Ich bewunderte ihn. Peter ging schon auf die Oberschule und war so ein lässiger Typ. Ich hätte mich in ihn verlieben können, aber ich wusste, er hatte eine Freundin, die ihn manchmal abholte. Eine, die schon einen Busen hatte. Keine Chance.
Viele Jahre später traf ich ihn im Casino des Fernsehfunks in Adlershof. Peter war unterdessen ein bekannter Grafiker und Karikaturist. Für eine meiner »Tele-Lotto«-Sendungen hatte er die Karikaturen gezeichnet. Wir tranken Kaffee, erzählten von damals. Als ich ihm anvertraute, dass ich mächtig in ihn verliebt gewesen war, er aber gar nichts davon bemerkt hatte, meinte er nur: »Können wir das nicht nachholen?« Witzig war er früher schon.
Ich war in der FDJ und im Gruppenrat unserer Klasse für die Kultur zuständig. Für Radio Schwerin arbeitete ich als Schülerkorrespondentin, später auch als Sprecherkind.
Mein »Chef« dort, Horst-Dieter Hofmann, war Leiter des Arbeitertheaters »Kolonne Links«. Was lag also näher, als dass ich auch dort mitspielte!
Ich glaube, es war 1957, als ich in der 7. Klasse eine zweite Schwester bekam. Erika, eine meiner Freundinnen, fehlte eines Tages in der Schule. Auf meine Frage hin erfuhr ich, dass ihre Mutti verstorben ist. Mit drei anderen Mädels ging ich nach Schulschluss zu ihr. Ihr Opa öffnete uns und wir versuchten, Erika irgendwie zu trösten.
Zu Hause belagerte ich meine Mutti. Ich erzählte, was passiert war, und forderte: »Mutti, Erika kommt in ein Heim, das geht doch nicht. Dann ist sie weg, sie ist doch meine beste Freundin. Bitte, lass sie bei uns wohnen, bitte, bitte!«
Erika zog bei uns ein, und für mich begann eine unvorstellbare Zeit. Mutti schlief jetzt unten, im Wohnzimmer, Elke zog in die kleine Kammer, das Schlafzimmer gehörte fortan Erika und mir. Wir machten alles, wirklich alles, gemeinsam. Natürlich saßen wir in der Klasse nebeneinander. Das allerdings fand irgendwann sein Ende. Man setzte uns auseinander, weil wir auch in der Schulstunde nicht aufhörten zu quatschen.
Verrückt war, dass Erika und ich eigentlich völlig unterschiedliche Interessen hatten. Erika war sportlich, spielte Hockey, war ein Mathe-Ass. Besonders Letzteres war ja bei mir so gar nicht der Fall, aber was soll’s. Schwestern teilen nun mal alles. Erika und ich lebten das Leben von Zwillingen, keine war mehr ohne die andere anzutreffen. Wir benutzten nur eine Schultasche, die wir abwechselnd trugen. Sooft es ging, erledigte Erika meine Mathe-Aufgaben. Ich schrieb dafür ihre Aufsätze.
Das ging nicht immer gut, vor allem, wenn wir zu Arbeiten und später ganz auseinandergesetzt wurden. Wir lebten diese gemeinsame Schulzeit mit so viel Freude in vollen Zügen.
Meine »Schwester« Erika und ich
Gemeinsam begeistert waren wir von der Tanzschule. Ich sehe uns noch: Alle Mädchen saßen in einer Reihe. Uns gegenüber die Jungens. Dann hieß es: »Bitte auffordern!«
Die Jungens standen auf, verbeugten sich vor jeweils einem Mädchen und der Tanz begann. Ich zitterte jedes Mal, dass auch ich aufgefordert werde. Es waren zu viele Mädels, zu wenig Jungens. Ich hatte immer Glück, blieb nicht sitzen. Musste nicht mit einem Mädchen vorliebnehmen.
Zum Tanzstundenball wurden Erika und ich von unseren »Herren« von zu Hause abgeholt, ich bekam ein Veilchensträußchen. Erika und ich trugen wie so häufig das Gleiche. Ein herrliches, weißes Tüllkleid, mit Schärpe. Ich habe die schönsten Erinnerungen daran. Auch an diesen ersten Ball, bei dem natürlich auch die Mutti und Erikas Opa dabei waren.
Gemeinsam gingen wir auch zum »Rollschuh-Tanz«, das war eine Arbeitsgemeinschaft, die die Rollschuhe, die wir zum Üben brauchten, zur Verfügung stellte. Ich glaube, dort waren wir nicht sehr lange, denn ich erinnere mich mehr daran, dass wir im Tanzkursus für Fortgeschrittene landeten und bei gelegentlichen Auftritten auch den »Lipsi« vorführten.
