Trotzdem wirft das Gestaltmodell ein brauchbares neues Licht auf das Kognition/Aktion-Problem, ohne die jahrhundertealte Debatte zu lösen, und es beantwortete im Laufe der Zeit einige Fragen, die vom psychodynamischen Modell übrig blieben und die zu beantworten der psychoanalytischen Theorie manche Schwierigkeiten bereitete. Nehmen wir Lewins »Feld«, wobei ein sich bewegendes Subjekt die verschiedenen wahrgenommenen Hindernisse und Möglichkeiten auf seinem Weg zu irgendeinem subjektiven Ziel mit Hilfe einer Gestalt-»Landkarte« in Beziehung setzt und das die bestmögliche Annahme einer optimalen Auflösung der zwei Bereiche – der »inneren« Welt der Bedürfnisse (und Möglichkeiten) und der »äußeren« Welt der Möglichkeiten (und Anforderungen) darstellt. Dieser interaktiven Sichtweise zufolge ist jede Handlung des Subjekts zumindest teilweise eine Reaktion auf wahrgenommene Bedingungen im Feld, die im Licht der eigenen Einschätzung dieser Merkmale in Beziehung zu den eigenen Zielen gesehen wird. Ein Zugang, eine Vermeidung, eine Transaktion, ein Widerstand, ein Versuch der Beeinflussung oder eine Modifikation des Umfeldes – jede einzelne mögliche Handlung ist eine Anpassung des Subjekts in Beziehung zu seinen eigenen wahrgenommenen Bedürfnissen und Zielen und zu der »Landkarte«, die es konstruiert hat und ständig weiter konstruiert. Wenn man diese Landkarte irgendwie verändert, erhält man ganz eindeutig eine entsprechend andere Anpassung, einen anderen Handlungsverlauf seitens des Subjekts. Das heißt, vom Modell her gesehen ist der wirkungsvollste Punkt für Verhaltensbeeinflussung die Karte selbst. Verhalten – sei es durch Zwang oder etwas sanftere Manipulation – zu beeinflussen zu versuchen, würde bedeuten, dass man eine Menge mehr Widerstand auf seiten des Subjekts hervorbringt, das natürlicherweise nicht auf irgendwelche wahrgenommenen Landminen treten oder irgendwelche lohnenswerte Stationen auf dem Wege, die auch auf dieser Landkarte (richtigerweise oder nicht) auftreten, überspringen möchte. Und je bedeutsamer das entsprechende Verhalten ist, desto mehr Widerstand können wir vom Subjekt erwarten. Wir könnten also ganz entsprechend der Kritik Goldsteins an den frühen Arbeiten über Reflex und Wahrnehmung im Labor erwarten, dass ein »rein verhaltensmäßiger« Ansatz, Veränderung auszulösen, positive und nachhaltige Ergebnisse zeigt – da in gewisser Weise im Labor nichts auf dem Spiel steht. Aber unter komplexeren und herausfordernderen, vielleicht sogar bedrohlichen Bedingungen des »realen Lebens« würden diese Konditionierungseffekte wahrscheinlich missachtet werden, wenn man nicht die Risiken, Einsätze und Belohnungen auf der topologischen Karte des Subjekts selbst berücksichtigte, das heißt sein eigenes Verständnis des Feldes, wie es wahrgenommen und eingeschätzt wird und in welchem das konditionierte Verhalten angenommenerweise gezeigt werden sollte. Wenn Goldstein also richtig liegt, dann müsste die Organisation des Verhaltens der Person und ihrer Welt wenigstens in vielen Fällen die Trainingseffekte eines rein behavioristischen Ansatzes überlagern. (Natürlich gibt es so etwas wie einen »rein verhaltenstheoretischen Ansatz« nicht, wie die Gestalttheorie selbst nachweisen kann. Das heißt, es gibt keine Möglichkeit sicherzugehen, dass die Person im Prozess der »direkten« Beeinflussung durch zufällige Verstärkung nicht auch gleichzeitig ihre eigene »Landkarte« im Licht dieser neuen Erfahrungen neu organisiert. Im Gegenteil, dieser Ansicht nach muss genau dies geschehen.)
