Besonders gefährdet durch terroristische Anschläge und militärische Auseinandersetzungen sind atomare Anlagen und Atomtransporte, ob auf dem Wasser, zu Lande oder in der Luft. Nach dem 11. September 2001 gab es konkrete Hinweise darauf, dass Terroristen auch Anschläge auf westliche Atomanlagen geplant hatten. Die AKWs in den USA und einigen westeuropäischen Ländern wurden daraufhin für mehrere Tage bis Wochen heruntergefahren.
Der Neujahrstag 2006 lieferte ein anschauliches Beispiel dafür, wie es zu einer Unterbrechung unserer scheinbar sicheren Öl- und Gasversorgung kommen könnte. Für zwei ehemalige Sowjetrepubliken, das Kaukasusland Georgien und die Ukraine, begann das Jahr 2006 mit einer Gasversorgungskrise. Während die russische Lieferfirma Gazprom der Ukraine den Gashahn zudrehte, weil diese den sprunghaft erhöhten Preis für russisches Erdgas nicht zahlen wollte, beschädigten oder zerstörten fast zeitgleich drei Sprengstoffexplosionen die wichtigsten Versorgungsleitungen, die von Russland aus Richtung südlicher Kaukasus liefen. Die russische Gasversorgung für Armenien und Georgien wurde damit vollständig unterbrochen. Hinzu kamen Sabotageakte an einigen wichtigen Überlandleitungen in Georgien selbst, sodass die Hauptstadt Tiflis und weite Landesteile während der kältesten Wintertage nicht beheizt werden konnten. Universitäten und Schulen blieben geschlossen. Das wirtschaftliche Leben kam weitgehend zum Stillstand, da Produktionsanlagen nicht betrieben werden konnten. Während das mit Russland politisch verbündete Armenien den Engpass mit eigenen Gasvorräten überbrücken konnte, gelang es Georgien nur dank eilig abgeschlossener Lieferverträge mit Aserbaidschan und dem Iran, die Versorgung der eigenen Bevölkerung nach mehreren Wochen wiederherzustellen. Bis heute bleibt unklar, ob islamische Separatisten, kriminelle Organisationen oder der russische Geheimdienst hinter der Anschlagserie standen. Die georgische Regierung beschuldigte den russischen Geheimdienst der Sabotage mit dem Zweck, das Land im Streit um die Separatistenrepublik Südossetien unter Druck zu setzen. Gut ins Bild passt außerdem, dass die russische Energiewirtschaft plant, sich massiv in Georgien einzukaufen. Georgien geriete so dauerhaft in die Abhängigkeit russischer Staatsbetriebe und damit des Kreml.
Der Konflikt zwischen Russland und Georgien hat auch eine überregionale Dimension. Um sich gegen Russlands regionale Dominanz zu wehren, möchte Georgien, so schnell es geht, der NATO beitreten. Die USA unterstützen die Regierung Saakaschwili in diesem Anliegen. Schließlich wurde in den vergangenen Jahren mit amerikanischer Unterstützung eine wichtige Ölpipeline vom Kaspischen Meer durch Georgien – und an Russland vorbei – in die Türkei gebaut. Die europäischen NATO-Partner sind skeptischer, wollen in die regionalen Konflikte im Kaukasus nicht hineingezogen werden und sind an einem Konfrontationskurs mit Russland, ihrem Hauptgaslieferanten, keinesfalls interessiert.
Öl- und Gaspipelines verlaufen oft über lange Strecken durch kaum besiedeltes und deswegen nur mangelhaft überwachtes Gebiet. Viele der wichtigsten Pipelines, ob im russischen Osten, den chinesischen Provinzen Tibet und Xinjiang, im südlichen Tschad oder im Norden des Irak, verlaufen durch Krisen- und Kriegsregionen. Die Gefahr von Terroranschlägen durch Rebellengruppen und separatistische Bewegungen ist also nicht von der Hand zu weisen, und die Wiederherstellung zerstörter Pipelines und Energieversorgungseinrichtungen ist nicht nur langwierig, sondern auch teuer. Ist der Schaden erst einmal angerichtet, so dauert es auch nach Beendigung der Kampfhandlungen oftmals erhebliche Zeit, bis der vorherige Zustand wieder hergestellt ist. Die iranische Ölindustrie leidet immer noch an den Folgen des Krieges gegen den Irak in den achtziger Jahren. Im Irak selbst brach die Ölproduktion nach dem Sturz Saddam Husseins zusammen und kommt erst mühsam wieder auf die Beine. Während des Kosovokrieges versuchte die NATO, bei ihren Luftangriffen die Energieinfrastruktur Serbiens intakt zu lassen. Trotzdem führte die Zerstörung mehrerer Brücken durch Luftangriffe dazu, dass der Schiffsverkehr entlang der Donau über einen längeren Zeitraum lahmgelegt wurde. Der Treibstofftransport per Schiff wurde dadurch auch für benachbarte Staaten wie Ungarn unterbrochen.