Unser Tanzstunden-Abschlussball, Erika (2. v. r.) und ich (3. v. r.) mit unseren »Herren«
Elke war bereits seit zwei Jahren in Berlin und studierte Opernregie. Nach Beendigung der 10. Klasse ging Erika nach Meißen zum Ingenieurstudium. Der Zufall wollte es, dass auch Erika nach dem Studium in Berlin Arbeit fand. Sie heiratete, bekam zwei Söhne und natürlich hielten wir weiter den Kontakt. Sie konnte sich allerdings nie mit meiner Art zu leben anfreunden. Selbständig und in Unsicherheit, das war nichts für sie. Aber unsere Vertrautheit blieb immer bestehen. Erika hatte schon als Kind Schilddrüsenkrebs. Der kam leider zurück. Kurz vor ihrem Tod besuchte sie mich und brachte mir ein Kleid wieder, das sie für mich geändert hatte. Es war mir zu groß gewesen, sie hatte es passend gemacht. Darin hatte sie echt was drauf.
Ich hatte ihr im Gegenzug einige Bücher mitgegeben. Lieblingsbücher, die ich immer anderen aufdrängle. Jenes Kleid ist mir schon lange zu eng geworden. Aber ich hebe es auf. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, es wegzugeben.
Anders als Erika und Elke blieb ich weiter in Schwerin und spielte nach wie vor im Arbeitertheater »Kolonne Links«. Unser Repertoire war weitgefächert. Wir brachten Stücke von Bertolt Brecht bis Hans Sachs zur Aufführung. Hans Sachs’ Schwänke und Jahrmarktstücke spielten wir auf einem alten Planwagen. Aber wir inszenierten auch Anne Frank.
Unser Planwagen von »Kolonne Links«, ich als Kammerzofe (l. u.)
Pause am Fenster
Wir waren eine verschworene Truppe und ich erinnere mich, dass wir im Sommer 1961 zu sechst gemeinsam Urlaub an der Ostsee machten. Wir fuhren nach Bad Doberan, wo wir, wie ich es einst im Kinderheim erlebt hatte, auf einem herrlichen Heuboden nächtigten. Ich zählte jeden Morgen die Spinnen an der Decke. Stimmte ihre Anzahl, war alles okay. Wenn nicht, hätte ich wirklich das gesamte Heu nach ihnen abgesucht? Ich hatte Glück, meine Spinnen waren brav.
Mitten in unserem Urlaub erreichte uns am 13. August die Nachricht, dass in Berlin eine Mauer gebaut worden war. Wir sollten umgehend nach Schwerin zurückkehren. Das machten wir, und am nächsten Tag gingen wir mit einem Agitprop-Programm auf die Straße. Wir sangen: »Willy Brandt, wohlbekannt, wurde weiß, wie ’ne Wand. Sagte Schockschwerenot, Klappe zu, Affe tot. Da sprach der alte Häuptling der Indianer, wild ist der Westen, schwer ist der Beruf.«
Berlin war so weit weg – was da so richtig passiert war, wir hatten keine Ahnung davon.
Über das Arbeitertheater hatte ich mich an der Leipziger Theaterhochschule beworben. Dort war allerdings gerade Aufnahmestopp, ich wurde auf das nächste Studienjahr vertröstet.
Also blieb ich in Schwerin und absolvierte mein »praktisches Jahr« im VEB »Vorwärts«, einer großen Autoreparaturwerkstatt. Ich hatte keine Ahnung von Autos, aber neugierig und wissbegierig, wie ich nun mal bin, schnappte ich schnell einiges auf und konnte den Kunden bei der Annahme behilflich sein. Na ja, wie man’s so nimmt …
Nachdem ich einmal gehört hatte, wie ein Kollege zu einem Kunden sagte: »Das wird das Chassis sein«, übernahm ich diese Redewendung prompt. Chassis – dieses Wort gefiel mir außerordentlich. Wenn nun ein Kunde kam und meinte: »Da klappert was«, nickte ich nur wissend und sagte: »Das wird das Chassis sein, kommen Sie mit, ich bringe Sie zum Meister.« Ich fand mich toll.
Mutti hatte eine Anstellung in Kleinmachnow bei Berlin angenommen. Da ich noch in Schwerin blieb, hatte Mutti mit der Glaserfamilie Bolze alles abgesprochen. Sie wurden quasi meine Pflegeeltern. Ich war siebzehn, also sollte es