Am Äquator. Isolde Schaad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Schaad
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783857919671
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Meister hat den androgynen Leib mit einem fast megärenhaften Gesichtsausdruck verlinkt. Ihr wissendes Antlitz, ihre entschlossene Mimik sollen die Entblössung des Körpers vor falschem Zugriff der Zungen bewahren, vor den gelehrten Vielwisserzungen. Das war sein vordergründiger Eindruck. Nicht falsch, das nicht, aber die Quelle dieses Bildes liegt woanders. Hodlers Wandlung vom Verführer zum Beschützer seiner Modelle hat er im Verlauf seiner langjährigen Nahinspektion am Werk studieren und ergründen können. Der Restaurator hat sich diese Haltung angeeignet, er ist der Bodyguard der Bilder, nicht ihr Staatsanwalt.

      Auf einmal war ihm klar, was er doch längst wusste. Als er im Tram sass und eine Übernächtigte einstieg. Sie war struppig und halbnackt, klapperte mit ihren rotangelaufenen Fingern. Sie würde, fürchtete er, von den bekifften Youngsters im Tram fertiggemacht werden. Doch die Jungen rückten wortlos beiseite und machten ihr Platz. Voilà.

      Es heisst, Hodler habe mit seinem Motiv womöglich die Dreyfus-Affäre verarbeiten müssen, und zu allem Unfug wollen jetzt Experten im Modell Hodlers Frau Berthe gesehen haben. Möglich, dass Berthe die Figur inspiriert hat, sie sei ja cheibe mager gewesen. Nun ist Malerei auch Metamorphose, genau das beweist dieses Gemälde.

      Darauf sieht man ein Mädchen stehen, und das ist von einer Ehefrau weiter entfernt als eine trächtige Kuh von einer Haselmaus. Der Maler, und notabene auch er, der Restaurator, will in ihr eine Unschuld erblicken, oder eine Wilde, was vom ontologischen Standpunkt her auf dasselbe hinausläuft.

      Sie mag – für die Buchführung – eine Allegorie auf das Unrecht sein, die Blossstellung der Wahrheit mit dem Rücken zum anrückenden Femegericht. Wer aber mit ihr sechs Monate verbracht hat, in intimer Nähe gelebt, muss diese Auffassung verwerfen.

      Sie ist zu weit hergeholt, zu abstrakt. Es geht hier direkt um das Leben des Mädchens, und nicht um einen jüdischen Oberst, der fälschlicherweise verurteilt und auf eine Insel verbannt worden ist. Es geht darum, dass die Wahrheit dieses Gemäldes letztlich in seinen Leerstellen besteht.

      Es ist Zeit, sich von ihr zu verabschieden. Auf diesen Beschluss hin hat er sämtliche Pinsel gereinigt, die gebrauchten und die unbenutzten, und sämtliche Utensilien im Schrank versorgt und diesen Schrank abgeschlossen, der mehr enthält, als andere wissen. Er stand noch ein paar Minuten davor, dann ist er endlich gegangen, und halt, doch noch einmal zurückgekommen, für den prüfenden Kontrollblick, das Auge als Überflieger einer Bildtrunkenheit, die ihn befallen hat wie ein Siechtum.

      Als er an diesem Abend nach Hause kommt, es ist wieder nach Mitternacht, steht seine Frau in einem flauschigen Seidendress vor dem Badezimmerspiegel und schminkt sich ab. Der Flausch ist ihm neu, und er sieht, dass sie darunter nichts trägt. Dazu fallen Worte, die ihn noch mehr überraschen als der ungewöhnliche Aufzug.

      – Sag endlich, dass du eine Geliebte hast. Du kannst ruhig ehrlich sein. –

      – Du bist schön –, sagte er und nahm sie behutsam in die Arme. Sie war perplex.

      – Was ist nun? Deine Zärtlichkeit muss ja von irgendwoher stammen, sie ist mir vollständig neu. –

      Sie schien erfreut und tat zum ersten Mal etwas, was in einem Schlafzimmer der Arter-Dynastie wohl noch nie vorgekommen war. Sie liess den Dress vor seinen Augen fallen. Machte keine Miene, ihn aufzuheben, sondern schlüpfte in die Daunen. Das wirkte sehr geschickt, sodass er ebenfalls auf den Gedanken kam. Den er nicht aussprach. Er spürte, dass auch in ihrem Leben etwas vorgefallen und nun zu einem Ende gekommen war.

      Gleichzeitig war ihm klar, dass ihre Frage rein rhetorisch gemeint war. Sie war schon seit Jahren dermassen enttäuscht von ihm, dass sie überzeugt war von seiner Unfähigkeit, eine Geliebte zu halten, und das reizte ihn umso mehr.

      – Ja –, sagte er. – Du liegst richtig, ich habe jemanden gehabt. Und Schluss gemacht, definitiv. –

      Als er sie umschlang, versteifte sie sich merklich, sie schien dabei nicht sonderlich brüskiert.

      – Du willst mir bloss imponieren, nicht wahr? –

      – Nein –, sagte er mit einer Bestimmtheit, die sie zu frösteln schien.

      – Wie heisst sie? –

      – Das hätte ich gerne gewusst. Aber lassen wirs. Es ist endgültig vorbei. –

      Seine Frau löschte das Licht und drehte sich um.

      Binnen zwei Wochen wird die Wahrheit feierlich enthüllt vor einem geladenen Publikum stehen. Er wird nicht dabei sein. Er wird im Louvre sein. Oder im Quai d’Orsay Courbets Origine du monde anschauen, ganz privat. Stille Andacht, keine Inspektion, er kennt jenes Bild aus dem Effeff. Er ist berufshalber ein Voyeur und hat kurz etwas mit dem Hodlermädchen gehabt. Ob das die Wahrheit war? So viele Gefühle aufs Mal hat er noch nie gehabt.

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