Auch der Transport von Öl und zukünftig Flüssiggas per Schiff über See birgt Gefahren. Während des iranisch-irakischen Krieges in den achtziger Jahren beschossen beide Seiten regelmäßig auf dem Persischen Golf verkehrende Tankschiffe, auch wenn sie unter neutraler Flagge fuhren.
Im unmittelbaren Radius des Krisenherdes Nahost befinden sich die Seefahrtsstraße von Hormuz, über die Öltanker aus dem Irak, Saudi-Arabien, Iran und Kuwait den Persischen Golf verlassen, sowie die wichtigste Schifffahrtsroute der Welt, der Suez-Kanal. Über 80 Prozent der japanischen und koreanischen sowie die Hälfte der chinesischen Ölversorgung gehen über die Straße von Malakka, eine Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia. Alle diese Schifffahrtsrouten werden von der US-Flotte überwacht. Die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch das britische Empire als Polizist der Weltmeere abgelöst. Andere Länder, die ebenfalls von Ölimporten aus dem Nahen Osten abhängig sind, beispielsweise China, sehen diese dominante maritime Rolle der USA mit Unbehagen.
Die Europäische Kommission stellte – in einer nicht veröffentlichten Studie zur Vorbereitung ihres Grünbuchs Energie – deswegen besorgt fest: »Die Konkurrenz mit Japan um Öl und Gas aus dem Persischen Golf und Russland wird zukünftig härter werden. Japan und China werden ihren maritimen Versorgungsrouten mehr Aufmerksamkeit widmen und ihre Marine in der Region einsetzen. Auch Indien wird stärker in den Konkurrenzkampf um diese Ressourcen eintreten und mit seiner Marine Einfluss auf die Region nehmen.«
Neuausrichtung der Militärstrategie
Wegen dieser besonderen Gefährdung steht der Schutz der Energieinfrastruktur bei allen großen Mächten im Zentrum ihrer Militärstrategie.
Das wichtigste Ölexportland der Welt, Saudi-Arabien, wurde in den vergangenen Jahren systematisch mit US-Militärtechnik ausgerüstet, um seine umfangreiche Ölinfrastruktur gegen terroristische Anschläge verteidigen zu können. Nach ihrem absehbaren Abzug aus dem Irak wollen die USA weiterhin Truppenkontingente im Land stationiert lassen. Die bisher geplanten Kasernenstandorte befinden sich nicht zufällig in der Nähe der großen Ölförderanlagen des Irak. Die neue Ölpipeline vom aserbaidschanischen Baku bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan wird durch AWACS-Flugzeuge der NATO beobachtet. Neben NATO-Partner Türkei wurde auch Georgien mit moderner US-Militärausrüstung, angeblich sogar mit unbemannten Militärflugzeugen – sogenannten Drohnen – ausgerüstet. Besonders brisant ist sowohl im Fall Saudi-Arabiens als auch beim Irak und Georgien, dass damit neue Waffen in Krisengebiete geliefert werden, die im Zweifelsfall nicht nur zum Schutz der Energieinfrastruktur, sondern auch für andere Zwecke eingesetzt werden können.
Auch die Bundeswehr soll zukünftig vermehrt Aufgaben der Sicherung der deutschen Energie- und Ressourcenversorgung und der freien Handelswege übernehmen. Die nach den Anschlägen vom 11. September vom Deutschen Bundestag beschlossene Operation »Enduring Freedom« beinhaltet bereits, die Seefahrtswege am Horn von Afrika – einer der wichtigsten weltweiten Tankerrouten – militärisch abzusichern. In dem 2005 an die Öffentlichkeit gelangten Entwurf des neuen Bundeswehrweißbuchs zur Sicherheitspolitik heißt es etwas holprig: »Sicherheitspolitik muss auch auf geografisch entfernte Regionen zielen, um Spannungen und Feindschaften zwischen Ethnien, regionalen Krisen, Staaten, in denen sich organisierte Kriminalität und Terrorismus ausbreiten, sprunghaft wachsenden Gesellschaften, die keine Zukunftsperspektive bieten, entgegenzuwirken. Die Vertiefung und Entwicklung guter Beziehungen zu strategischen Schlüsselstaaten in den verschiedenen Regionen, Beiträge zur Bewältigung von Krisen und Konflikten sowie zur Förderung regionaler Stabilität sind wichtige Handlungsfelder deutscher Sicherheitspolitik. Hierbei gilt es wegen der Import- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands, sich insbesondere den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert