Das Erbe der Macht - Band 31: Splitterzeit. Andreas Suchanek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Suchanek
Издательство: Bookwire
Серия: Das Erbe der Macht
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783958344549
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Das magisch erschaffene Metall war schartig und rau, die Oberfläche verschlissen. Doch das Schwert schien problemlos einen Magier durchbohren zu können.

      Haltlos kippte der Thronfolger zu Boden, spuckte noch einmal Blut und war dann eindeutig tot.

      Die Unbekannte blieb einfach stehen. Jen spürte den Blick auf sich ruhen.

      »Und jetzt zu euch«, kam es drohend unter dem Helm hervor.

      Ein Blutstropfen löste sich von der Klinge und fiel zu Boden.

      Kevin erwachte ruckartig und ging sofort in Abwehrposition.

      Im nächsten Augenblick realisierte er, dass dies unnötig war – und nutzlos. Er befand sich in einem kleinen Raum ohne Fenster, neben ihm am Boden lag Artus.

      Mit einem Satz war Kevin bei ihm und befühlte seinen Puls. Der Unsterbliche war bewusstlos, seine Brust hob und senkte sich jedoch regelmäßig.

      Das einzige Licht kam von irgendwo hinter den Wänden. Deren Material war halb durchsichtig. Damit erhielt der sonst karge Raum, in dem es außer zwei Liegen nichts gab, eine warme Atmosphäre. Eine Tür gab es nicht.

      »Wo sind wir jetzt nur wieder gelandet?«, fragte sich Kevin.

      Er benötigte drei Schritte, um von einer zur anderen Seite des Raumes zu gelangen. Der Gedanke, dass sie hier für längere Zeit eingesperrt bleiben würden, behagte ihm gar nicht.

      »Hallo!«, rief er.

      Kameras waren nicht zu sehen, doch beim Einsatz von Magie war das auch nicht nötig. Falls sie von Magiern gefangen genommen worden waren, fragte er sich jedoch, wieso sein Essenzstab noch immer bei ihm war. Er fixierte die Symbole von Alex und Jen auf dem Whisperband, doch es kam kein Kontakt zustande.

      Vermutlich war das auch besser so. Die beiden hätten eigenhändig einen neuen Immortalis-Kerker geschaffen und ihn hineingeworfen.

      Unweigerlich richteten sich seine Gedanken auf die Ereignisse in Alicante. Er hatte tatsächlich den Wall zerstört. Mit einem einzigen Zauber, den er Artus auf die Lippen gelegt hatte, war das Artefakt zusammen mit Merlin darin vernichtet worden. Das hier war eine neue Zukunft. Eine, in der Chris am Leben war; er es einfach sein musste.

      Die Reise hierher war endlos gewesen und ebenso grauenvoll. Die zerbröselnden Statuen, neu geformte Zeit, veränderte Geschichte. Er hatte gespürt, wie die Zeit selbst gelitten hatte. Da war echter Schmerz durch seinen Körper geschossen, ein Widerhall dessen, was die Linie allen Seins empfand.

      »Irgendwo hier ist Chris«, flüsterte er.

      Im Augenblick der Zerstörung hatte er sein ganzes Denken auf seinen Bruder gerichtet, hatte sich ihm genähert. Zumindest das hatte wohl nicht funktioniert.

      »Schauen wir uns einfach um.« Kevin hob seinen Essenzstab. »Potesta Maxima.«

      Die gute Nachricht war, dass der Wall eindeutig nicht mehr existierte. Die Essenz wurde nicht abgeschöpft, er besaß stärkere Magie. Die schlechte war, dass der Kraftschlag bereits im Flug erlosch. Einfach so.

      »Was …?«

      Kurzerhand zeichnete er ein weiteres Symbol in die Luft. Die Essenz loderte rot. »Destrorum Absolutum.«

      Nichts geschah. Der Zauber der absoluten Zerstörung hatte wie zuvor der Kraftschlag auf einen Teil der Wand abgezielt. In den Wänden musste es einen Dämpfungsmechanismus geben. Eine Art Permanentzauber, ermöglicht durch beständige Zufuhr an Essenz mittels Bernstein oder eines Artefaktes.

      Er musste sich vergegenwärtigen, dass ohne den Wall eine Menge anders gelaufen war. Das betraf die Anwendung von Magie ebenso wie die Strukturen der magischen Welt. Falls der Rat irgendeine Art Schutzmacht aufgebaut hatte, die auch Zeitsprünge lokalisieren konnte, waren sie möglicherweise in Bedrängnis.

      Als Kind hatten Chris und er alle möglichen Bücher verschlungen, in denen Autoren-Magier fiktive Szenarien eines unterschiedlichen Verlaufs der Geschichte skizziert hatten. Seine Granny stand da eher auf Krimis, in denen gewitzte Detektiv-Magier Verbrechen aufklärten. Seine Eltern … Der Gedanke brachte zu viel Schmerz mit sich. Doch auch sie mussten am Leben sein, anders konnte es Chris nicht geben. Und laut Moriarty gab es sie beide immer.

      »Okay, ruhig bleiben.« Er atmete langsam ein und wieder aus. »Chris ist hier irgendwo. Und Mum und Dad ebenfalls. Eins nach dem anderen.«

      Er kehrte zurück zu Artus und wob ein Heilungssymbol auf dessen Körper. »Sanitatem Corpus.«

      Der Zauber detonierte und warf Kevin durch den Raum gegen die Wand. Aufkeuchend stürzte er herab. Sekundenlang drehte sich alles, er musste sich wieder setzen. Was auch immer mit Artus während der Passage zurück in die Gegenwart geschehen war: Auf diese Art konnte Kevin ihn nicht aufwecken.

      »Ausbruch sieht also schlecht aus«, murmelte er. »Und Artus ist erst mal aus dem Spiel. Hilferufe kommen nicht durch.«

      Innerlich musste er sich zurückhalten. Er gierte nach Wissen und war doch machtlos.

      »Also, falls irgendjemand dort draußen zuhört, mein Name ist Kevin Grant und es ist keine gute Idee, mich hier festzuhalten!«

       Ein Teil der Wand – etwa von der Größe einer Tür – wurde zu einer Nebelfläche und verpuffte.

      »Okay, das war einfach.« Er erhob sich.

      In der Tür erschien ein schlanker, hochgewachsener Mann. Sein braunes Haar ging ihm bis zum Nacken, der nackte Oberkörper war übersät mit Tätowierungen. Alles magische Symbole, die Halbkreise auf seiner Haut bildeten. Die untere Hälfte des Körpers steckte in einer Art Rüstung, in der rechten Hand hielt er ein Schwert aus Essenz; seine Augen glühten.

      »Du wirst nicht mit diesem Stab herumfuchteln und mich dazu zwingen, dich zu bändigen?« Seine Stimme war auf eine verführerische Art rau und dunkel.

      Kevin war verblüfft über seine Gedanken, räusperte sich und setzte eine grimmige Miene auf. »Kommt drauf an, ob du mit deinem Schwert herumfuchtelst.«

      Der Fremde kam näher. Erst jetzt sah Kevin die Flügel auf dessen Rücken. Sie ähnelten in der Struktur jenen von Tyler, bestanden aber nicht aus Essenz. Die Textur wirkte wie echte Federn.

      »Ich bin Kastoel«, sagte der Geflügelte. »Sei froh, dass du bist, wer du bist. Andernfalls würde ich dir zeigen, wie ich mit diesem Schwert herumfuchtele.«

      Kevin hängte seinen Essenzstab an die Gürtelschlaufe und verschränkte die Arme.

      Kastoel betrachtete ihn ein paar Sekunden, dann erlosch das Leuchten seiner Augen abrupt, das Schwert löste sich auf. »Mut hast du, das gebe ich zu. Trotzdem halte ich dich für eine geschickte Täuschung. Genau wie diesen.« Er nickte in Richtung Artus. »Aber sei es, wie es ist. Der Höchste will dich sehen.«

      »Wer?«, fragte Kevin im Reflex.

      Kastoel zuckte zusammen, entspannte sich jedoch direkt wieder. »Richtig, du warst bewusstlos. Aktuell befindest du dich in New York.«

      Womit er wohl davon ausging, dass die Identität dieses Höchsten Magiers automatisch geklärt war. Kevin konnte keinesfalls nachfragen, ohne seine Unwissenheit zu offenbaren. Allein die Tatsache, dass es eine Art von Himmelswesen in New York gab, deutete auf massive Veränderungen hin.

      Zum ersten Mal seit der Zerstörung des Onyxquaders und damit des Walls spürte Kevin tief in seinem Inneren ein vertrautes Gefühl. Schuld. Doch er schob alle Gedanken beiseite, die damit einhergingen.

      »Es ist, wie es ist«, sagte er leise.

      »Eine gute Portion Pragmatismus ist zweifellos angebracht«, sagte Kastoel. »Nur wenige, die dem Höchsten Magier von Nordamerika gegenübertreten, verlassen seine Gemächer mit einem Lächeln.«

      »Von Nordamerika«,