Wenn wir die gleiche Angelegenheit in einer nicht an Lewin orientierten Sprache (aber immer noch in Gestaltbegriffen) formulieren, könnten wir sagen: Die Person tendiert per Definition immer zu einem optimalen dynamischen Gleichgewicht im Umfeld (ganz gleich, ob dies Spannungsreduktion oder Spannungsanstieg bedeutet). Das ist nur eine andere Art und Weise zu sagen, dass sie dazu neigt, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Dieses Gleichgewicht, das das »bestmögliche unter vorherrschenden Bedingungen« ist, hängt ab von der dynamischen Beziehung (oder der Wahrnehmung der Person von dieser dynamischen Beziehung) zwischen den eigenen Bedürfnissen und ihrer Auflösung des Feldes durch die Wahrnehmung – das heißt ihrer »Gestalt«. Diese »Gestalt« ist wiederum eine »organisierte Konfiguration der Bewusstheit« (Koffka 1935). Handlung im Feld ist also, wie oben dargestellt, eine Reaktion oder eine Anpassungsleistung zur Korrektur eines Ungleichgewichts zwischen den wahrgenommenen Bedürfnissen und den wahrgenommenen Bedingungen im Feld/der Gestalt/der strukturierten Bewusstheit. Versucht man also, diese Bewusstheit zu verändern, dann verändert man die daraus folgende Handlung, da die Handlung letztlich eine Reaktion auf diese Bewusstheit ist. Der effektivste »Druckpunkt« für die Einleitung von Veränderung in der Psychotherapie oder sonstwo scheint also nicht die Handlung, nicht das betreffende Verhalten selbst, sondern die Bewusstheit zu sein. (Selbst »strukturelle« oder direktive Therapien erkennen diesen entscheidenden Punkt an, da ihre Intention darin besteht, dass das angeleitete neue Verhalten den wahrgenommenen Wert oder die erwarteten Konsequenzen solchen Verhaltens ändern sollte – und das heißt, man ändert den Grund oder die »Landkarte der Bewusstheit«. Offensichtlich wäre eine Verhaltensänderung, die diesen Effekt auf die Organisation oder die »Verkartung« nicht hat, eine einmalige Angelegenheit.
Bewusstheit ist geradezu per Definition niemals vollständig; in gewisser Hinsicht ist es das, worum sich das Gestaltmodell dreht. Zunächst einmal hat eine Selektion stattgefunden, wobei mögliche wichtige Elemente oder Merkmale des Feldes ausgelassen oder nicht in den Vordergrund gebracht wurden. Zweitens hat der Prozess oder Akt der Organisation durch die Per son selbst die relativen »Werte« verschiedener Merkmale verändert – auch derjenigen, die bewusst wahrgenommen wurden. Diese »Elemente« zu verändern, indem man die Aufmerksamkeit auf vernachlässigte Bereiche lenkt, neue Informationen zum Tragen bringt, die »Valenz« verschiedener Elemente des Bildes neu einschätzt oder die Beziehungen zueinander verändert, bedeutet, dass man die Bewusstheit, die konfigurale Auflösung selbst verändert und dabei wiederum die Möglichkeit eines veränderten Verhaltens in Anpassung zu dieser veränderten subjektiven Realität eröffnet.
Einiges des oben Gesagten mag selbstverständlich erscheinen, aber trotzdem ist es weit entfernt von den verschiedenen gewaltsamen, ermahnenden oder vorschreibenden Ansätzen, die wahrscheinlich die meisten Anstrengungen für die Einleitung von Veränderungen während unserer gesamten Geschichte kennzeichnen – und damit zweifellos auch weit entfernt von großen Bereichen der psychoanalytischen Praxis, wenn nicht sogar der Theorie während ihrer gesamten historischen Entwicklung (vgl. Bergler 1956, der repräsentative Beispiele für das Konzept der »Interpretation als stumpfes Instrument« bringt, das zumindest in einigen psychoanalytischen Zentren zur Zeit von Goodman und Perls weit verbreitet war). Bei der Erörterung einiger Auslassungen und Verzerrungen im von Goodman und Perls 1951 ausformulierten Modell in den folgenden Kapiteln muss man sich des psychotherapeutischen Klimas, auf das sie dabei reagierten, bewusst sein.
Gleichzeitig trägt dieses »vernünftige« Modell einiges dazu bei, die Psychoanalyse für sich selbst und auch für uns zu erklären. Das heißt, Freuds Methodologie der Psychotherapie gründet sehr stark auf Interpretationen, also auf der Reorganisation der festen Strukturen des Denkens und Fühlens in der Person und der Kontaktaufnahme mit andere Menschen (und keineswegs auf der Assoziationspsychologie, wie Perls später behauptete. Perls missverstand offensichtlich den Begriff »freie Assoziation«, der natürlich im Freudschen Modell überhaupt nicht als frei verstanden wird, sondern als dynamisch, nicht nur assoziativ verbunden mit den fraglichen Problemstrukturen, den »zu rigiden« Gestalten des