arbeit an interner Differenz zu erkennen gibt. Dies bestätigt auch ein kurzer Blick auf Hartmanns Vorlage. Zwar prägt schon Chrétiens de Troyes Yvain die Behältermetaphorik vor: Beim Kampf der Freunde fänden Liebe und Hass wundersamerweise in einem Gefäß (veissel) zusammen wie in einer Herberge (ostel) mit vielen Räumen und Geheimkammern (chanbre celee).18 Chrétiens Raumvergleich ordnet die Oppositionsbeziehung so zwar nebeneinander und unzugänglich, doch erst Hartmann deklariert diesen Raum als Innenraum des Herzens und modelliert damit Einlagerung, die als labil ausgewiesen wird. Entsprechend stärker prägen die deutsche Bearbeitung dynamische Wechsel von Ein- und Auslagerung: Während Chrétien die Paradoxie des Widerstreits in der Erzählerstimme bündelt und argumentativ entfaltet,19 lässt sie Hartmann von der Außenhandlung (Rechtsstreit der Schwestern, Gerichtskampf der unerkannten Freunde) ins Subjektinnere (Herzmodell) und wieder zurück in den Raum äußerer Wahrnehmung wandern (Unterwerfungsdialog). Auch Chrétien erzählt vom Waffen- und Rededuell der Freunde in Schleifen. Doch Hartmann ergänzt, dass dabei Aggressionen aus dem verborgenen Gefäß wieder heraufsteigen (V. 7491–7494). Erzählt der französische Roman vom Ehrproblem verwandter, gleichrangiger Artusritter mittels Wiederholungsstrukturen, so könnte man also zusammenfassen, zieht Hartmann diese Probleme in bzw. aus der Latenz. In beiden Fällen erhält die Episode sowohl dank ihres Umfangs wie ihrer erzählerischen Gestaltung große Aufmerksamkeit. Sie kann daher als eine Schlüsselszene gelten, die dreierlei offenlegt:
(1.) In erster Linie verdeutlicht sie die fortgesetzte Komplexitätsbildung des Wettkampferzählens: Zwar geben Rechtsstreit und Gerichtskampf die Unterscheidungslogik von Sieg und Niederlage und damit den Bedarf einer asymmetrischen Entscheidung vor, doch stößt dies allenfalls die Dynamik eines Zweikampfs an, der gleichsam unbegrenzt fortläuft und dabei Innen- und Außenrelationen ineinander übersetzt. Dass sich dieser Prozess nur unter größtem Aufwand und nur durch äußere Faktoren, nicht aber aus seiner eigenen Logik heraus unterbrechen lässt, zeigt der befremdliche Ausgang der Kampfzyklen. Gegliedert werden sie nur von Erschöpfungspausen, nicht durch ein formales Ende.20 Wie kann König Artus dann als Gerichtsherr jene Entscheidung herbeiführen, die der Rechtsfall der Schwarzdornschwestern nun einmal braucht (V. 7649–7652)? Artus stellt bekanntlich eine simple Falle, indem er jene Klägerin aufruft, die durch ir ubermuot das Erbteil ihrer Schwester unterschlage – und die Schuldige tappt prompt hinein, indem sie dem Aufruf folgt (V. 7660: ich bin hie). Auf den gesamten Roman betrachtet, fügt sich dieses Manöver in die Reihe sprachlicher Listen ein, die auf vorschnellen Zusagen beruhen. Was liegt also näher, als die Beweiskraft unbedachter Worte zu bestreiten, wie es die ältere sogleich Schwester tut?21 Artus aber verweist auf die Faktenlage des Gerichtskampfes: ez giht mîn neve Gâwein / daz er den sic verlorn habe (V. 7696f.), was alle anerkennen müssten. Ein eigenartiger Urteilsspruch: Hatte nicht Iwein dasselbe zuerst von sich behauptet? Und weshalb muss der Richter dafür an den Konsens der Verurteilten appellieren? Wenn Fangfrage und Verplappern der Beschuldigten den Gerichtskampf durch ein Trickmuster zu umgehen versuchen, indem sie sein Ergebnis völlig überflüssig machen, so legt die willkürliche Urteilsbegründung offen, dass der Gerichtskampf selbst gerade kein Ergebnis förderte. Seine Komplexität löst sich stattdessen in unscharfen Enden auf, die durch Taschenspielertricks nur kurz zu überdecken, nicht aber endgültig zu fassen oder festzustellen sind.22 Solche ›unscharfen‹ Enden prägen den Roman über den Gerichtskampf hinaus.23 Sie sind für die höfischen Ordnungsgaranten des Romans von größter Bedeutung, weil Artus aufgrund ihrer Unschärfe den Gerichtskampf zwischen Iwein und Gawein zugleich als überflüssig behandeln und als entscheidungsrelevant erklären kann.
(2.) Reflektiert wird dieser Umstand nicht. So eindringlich Erzähler und Figuren auch wünschen, aufzudecken und zu erkennen (V. 7370–7375,