Das Erbe der Macht - Band 31: Splitterzeit. Andreas Suchanek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Suchanek
Издательство: Bookwire
Серия: Das Erbe der Macht
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783958344549
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Wange hinab, vermischte sich mit seinem Blut am Boden.

      »Schaff ihn weg!«, sagte Chris.

      Kastoel kam näher.

      Kevins Kraft versiegte. Er ließ los und ergab sich der gnädigen Bewusstlosigkeit.

      Die Schwertspitze deutete auf Alex’ Hals. Eine falsche Bewegung, möglicherweise genügte es zu schlucken, und er würde sich selbst aufspießen.

      »Wer bist du?«, krächzte er.

      Die Schwertspitze sank herab. »Ihr wolltet den Nimag rächen. Das ist edel.« Die Stimme war die einer Frau. »Und dumm.« Das Schwert erlosch.

      Alex realisierte, dass es sich um manifestierte Essenz gehandelt hatte. Doch die Oberfläche des Materials war so echt gewesen, dass er niemals damit gerechnet hatte. »Ja, das sind wir. Dumm, aber total edel.«

      Jen neben ihm stöhnte auf. »Ich hatte vergessen, dass du in Erstkontaktsituationen immer die richtigen Worte findest. Was er eigentlich sagen wollte …« Sie verstummte.

      »Jetzt fehlen dir ebenfalls die Worte, tja. Also, wir kommen in Frieden«, stellte Alex in Richtung der Ritterlady klar. »Und wir verhalten uns gegenüber Nimags respektvoll. Immerhin waren wir selbst auch mal welche.«

      Die Ritterlady trat einen Schritt zurück. »Ihr wart … Was bedeutet das?«

      Jetzt war es an Alex, verblüfft zu sein. »Nun ja, du weißt schon: grünes Licht und puff, schon wirbelte der Zauberstab.«

      »Kannst du bitte einfach still sein«, bat Jen mit einem überaus süßen Lächeln. »Er will damit sagen, dass wir als Erben erwählt wurden, und das ist noch nicht so lange her, als dass wir moralisches Handeln vergessen hätten.«

      »Hat euch ein entflohenes Sigil erwählt?«, fragte die Ritterlady. »Ihr wurdet nicht im Institut vereint und zugewiesen?«

      Vermutlich sagten ihre verwirrten Blicke alles, denn die Ritterlady nickte. »Deshalb wisst ihr nichts über die magische Welt. Es ist ein Wunder, dass ihr noch am Leben seid. Eure Geschichte wird jenen unter uns Hoffnung geben, die den Kampf für sinnlos halten.«

      Sie beugte sich zu dem Toten hinab und zog ihm den Siegelring vom Finger. »Den brauchen wir.«

      »Wieso gab es kein Auraf…« Alex räusperte sich. »Ich meine, sterben Magier immer so ganz ohne Effekt?«

      In der alten Gegenwart hatte ein toter Magier sich in ein Feuerwerk verwandelt, oder genauer: ein Aurafeuer. Das Sigil war dorthin zurückgekehrt, woher es gekommen war, um sich dann einen neuen Erben zu suchen.

      »Es spielt keine Rolle, wie der Körper sein Ende findet«, erklärte die Ritterlady. »Das Sigil erlischt.«

      »Erlischt«, hauchte Jen.

      »Es wurde gefangen und ohne Wahlmöglichkeit im Institut verschmolzen«, ging die Erklärung weiter. »Auf diese Art erhalten die hohen Familien ihre Erblinie. Auch ihre Kinder, die ohne magische Fähigkeiten geboren werden, bekommen so magische Kräfte. Doch das Sigil erlischt mit dem Ende des Zwangs.«

      Diese neue Zeit gefiel Alex immer weniger, und er begann, den Sinn im Wall zu verstehen. Mochte die Grundidee auch die von Merlin gewesen sein, so hatte sie den Nimags doch ihre Art zu leben bewahrt. Sie hätten den Wall ebenfalls zerstören müssen, wenn Kevin es nicht in der Vergangenheit getan hätte. Doch das hätte einen stillen Wandel voller Respekt einleiten sollen.

      Das war jetzt hinfällig.

      »Wir müssen gehen«, sagte die Ritterlady. »Sein Tod wird nicht unbemerkt bleiben. Nimags können zuhauf sterben, aber wenn es einen Magier trifft, der zu den Hohen Häusern gehört, beginnt eine Hetzjagd.«

      Die Unbekannte eilte zum Ende der Gasse. Alex und Jen folgten dichtauf. Die Menschen ringsum wichen zurück, wirkten aber nicht verblüfft. Vermutlich waren sie daran gewöhnt, sich nicht in magische Angelegenheiten einzumischen. Nur nicht auffallen. Jedes falsche Wort konnte den Tod bedeuten.

      »Wohin gehen wir?«, fragte Jen.

      »Es war nicht leicht, sich in das Sprungnetzwerk einzufädeln«, kam es zurück. »Die anderen versuchen, die Passage offen zu halten, damit ich – oder jetzt wir – den Rückweg nehmen können. Falls das misslingt, wird es ein langer und beschwerlicher Weg. Wir müssten über das Meer und einige Landesgrenzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es uns glückt, ist gering.«

      Vermutlich gestattete Magie eine weitaus stärkere Überwachung, als das die Technik der modernen Welt leisten konnte.

      »Ist hier wohl nix mit Datenschutzverordnung«, sagte Alex leise.

      Ihm fiel auf, dass die Rüstung zwar nach außen hin rostig wirkte, aber geschmeidig über die Gelenke der Unbekannten glitt. Also war da wohl ebenfalls Essenz im Spiel. Der Helm bedeckte einen Großteil ihres Gesichts, ließ nur einen kleinen Bereich von Mund und Kinn frei. Das Profil wirkte irgendwie vertraut.

      Er wollte die Ritterlady gerade nach ihrem Namen fragen, als ein Wusch erklang.

      »Die Himmelsdämonen«, rief sie.

      Alex folgte ihrem Blick und erkannte Männer und Frauen, die mit Flügeln auf dem Rücken näher glitten. Sie trugen nur Stofffetzen am Oberkörper, dafür aber ebenfalls Schwerter in den Händen. Ihre Augen glühten.

      Die Ritterlady ließ ihr Schwert entstehen. Mit der linken Hand erschuf sie ein Symbol aus Essenz in der Luft. Die Flammen waren blassblau und erinnerten an Wasser. »Essentum Carnum Destrorum.«

      Die Flügel des Vordersten verloren ihre gefiederte Textur und wandelten sich zurück in Essenz, bevor sie erloschen. Mit einem Aufschrei fiel der Angreifer acht Meter in die Tiefe auf ein vorbeifahrendes Auto. Das Geräusch brechender Knochen erklang.

      »Diese Flügel sind auch aus Essenz«, hauchte Jen. »Genau wie bei Tyler.«

      Alex nickte schweigend. Es musste sich um Himmelskinder handeln, die hier, in dieser Gegenwart ohne Wall, ihre Flügel einfach realer wirken ließen. Er hatte die Handbewegung der Ritterlady betrachtet und sich das Symbol eingeprägt. Dank seiner Zeit auf der Traumebene, wo Alex Dutzende von Zaubern erlernt hatte, konnte er sich Essenzsymbole ausgezeichnet einprägen.

      »Schnell, weiter«, sagte sie. »Die anderen werden sich zu verteidigen wissen.«

      Sie sprinteten durch die Menge.

      »Es ist fast unmöglich, einen hohen Magier mit einem sichtbaren Zauber anzugreifen. Sie sind darauf trainiert, innerhalb von Sekunden eine lautlose Abwehr zu etablieren, eine Neutralisation. Aber die Himmelsdämonen besitzen keine Sigilringe. Trotzdem stellen sie sich auf jeden Angriff ein. Wechselt am besten so häufig wie möglich die Angriffszauber.«

      Die Ritterlady schupste ein paar Nimags beiseite und deutete nach vorne auf eine Wand, die mit Graffiti verschönert worden war. »Das Portal ist noch offen, lauft einfach auf diesen rosa Donut zu.«

      Im Geiste sah Alex sich gegen besagten Donut springen, an der Wand abprallen und auf dem Boden landen. Das traurige Ende eines langen Kampfes.

      Gescheitert an einem rosa Donut.

      Die Geflügelten waren jetzt fast heran, ihre Schwertspitzen deuteten nach vorne. Eine der Flügelwesen war noch näher, ließ einen Unsichtbarkeitszauber fallen und attackierte die Ritterlady. Die Schwertspitze traf ihren Helm, der sich in flirrende Funken verwandelte und verging.

      »Nikki«, hauchte Alex.

      Sie taumelte, ging zu Boden. Jen war fast bei dem Donut, machte sich bereit zu springen. Ein Blick auf Nikki und sie stoppte.

      »Springt«, forderte diese.

      »Nicht ohne dich.« Alex ging in die Knie, packte sie unterm Arm und half ihr auf. Von ihrer Schläfe rann ein Blutfaden, das Schwert hatte sie erwischt.